Selenskyj fordert weitere Patriot-Systeme – Rheinmetall eröffnet Reparaturbetrieb in Ukraine
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat von den internationalen Partnern eindringlich mehr Unterstützung mit Luftverteidigungssystemen und für den Wiederaufbau der von Russland zerstörten Energie-Infrastruktur verlangt. „Wir benötigen mindestens noch sieben weitere Patriot-Systeme, um in nächster Zeit unsere großen Städte zu schützen“, sagte Selenskyj bei der internationalen Wiederaufbaukonferenz für sein Land in Berlin.
Selenskyj dankte Kanzler Olaf Scholz (SPD) mehrfach persönlich für die bisherige Unterstützung durch die Lieferung von Flugabwehrsystemen. Deutschland hat bereits zwei Patriot-Systeme geliefert, ein weiteres ist zugesagt, an ihm werden derzeit ukrainische Soldaten ausgebildet.
Das russische Militär habe dennoch weiter einen strategischen Vorteil in der Luft, sagte der ukrainische Präsident. „Allein mit den Gleitbomben wird ein irrsinniger, zerstörerischer Druck ausgeübt.“ Dazu kämen Raketen und Drohnen. „Solange wir (dem russischen Präsidenten Wladimir) Putin diese Möglichkeit nicht nehmen, wird es für Putin kein wirkliches Interesse geben, einen fairen Frieden anzustreben“, unterstrich Selenskyj.
Selenskyj: „Energie ist für Russland eine Waffe“
Selenskyj warb auch für mehr Unterstützung beim Wiederaufbau der Energie-Infrastruktur, die „eine der wichtigsten Zielscheiben“ für Putin sei. „Energie ist für Russland eine Waffe“, sagte er. Bei den Angriffen seien neun Gigawatt der ukrainischen Kapazitäten zerstört worden – im vergangenen Winter hätten die Spitzen des Energieverbrauchs bei 18 Gigawatt gelegen. „Das heißt, die Hälfte haben wir nicht mehr.“ 80 Prozent der Wärmeerzeugung und ein Drittel der Wasserkraft seien zerstört, Putin ziele auch auf Gasspeicher. Ein Wiederaufbau bringe allen Vorteile, sagte Selenskyj laut offizieller Übersetzung. Zugleich sagte er: „Ohne Ihre Investitionen und ohne Kredite wird es uns wohl nicht gelingen.“
Durch die russischen Raketen- und Drohnenangriffe sei seit dem Winter die Hälfte der Kapazitäten zur Stromerzeugung in der Ukraine zerstört worden. Der staatliche Stromversorger Ukrenergo kündigte angesichts der Engpässe eine Ausweitung der stundenweisen Stromabschaltungen in der Ukraine an.
Selenskyj forderte die westlichen Verbündeten in seiner Rede in Berlin auf, der Ukraine mehr Luftabwehrsysteme zu liefern. „Es ist der Raketen- und Bombenterror, der den russischen Truppen hilft, am Boden voranzukommen“, sagte er. „Luftabwehr ist die Antwort.“ Solange Russland nicht der strategische Vorteil in der Luft genommen werde, habe Kreml-Chef Wladimir Putin „kein wirkliches Interesse daran, einen gerechten Frieden anzustreben“.
Kanzler ruft auf, die Ukraine „mit allem, was möglich ist“ zu unterstützen
Zum Auftakt der Ukraine-Konferenz hatte bereits Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu mehr Unterstützung für die ukrainische Luftverteidigung aufgerufen. Angesichts der anhaltenden russischen Luftangriffe bitte er darum, die von Deutschland gestartete Initiative zur Stärkung der ukrainischen Luftverteidigung zu unterstützen – „mit allem, was möglich ist“, sagte der Kanzler.
Bei der zweitägigen Konferenz in Berlin soll es schwerpunktmäßig um den Wiederaufbau in der Ukraine gehen – um die kurzfristige Beseitigung von Kriegsschäden durch russische Angriffe und auch um die längerfristige Entwicklungsperspektive der Ukraine.
Die von Russland in der Ukraine bereits angerichteten Schäden werden von der Weltbank auf mindestens 486 Milliarden Dollar (rund 446 Milliarden Euro) geschätzt.
Selenskyj bezeichnete es als äußerst wichtig, die Energieversorgung bis zu diesem Winter sicherstellen zu können. Die Ukraine wisse, wie das gehe – „und von ihnen möchten wir die Ausstattung haben, die Technik haben für die Wärmekraftwerke, Stromkraftwerke, die nicht funktionieren“. Wichtig sei auch Unterstützung bei der Gasversorgung durch hocheffektive Generatoren, sodass man später zu Wasserstoff und grüner Energie übergehen könne.
Erneut warb Selenskyj um Unterstützung bei dem Weg seines Landes in die EU. Kiew habe bereits alle Anforderungen für den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen erfüllt. „Dieser Juni muss zum Zeitpunkt werden, in dem der Verhandlungsrahmen definiert und die Gespräche selbst beginnen müssen“, forderte er. Es sei so versprochen worden. „Es ist der Beweis dessen, dass Europa weder durch Druck noch durch künstliche Bedenken oder irgendwelche Manipulationen gebrochen werden kann“, sagte Selenskyj.
2.000 Teilnehmer aus 60 Ländern
Zu der Wiederaufbaukonferenz werden etwa 2.000 Vertreter aus etwa 60 Ländern erwartet. Es ist keine Geberkonferenz, bei der Geld für den Wiederaufbau gesammelt werden soll, sondern es geht vielmehr um die Vernetzung der relevanten Akteure aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen. Ziel ist es Initiativen zur Unternehmensförderung oder Fachkräfteausbildung auf den Weg zu bringen.
„Diese Konferenz zeigt, dass ein starkes Bündnis hinter der Ukraine steht“, sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) der dpa. Es sei auch unter Kriegsbedingungen schon wichtig, den Wiederaufbau anzugehen. Schulze sagte: „Die Ukraine hat keine Wahl. Sie kann nicht warten, bis der Krieg endet. Die Menschen brauchen jetzt ein Dach über dem Kopf, Strom, Wasser und Krankenhäuser.“ Das Land brauche auch die zivile Unterstützung, um in dem Krieg bestehen zu können.
Das Treffen findet auf dem Berliner Messe-Gelände statt. Anlässlich des Treffens wurde der dortige Funkturm, ein 147 Meter hohes Wahrzeichen der Hauptstadt, in der Nacht in den Landesfarben Blau und Gelb angestrahlt. Heute und Mittwochabend soll zusätzlich auch der Berliner Fernsehturm am Alexanderplatz jeweils bis 24 Uhr in den Farben der Ukraine erstrahlen.
Deutschland zweitwichtigster Unterstützer der Ukraine
Im Bundestag hatte Selenskyj bereits am 17. März 2022, drei Wochen nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, zu den Abgeordneten gesprochen. Damals wurde er aber per Video live in den Plenarsaal zugeschaltet und flehte den Bundeskanzler geradezu um mehr militärische Unterstützung an: „Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, reißen Sie diese Mauer nieder. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient.“
Inzwischen ist Deutschland der zweitwichtigste Unterstützer der Ukraine nach den USA, was die militärische und finanzielle Hilfe angeht. Kanzler Scholz lässt dennoch weiter Wünsche der Ukraine offen. So will er keine Taurus-Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 Kilometern liefern und ist anders als der französische Präsident Emmanuel Macron strikt dagegen, Nato-Soldaten in die Ukraine zu schicken. Macron hatte in der vergangenen Woche angekündigt, zusammen mit anderen Ländern Militärausbilder in das Kriegsgebiet entsenden zu wollen.
Neben Deutschland wollen sich auch die USA nicht beteiligen. Scholz hatte sich am Samstag bei einer Wahlkampfveranstaltung in Duisburg auch dagegen ausgesprochen, dass andere Nato-Länder Soldaten in die Ukraine schicken. „Es wird von unseren Ländern keine Soldaten in der Ukraine geben und auch nicht von der Nato“, sagte er.
Auftakt einer Gipfel-Serie
Die Konferenz ist Auftakt einer ganzen Serie von Gipfeln, die sich mit der Ukraine befassen. Nach der Wiederaufbaukonferenz findet der G7-Gipfel im süditalienischen Apulien statt. Dabei wird es unter anderem darum gehen, wie eingefrorenes russisches Vermögen zur Unterstützung der Ukraine genutzt werden kann.
Anschließend geht es für Scholz und auch Selenskyj weiter zur Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz, zu der sich nach Angaben der Regierung in Bern bislang rund 40 Staats- und Regierungschefs angemeldet haben. Eingeladen waren rund 160. Weitere gut 40 Staaten sollen mit anderen hohen Regierungsvertretern dabei sein.
Es ist zwar das erste derartig hochrangige internationale Treffen zum Thema Frieden in der Ukraine, aber es geht nicht um Friedensverhandlungen. Russland, das die Ukraine im Februar 2022 überfallen hat, ist nicht dabei. Länder wie China und andere, die Russland nahestehen, haben die Einladung deshalb ausgeschlagen. Moskau hat das Treffen als westliche Propagandaveranstaltung zur Unterstützung der Ukraine abgetan. (dpa/red)
Rheinmetall eröffnet Reparaturbetrieb für deutsche Panzer in Ukraine
Das Rüstungsunternehmen Rheinmetall hat in der Westukraine eine Reparaturstätte für deutsche Panzer eröffnet. Wie das Unternehmen am Dienstag in Düsseldorf mitteilte, würden dort aktuell Marder-Schützenpanzer gewartet und repariert.
Betrieben wird der Stützpunkt vom im Oktober gegründeten deutsch-ukrainischen Gemeinschaftsunternehmen Rheinmetall Ukrainian Defense Industry. Der ukrainische Minister für strategische Industrien, Oleksandr Kamyschin, nannte die Eröffnung „nicht nur einen Schritt zum Sieg der Ukraine, sondern auch eine wichtige Etappe beim Aufbau des Arsenals der Freien Welt“.
Rheinmetall-Chef Armin Papperger betonte: „Es ist uns ein Herzensanliegen, der Ukraine wirkungsvolle und verlässliche Unterstützung zu geben.“ Bei der Versorgung mit Ersatzteilen hätten eine möglichst hohe Verfügbarkeit und eine schnelle Nachlieferung höchste Priorität.
Deutschland hat der Ukraine bislang hundert Marder-Panzer geliefert. Ebenfalls zur Verfügung gestellt oder zugesagt wurden Kampfpanzer vom Typ Leopard 1 und Leopard 2. Diese sowie weitere deutsche Waffensysteme sollen den Angaben zufolge „perspektivisch“ an anderen Standorten in der Ukraine instandgesetzt werden.
(dpa/afp/er)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion