Schwedens Bandenkriminalität eskaliert – Regierung setzt auf Prävention
Obwohl Meldungen über Schießereien auf den Straßen für die Schweden mittlerweile nichts Neues mehr sind, sind es die Zahlen, die ein aktueller Bericht des Nationalen Rats zur Kriminalitätsprävention (Brå) dazu liefert schon:
Das einst so friedliche Wohlfahrtsland zählt inzwischen die meisten Schusswaffenmorde in Europa. In dem 132 Seiten langen Bericht wurden 22 europäische Länder im Zeitraum der Jahre 2000 bis 2019 miteinander verglichen. Der Anstieg der Schusswaffenkriminalität in Schweden hat im Vergleich zu den anderen Ländern deutlich zugelegt. Ab dem Jahr 2014 stieg die Mordrate in Schweden merklich an und pendelte sich in den letzten Jahren auf einem höheren Level ein als noch vor fünf Jahren.
So kommen in Schweden nun auf eine Million Einwohner gut vier Opfer von Schusswaffengewalt pro Jahr. Der europäische Durchschnitt liegt bei 1,6. Allein im vergangenen Jahr sind 48 Menschen erschossen worden. In der Hauptstadt Stockholm stiegen die Schießereien im Jahr 2020 sogar um 79 Prozent. Dem Bericht zufolge stehen etwa 80 Prozent der Schießereien im Königreich in Verbindung zur Organisierten Kriminalität. 40 Prozent aller Tötungsdelikte sind heute Morde im Kontext von Ganggewalt – eine Verdreifachung innerhalb weniger Jahre.
Dem Bericht zufolge sieht man drei Entwicklungen, die zu diesem Anstieg beigetragen haben könnten: Drogenhandel, Bandenkonflikte und ein fehlendes Vertrauen in die Polizei in sozial benachteiligten Wohngebieten.
Zudem gibt eine Studie aus dem Jahr 2018 darüber Aufschluss, dass die vielen Schießereien damit zusammenhängen, dass es viele kleine Banden mit noch sehr jungen Hitzköpfen und ohne klare Führungsstrukturen gibt.
Besonderes Aufsehen erregten im vergangenen Herbst rivalisierende Banden in den Vororten von Göteborg und Stockholm. Sie lieferten sich mitten am Tag Schießereien auf offener Straße und richteten sogar Straßensperren ein.
So wurde im Zuge eines solchen Bandenkrieges ein zwölfjähriges Mädchen in der Nähe Stockholms aus einem fahrenden Auto heraus erschossen. Die Schüsse galten zwei kriminellen Männern, die Schutzwesten trugen und Teil eines kriminellen Netzwerkes sind.
Mutter kaltblütig erschossen
Im August 2019 erschütterte eine Nachricht ganz Schweden. In Malmö, das als Zentrum der Bandenkriminalität gilt, wurde am helllichten Tag und in einer belebten Gegend eine Mutter, die ihr Baby im Arm hielt, auf der Straße grausam von einer vermummten Gestalt erschossen. Er richtete eine Handfeuerwaffe auf sie und drückte mehrmals ab. Eine Kugel traf dabei auch ihren Kopf.
Es war wie eine Hinrichtung. Alles war voll mit Blut. Sie hielt ihr Baby in einem Arm. Handy, Schlüssel und Geldbörse im anderen“, erinnerte sich eine Augenzeugin.
Die junge Mutter verstarb schließlich im Krankenhaus. Das zwei Monate alte Kind und der einst kriminelle Vater, an dem man sich mit dem Mord an seiner Frau rächen wollte, blieben unversehrt.
Ein ähnlicher Vorfall wiederholte sich nur einige Tage später – dabei wurde eine weitere Frau in Malmö auf offener Straße erschossen.
Sprengstoffbomben und Handgranaten
Die Liste mit grausamen Schusswaffenmorden in Schweden ist lang. Aber auch Kriegswaffen wie Handgranaten und Sprengstoffbomben kommen bei den Verbrechern aus Schwedens Unterwelt zum Einsatz. Die Zahl der Bombenanschläge auf Häuser, Autos und andere Ziele wäre deutlich angestiegen, berichtet das „IPG-Journal“.
So wäre bisher das üblichste Verbrechen in diesem Zusammenhang Brandstiftung und andere Arten gefährlichen Feuers gewesen. Man mutmaßt, dass der illegale Gebrauch von Sprengstoff die Brandstiftung ersetzt hat und als Mittel zur Einschüchterung oder der Rache im Bandenkrieg dient, heißt es im Bericht. Die Mehrzahl der Bombenanschläge sei dabei gegen zwielichtige Geschäfte rivalisierender Banden gerichtet. Banden, die sich um den lukrativen Markt von Drogen und Waffen streiten.
In Malmö gehen jedes Jahr Dutzende Bomben hoch, man fühle sich wie in einem Kriegsgebiet, schreibt die „Preußische Allgemeine“. Die meisten der Bandenbildungen würden mit den verschiedenen Einwanderungswellen zusammenhängen, die nach Schweden migriert sind: irakische, syrische und albanische Banden und auch ältere, die aus dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien stammen.
Regierung setzt weiter auf Prävention
Die Vorfälle haben eine intensive Migrationsdebatte angeheizt. Während die Linke noch auf Prävention setzt, sieht ein Teil der Rechten einen direkten Zusammenhang zwischen Migranten und Kriminalität im Land. Mit jedem spektakulären Mord in der Bandenszene wird die Diskussion um Migration neu entfacht.
Die sozialdemokratisch geführte Regierung von Ministerpräsident Stefan Löfven steht unter enormem Handlungsdruck. Löfven versuchte schon, das Thema mit Reformen auszuräumen, bislang mit wenig Erfolg. Ihm zufolge seien teilweise sozioökonomische Faktoren für die Zustände verantwortlich. Schweden ist eine tief gespaltene Gesellschaft, schreibt die „IPG“.
Sowohl die Täter als auch die Opfer von Schwedens Bandengewalt seien hauptsächlich junge Männer aus sozial benachteiligten Gebieten schwedischer Großstädte. Ein Großteil der Täter hat einen Migrationshintergrund. Rund 25 Prozent der schwedischen Bevölkerung sind Einwanderer oder Kinder von Einwanderpaaren. Im Jahr 2000 waren es 15 Prozent.
Die rot-grüne Regierung sieht die Ursache des Problems vor allem in der Armut, der fehlenden Integration und Perspektivlosigkeit in Einwanderervierteln. Diese Gründe seien es, die zu einer Bereitschaft junger Männer zum Eintritt in Banden führen würde. Aber nicht nur viele junge Männer – inzwischen strömen auch Frauen in die kriminelle Unterwelt und erfüllen Mutproben in Form von schweren Verbrechen.
Die Regierung will den durch massive Kürzungen eingebrochenen Wohlfahrtsstaat sanieren, das Sozialwesen und die Schulen in Problemvierteln stärken.
„Schande für Schweden“
Die Kritik aus der Opposition an der rot-grünen Regierung ist scharf. Von einer „Schande für Schweden“ sprach die bürgerlich-konservative Partei „Die Moderaten“ (M), während die Schwedendemokraten (SD) sich über eine „Kapitulation“ der Regierung brüskierten. Sie fordern neben einer besseren Ausstattung für die Polizei, härtere Strafen, eine strengere Flüchtlingspolitik und den Einsatz des Militärs gegen Kriminelle.
Der Vorsitzende der Schwedendemokraten, Jimmie Akesson, macht die anderen Parteien und die Einwanderung von Personen außerhalb Europas für die Zustände verantwortlich. Die Einwanderer seien unmoralischer und rücksichtsloser als ethnische Schweden, sagte Akesson in der Zeitung „Aftonbladet“, wie die „Wiener Zeitung“ berichtet.
Innenminister Mikael Damberg setzt auf mehr Polizisten und schärfere Strafen. Der Sozialdemokrat gibt zu:
In gewissen Teilen Schwedens war der Staat nicht anwesend, die Polizei zu schwach und Kriminelle wurden nicht behelligt.“
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