Schweden vor Regierungsbildung: Kristersson auf Stimmen der Rechten angewiesen
In Schweden zeichnet sich nach Bekanntgabe des vorläufigen offiziellen Endergebnisses der Wahlen zum Reichstag ein Regierungswechsel ab. Mit nur noch 173 von 349 Sitzen reicht es nicht mehr für eine linke Mehrheit unter der bisherigen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson. Demgegenüber könnte der Spitzenkandidat der „Moderaten Sammlungsbewegung“, Ulf Kristersson, eine Regierung bilden. Diese wäre jedoch auf die Stimmen der rechten Schwedendemokraten von Jimmie Åkesson angewiesen.
Linke in Schweden stolperte über Skandale und das Thema Einwanderung
Nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen kam das oppositionelle Rechtsbündnis, dem die konservativen Schwedendemokraten angehören, auf 176 der 349 Sitze im Parlament. Das von Andersson angeführte Linksbündnis holte demnach 173 Sitze. Andersson räumte noch am Mittwochabend, 14. September, ihre Niederlage ein und erklärte ihren Rücktritt.
Die Sozialdemokratin hatte nach einer Regierungskrise im November 2021 mit einer knappen Mehrheit regiert, die von den Stimmen der extremen Linken abhängig war. Neben der politischen Instabilität waren es auch mehrere Skandale von Ministern, die den Wahlkampf der Linken belasteten – von nicht bezahlten Rechnungen über Vorwürfe sexueller Belästigung bis hin zu einem Hitlergruß, den eine Ministerin als Jugendliche gezeigt haben soll.
Andersson selbst kam ins Gerede, weil eine illegal in Schweden lebende Putzhilfe mehrfach in ihrer Villa tätig war – und dies offenbar auch dem Inlandsgeheimdienst nicht aufgefallen war. In einem Wahlkampf, der vor allem von den Schwedendemokraten offensiv um die Themen Einwanderung und Sicherheit aufgebaut worden war, brachte dies auch die Regierungschefin selbst in die Defensive.
Wer ist Ulf Kristersson?
Der mögliche künftige Ministerpräsident Ulf Kristersson wurde erstmals 1991 in den Reichstag gewählt und gehörte diesem vorerst bis 2000 an. Der in Lund geborene studierte Betriebswirt war lange Jahre in Thinktanks, als Fachbuchautor und in der kommunalen Verwaltung tätig. Im Jahr 2010 trat er sein erstes Regierungsamt auf nationaler Ebene an – als Minister für soziale Sicherheit. Seit 2017 führt er die bürgerliche „Moderate Sammlungsbewegung“.
Politische Beobachter bescheinigen ihm ein sachliches und kollegiales Auftreten, intakte Kommunikation und eine ausgeprägte Dialogfähigkeit. Gleichzeitig bewegt er sich inhaltlich rechts von dem Standard, den man zuvor von schwedischen Konservativen gewohnt war. Zudem fällt er durch ein wirtschaftsliberales Profil auf.
Bereits bei seinem Amtsantritt als Chef der Moderaten bezeichnete er die soziale Mobilität als eines seiner zentralen Themen. Schweden solle zu einem „Land der Hoffnungsvollen“ werden. In Anbetracht der Migrationsbewegungen seit Mitte der 2010er-Jahre nach Europa, die viele Schutzsuchende auch nach Schweden führte, befürwortete er deren Integration in die schwedische Gesellschaft. Gleichzeitig trat er jedoch auch für eine „verpflichtende kulturelle Assimilation“ ein und dafür, dass die Asylbewerber die schwedische Sprache lernen, arbeiten und Steuern bezahlen.
Koalition oder Tolerierungsmodell möglich
Dass Kristersson nun die Chance hat, eine Mitte-Rechts-Regierung zu bilden, ist die Konsequenz seiner Kehrtwende im Umgang mit den Schwedendemokraten (SD). Nach den Wahlen 2018 beendete er die strikte Politik der Nichtkooperation und lud deren Führung zu offiziellen Gesprächen ein.
In welcher Weise die SD zu einer Regierung Kristerssons beitragen werden, ist allerdings noch offen. Insbesondere steht infrage, ob die Schwedendemokraten auch selbst Kabinettsposten einnehmen werden. Romina Pourmokhtari von den Liberalen, die Kristersson ebenfalls für eine Regierungsmehrheit benötigt, hat „Politico“ zufolge bereits angekündigt, jeder Regierung ihre Stimme zu verweigern, an der Minister der Rechten beteiligt sind. Neben den Liberalen wären auch die Christdemokraten an einem bürgerlichen Bündnis beteiligt.
Gleichzeitig werden die SD selbstbewusst und mit weitreichenden Forderungen in Koalitions- oder Tolerierungsgespräche gehen und mehrere Funktionäre der Partei ließen bereits erkennen, dass sie nicht bereit seien, eine bürgerliche Mehrheit um jeden Preis zu ermöglichen.
Die „Financial Times“ zitiert die Stimmen von SD-Größen wie dem Geschäftsführer Linus Bylund, der am Rande der Wahlfeier angedeutet habe, man habe kein Problem damit, eine Regierungsbildung platzen zu lassen, sollten die übrigen bürgerlichen Parteien ihnen nicht weit genug entgegenkommen. Die Rede war von möglicher „Rache“ dafür, „wie die übrigen Parteien uns über die Jahre behandelt hatten, auch diese drei“.
Selbst wenn es Kristersson gelingt, eine Koalition oder ein Tolerierungsmodell zurechtzuzimmern, wäre die Regierung labil und dürfte sich kein Ausscheren von Abgeordneten leisten.
Schwedendemokraten bleiben bei Maximalforderungen in der Einwanderungspolitik
Einer der wesentlichen Gründe für den Erfolg der Schwedendemokraten ist es, dass es ihnen gelungen ist, Einwanderung und innere Sicherheit zu den Hauptthemen des Wahlkampfs zu machen und diese in den Köpfen der Bürger gedanklich miteinander zu verknüpfen. Selbst Ministerpräsidentin Andersson gebrauchte zuvor lediglich auf der äußersten Rechten verwendete Begriffe wie „Somalistadt“.
Die SD, die ursprünglich aus dem neonazistischen Milieu stammen und noch bis einschließlich 2001 zu einer politische Splitterpartei zählten, hatten mit Fortdauer der Zeit ihre extremistischen Wurzeln gekappt und radikale Exponenten aus den eigenen Reihen entfernt. Mittlerweile sind sie vor allem die Partei der jungen Männer – unter den Erstwählern insgesamt ist ihr Anteil von 12 Prozent im Jahr 2018 auf nunmehr 22 Prozent angestiegen.
Programmatisch sind sie in die rechte Mitte gerückt, im Bereich der Einwanderungspolitik haben sie jedoch an Maximalforderungen festgehalten, mit denen sie nun auch in Sondierungsgespräche gehen werden.
Die SD wollen unter anderem ortsgebundene Sozialleistungen wie Kindergeld, Wohngeld, Behindertenunterstützung, Reha-Leistungen oder Mutterschaftsgeld auf Angehörige von EU-Staaten beschränken – und dafür notfalls auch auf Neuverhandlungen der EU-Verträge drängen.
Um „den Wert der Staatsangehörigkeit“ zu erhöhen, wollen die SD die Wartezeit bis zu deren Erwerb auf zehn Jahre erhöhen und dauerhafte Aufenthaltsbewilligungen reduzieren. Auch soll es Einschnitte bei der Familienzusammenführung geben, unter anderem sollen Ehepartner von Personen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht in Schweden erst ab dem Alter von 21 Jahren ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht erlangen. Lediglich für anerkannte Asylbewerber soll es nach dem Willen der Partei großzügigere Regelungen geben.
Komitee gegen Antisemitismus äußert sich besorgt über Wahlergebnis in Schweden
Am Dienstagabend erklärte der Leiter des Schwedischen Komitees gegen Antisemitismus, Willy Silberstein, in einer Gesprächsrunde des öffentlich-rechtlichen Rundfunkkanals SVT, er finde es „beängstigend“, dass eine Partei mit nationalsozialistischen Wurzeln in Schweden so viel Unterstützung genieße, und äußerte die Befürchtung, dass das starke Abschneiden der SD bei den Wahlen Rassisten ermutigen könnte.
„Ich will damit nicht sagen, dass die Schwedendemokraten in irgendeiner Weise zu Gewalt gegen Einwanderer aufrufen“, äußerte Silberstein, „aber ich denke, es besteht die Gefahr, dass ein Klima entsteht, in dem viele Menschen mit rassistischen Einstellungen sich freier fühlen, Dinge zu sagen und möglicherweise auch gewalttätig gegen Minderheiten vorzugehen.“
PM Nilsson, der angesehene politische Redakteur der Wirtschaftszeitung „Dagens Industri“, verwies hingegen darauf, dass auch in Norwegen, Dänemark oder Finnland weit rechte Parteien an Koalitionsregierungen beteiligt worden seien. In keinem dieser Fälle sei es einer von ihnen gelungen, das dortige politische und gesellschaftliche Gefüge fundamental zu verändern.
Charlie Duxbury von „Politico Europe“ erwartet, so äußerte er in einem Gespräch mit dem US-Fernsehkanal NPR, dass die Schwedendemokraten unabhängig davon, ob sie Teil eines Kabinetts oder Tolerierungspartner sein würden, ihren politischen Einfluss im Land in jedem Fall deutlich ausbauen würden.
(Mit Material der dpa)
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