Schulen in Österreich: Bildungsministerium stellt Whistleblowerin frei
Für heftige Diskussionen sorgt derzeit eine Personalie im Bildungswesen in Österreich. Wie das Rechercheportal „Addendum“ berichtet, ist die bisherige Leiterin der Ombudsstelle im Bildungsministerium, Susanne Wiesinger, von ihrer Tätigkeit freigestellt worden. Am Sonntag (19.1.) bestätigte das Ministerium diese Entscheidung gegenüber dem ORF auf Anfrage und fügte hinzu, dass die Lehrerin „auch auf eigenen Wunsch“ vorzeitig ihre Aktivitäten im Amt beende.
Bereits am Samstag sei Wiesinger über die Maßnahme in Kenntnis gesetzt worden, erklärte der Generalsekretär im Bildungsministerium, Martin Netzer, gegenüber ORF.at. Die Zusammenarbeit mit der Pädagogin wäre im Februar ausgelaufen.
Die Entscheidung steht, wie auch das Bildungsministerium selbst bestätigt, im Zusammenhang mit dem heutigen Erscheinungsdatum ihres Enthüllungsbuches mit dem Titel „Machtkampf im Ministerium: Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört“.
„Parteilinie ist oft wichtiger als wirkliche Hilfe für die Schüler“
Als Ombudsfrau war die Lehrerin, die bereits 2018 mit ihrem Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ für Furore gesorgt hatte, damit betraut, österreichweit Erhebungen zu kulturellen und religiösen Konflikten an Schulen zu vollziehen und – unabhängig und weisungsfrei – Lehrer, Schüler oder Eltern beratend zu unterstützen, unter anderem im Fall von Missständen und behördlichen Versäumnissen.
Nach einem Jahr im Amt zieht sie eine wenig vorteilhafte Bilanz. Ihrer Einschätzung nach versuchten Parteipolitiker, ihre jeweilige bildungspolitische Doktrin im Bildungswesen ohne Rücksicht auf Verluste durchzudrücken. Die Betroffenen blieben dabei auf der Strecke. Wörtlich erklärte Wiesinger:
In unseren Klassenzimmern spielt sich tagtäglich eine bildungspolitische Katastrophe ab. Kinder sind zu oft der Kollateralschaden einer blinden ideologischen Politik. Die Parteilinie ist oft wichtiger als wirkliche Hilfe für die Schüler.“
Vor allem im Bereich der Zuwanderung sei keinerlei Verbesserung der Situation eingetreten, die sie bereits zwei Jahre zuvor angeprangert hatte. Damals klagte Wiesinger über den ihrer Einschätzung nach zunehmenden Einfluss eines radikalen Islams an Schulen und über Parallelgesellschaften, die sich innerhalb muslimischer Einwanderercommunitys mehr und mehr zu verfestigen schienen.
Übergriffiges Verhalten ungeahndet
Einige Viertel mit stark vertretener türkischer Einwanderercommunity würden sich, so Wiesinger, in Richtung einer abgeschlossenen Parallelwelt entwickeln, ähnliche Tendenzen zeigten sich in Einwanderercommunitys aus Serbien, Tschetschenien oder Afghanistan. In Bezirken wie Favoriten, Ottakring, Simmering, Rudolfsheim-Fünfhaus, Brigittenau sowie der Leopoldstadt könnten Einwanderer ihren Alltag fristen, ohne auch nur ein Wort Deutsch sprechen zu müssen. Viele von ihnen würden ihren Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft auf ein Minimum reduzieren. In Teilen dieser Gemeinschaften entstünden sogar Züge einer Paralleljustiz.
In ihrem neuen Buch schildert Wiesinger, dass Kinder von Einwanderern auch in der zweiten und dritten Generation oft nicht genug Deutsch für einen Schulabschluss sprächen. Übergriffiges Verhalten gegenüber Frauen und Minderheiten bis hin zu antisemitischen Ausfälligkeiten beim Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen würden unter den Teppich gekehrt.
Es werde unterlassen, von Eltern Erziehungsverantwortung einzufordern. Konsequenzen blieben aus, die Lehrer würden mit dem Problem allein gelassen. Als Gründe dafür nennt Wiesinger „falsch verstandene Toleranz“ und parteipolitisches Kalkül. Politische Vereinnahmung der Lehrer und „Message Control“ durch Beamte seien an der Tagesordnung.
Nur noch 41 Prozent der Wiener Volksschüler sprechen zu Hause Deutsch
In den vergangenen zehn Jahren hat sich, wie „Addendum“ eruiert hat, der Anteil der Schüler mit nichtdeutscher Umgangssprache an öffentlichen Volksschulen, Mittelschulen und AHS deutlich erhöht. An neuen Mittelschulen stieg demnach der Anteil der Schüler mit nichtdeutscher Umgangssprache um 39 Prozent, in der AHS-Unterstufe um 40 Prozent und in der AHS-Oberstufe um 59 Prozent. In Wien würden nur noch 41 Prozent der Volksschüler (Grundschüler) im Alltagsleben Deutsch sprechen.
Wiesinger wurde in der Zeit der türkis-blauen Koalition zur „Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte im Bildungsressort“ ernannt – obwohl sie sich selbst als „Rote, sogar eine linke Rote“ beschrieb und als sozialdemokratische Personalvertreterin tätig war. In ihrer Funktion nahm sie eine „Zuhörtour“ in Angriff, im Zuge derer sie rund 160 Gesprächstermine mit Lehrkräften in ganz Österreich absolvierte.
Nun spricht der Generalsekretär im Bildungsministerium, Martin Netzer, im Zusammenhang mit der Buchveröffentlichung von einem „Bruch des Vertrauens“. Bildungsminister Heinz Faßmann erklärte, er sei ob der Veröffentlichung „verwundert“ und „irritiert“. Wiesinger, so hieß es vonseiten der ihr zur Seite gestellten Beraterin Heidi Glück, sei „mehr Maulwurf als Ombudsfrau“ gewesen. Gegen diese Darstellung will die Ombudsfrau nun einem Bericht der „Oberösterreichischen Nachrichten“ zufolge gerichtlich vorgehen.
„Versuch, kritische Stimmen mundtot zu machen“
Wiesinger wird nun den bereits fertigen Bericht der Ombudsstelle, der auch Empfehlungen an die Politik enthält, nicht mehr präsentieren. Ob es ein Disziplinarverfahren geben werde, etwa infolge der Preisgabe von Amtsgeheimnissen, müsse nun die zuständige Stelle in der Wiener Bildungsdirektion entscheiden.
Aus der Opposition kam deutliche Kritik an der Freistellung Wiesingers. SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid sprach von „parteipolitischer Message Control“ durch das „System Kurz. FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl von einem „Versuch, kritische Stimmen mundtot zu machen“.
NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre kündigte eine parlamentarische Anfrage an. Die ÖVP habe offenbar verhindern wollen, dass Wiesinger auftragsgemäß einen unabhängigen Bericht über die Situation an den österreichischen Schulen erarbeite. „Vielmehr sollte Wiesingers Arbeit, wie sie schreibt, ausschließlich die politischen Positionen der Volkspartei untermauern“, so Künsberg Sarre.
Auch der frühere Vizekanzler und möglicherweise künftige Spitzenkandidat der Partei „Die Allianz für Österreich“ (DAÖ) zur Wiener Gemeinderatswahl, Heinz-Christian Strache, kritisierte die Freistellung scharf: „Wer Missstände aufzeigt und die Wahrheit sagt oder schreibt, wird in diesem System bekämpft“, schreibt Strache in einem Posting auf Facebook.
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