Selenskyj: „Das mächtigste NATO-Land ist derzeit Russland“

„Das gehört sich nicht“, kritisierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Auftaktrede zum zweiten Tag der Münchner Sicherheitskonferenz den US-Vizepräsidenten J. D. Vance. Der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz (CDU), zeigte sich ebenfalls verstimmt über die gestrige Rede von Trumps Vize.
Er äußert bereits gestern Abend gegenüber RTL und ntv: „Es ist fast schon ein übergriffiger Umgang mit den Europäern, insbesondere mit uns Deutschen.“ Vance glaubt, eine Gefährdung der Demokratie in Europa, insbesondere in Deutschland, zu erkennen.
Dies ging etwa aus seinem indirekten Bezug auf die Abgrenzung der deutschen Parteien gegenüber der AfD hervor. Wörtlich sagte er: „Es gibt keinen Platz für Brandmauern.“
Vance hatte in ungewöhnlich deutlicher Weise eine vermeintliche Zensur der Meinungsfreiheit in Europa kritisiert und festgestellt: „Die Bedrohung, die uns immer mehr Sorgen macht, sind nicht Russland oder China, sondern es kommt von innen heraus aus Europa.“
Scholz: Russland destabilisiere Europa
Bundeskanzler Scholz widersprach direkt zum Auftakt des zweiten Konferenztages genau dieser amerikanischen Einschätzung. Russland sei sehr wohl dabei, die Lage mit gefährlichen Aktionen in NATO-Staaten zu eskalieren.
Er nannte als Beispiele die Sabotage an Unterseekabeln in der Ostsee sowie an weiterer Infrastruktur und Brandanschläge, Desinformation und Versuche der Manipulation von Wahlen, hinter denen Scholz Russland vermutet.
Trump stärkt Vance von Washington aus
US-Präsident Donald Trump hat die bei der Münchner Sicherheitskonferenz geäußerten Vorwürfe seines Vize gegenüber Pressevertretern in Washington bekräftigt.
Wie etwa die britische Online-Zeitung „The Independent“ berichtete, sagte Trump: „In Europa verlieren sie gerade ihr wunderbares Recht auf freie Meinungsäußerung.“
Er habe Vances Rede zur Meinungsfreiheit in Europa verfolgt. „Ich denke, es stimmt“, sagte Trump und fügte hinzu, Europa habe zudem „ein großes Einwanderungsproblem“.
Ende der Schuldenbremse nahe?
Scholz strebt eine „starke europäische Rüstungsindustrie mit einer permanenten Produktion der wichtigsten Munitions- und Waffengattungen“ an. Dafür sollen die europäischen Staaten ihren Bedarf abstimmen. Dies erleichtere die Zusammenarbeit mit den Rüstungsfirmen.
Dennoch bestehe weiterhin auch Bedarf an amerikanischen Rüstungsgütern. Um dies alles finanzieren zu können, müsse die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ausgesetzt werden. Das Grundgesetz sehe Ausnahmen vor.
„Ein Krieg mitten in Europa ist eine Notlage – was denn sonst“, so Scholz weiter. Zumindest aus dem Haushalt könne die erforderliche Finanzsumme nicht gespart werden. „Wer das behauptet, sagt den Bürgerinnen und Bürgern nicht die Wahrheit“, betonte Scholz.
Scholz gegen „Diktatfrieden“
Auf eine Friedenslösung für den Krieg in der Ukraine eingehend, forderte der Bundeskanzler, dass die Ukraine in die Verhandlungen einbezogen werden müsse. Mit diesem Hinweis bezog er sich wahrscheinlich darauf, dass US-Präsident Trump erst einmal alleine mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verhandeln will.
„Ein Diktatfrieden wird niemals unsere Unterstützung finden“, so Scholz. „Als Unterstützer von Freiheit und Demokratie stehen wir an der Seite der angegriffenen Ukraine“, betonte er noch einmal in Anspielung auf die Rede von Vance, der gestern den Europäern Demokratieverständnis zumindest teilweise abgesprochen hatte.
Scholz wies des Weiteren darauf hin, dass sich die Ukraine gegen Russland nicht alleine verteidigen könne. Finanziell und materiell stelle die Unterstützung für die Ukraine weiterhin „eine enorme Herausforderung“ dar. Dafür würden die Europäer weiterhin gebraucht, stellte der Kanzler klar.
Selenskyj: Putin bietet keine Sicherheitsgarantien
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj folgte unmittelbar mit seiner Rede auf den Bundeskanzler und mahnte: „Das mächtigste NATO-Land ist derzeit Russland.“
Nach Auffassung Selenskys hätten Putins „Launen die Macht, NATO-Entscheidungen zu blockieren“. Mit dieser verbalen Überzeichnung drückte Selenskyj offenbar sein Bedauern aus, dass Trump und Putin in naher Zukunft in Saudi-Arabien separat ohne Beteiligung der Ukraine und der Europäer über einen Frieden in der Ukraine sprechen wollen.
Und er mahnte: „Welche Sicherheitsgarantien kann Putin anbieten?“ Um die Ukraine zu bekämpfen, habe Putin Truppen aus Syrien, Moldawien und weiteren Gegenden zusammengezogen.
Dies offenbare eine gewisse Schwäche Russlands. „Dieser Krieg kann nicht nur von wenigen entschieden werden. Wir müssen gemeinsam Druck ausüben für einen gerechten Frieden.
Putin kann keine Sicherheitsgarantien anbieten, nicht nur, weil er ein Lügner ist, sondern weil er einen Krieg braucht, um an der Macht zu bleiben. Putin ist schwach. Das müssen wir ausnutzen. Wir müssen als Europa handeln.“
Forderung nach Europa-Armee
Damit dies gelinge, forderte Selenskyj eine europäische Armee, um Russland wirksam entgegentreten zu können. Diese Forderung Selenskyjs ist nicht neu.
Offenbar sieht der ukrainische Präsident jedoch gerade jetzt eine bessere Chance für eine Umsetzung, denn er betonte: „Jetzt ist die Zeit. Ich kann Sie nur dazu aufrufen, zu handeln. Die Zeit ist gekommen, die Streitkräfte Europas müssen geschaffen werden.“ Denn es sei nicht mehr klar, ob die USA Europa nur noch als Absatzmarkt für ihre Waren oder als Bündnispartner benötigten.
„Präsident Trump mag keine schwachen Freunde. Er respektiert Stärke. Lassen sie uns ganz deutlich sein: Wenn es nicht Brüssel ist, dann ist es Moskau“, warnte Selenskyj und unterstrich noch einmal: „Die Ukraine wird niemals ein Abkommen akzeptieren, das hinter unserem Rücken abgeschlossen wird.“ Das müsse für ganz Europa gelten, rief er der Versammlung zu.
Gemeinsamer Plan mit USA
In der darauffolgenden Fragerunde verriet Selenskyj, dass er in seinem gestrigen persönlichen Gespräch mit dem US-Vize sehr direkt gewesen sei.
„Wir haben gesagt: Das funktioniert nicht ohne uns am Tisch. Ich bin nicht glücklich darüber, dass Trump erst mit Putin und dann mit uns gesprochen hat. Wir müssen eine gemeinsame Perspektive entwickeln, dazu gehört auch Europa. Wir wollen EU-Mitglied werden. Die EU hat uns sehr unterstützt. Wir haben natürlich unseren Plan. Aber wir brauchen [mit den USA] eine gemeinsame Perspektive. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass Trump und ich uns zuerst treffen“, bevor er mit Punit in Saudi-Arabien verhandle, beharrte Selenskyj.
Als weiteres beherrschendes Thema der Münchner Sicherheitskonferenz soll die Lage im Nahen Osten sein. Am Samstag gab es zudem Beiträge von NATO-Generalsekretär Mark Rutte, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) sowie Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz.
Über den Autor:
Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.
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