Schluss mit „Bayern zuerst“? CSU will sich zur Europawahl neu erfinden

Mit Manfred Weber rechnet sich die CSU Chancen aus, erstmals den Präsidenten der Europäischen Kommission stellen zu können. Deshalb hat man auch den „Populismus“ zum Hauptgegner erklärt. Ob die Wähler dies schätzen, ist ungewiss.
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Horst Seehofer gratuliert Manfred Weber zur Wahl zum Spitzenkandidaten der CSU-Liste zur Europawahl.Foto: Matthias Balk/dpa
Von 2. Januar 2019

Wie die „Welt“ schreibt, will der designierte Vorsitzende der CSU, Markus Söder, seine Partei vor der im Mai bevorstehenden Wahl zum Europäischen Parlament neu ausrichten. Ziel soll es sein, zum europaweiten Vorbild für eine „proeuropäische konservative Partei“ zu werden – was, wenn man „proeuropäisch“ mit „Pro-EU“ gleichsetzt, zuletzt auch vielen ihrer eigenen Wähler gleichsam als Contradictio in adjecto erschien.

Dabei steht die einstmals so stolze CSU vor einem Dilemma: Bei den Landtagswahlen im Oktober des Vorjahres hatte man mit 37,2 Prozent das schlechteste Ergebnis seit 1950 eingefahren – das war noch einmal deutlich weniger als im Katastrophenjahr 2008, als man erstmals seit 1970 die absolute Stimmenmehrheit verlor.

Fünf Jahre später gelang es der Partei, die absolute Mandatsmehrheit zurückzuholen, nachdem Horst Seehofer darauf gesetzt hatte, mehr Kante zu zeigen und bei Bedarf kritische Worte in Richtung Berlin oder Brüssel zu richten.

Nun stellt die CSU selbst den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP) und so diese es schaffen sollte, ihre relative Mandatsmehrheit zu bewahren, bleiben auch die Chancen intakt, im Parlament insgesamt die erforderlichen Stimmen für Manfred Weber zusammenzubekommen.

„Gespenst des Nationalismus“ als Hauptgegner

Im Zweifel dürfte sich die CSU, und „Welt“-Kommentator Torsten Krauel scheint darauf zu hoffen, auch deshalb eher dafür entscheiden, eine europäische Partei zu sein als eine konservative. Angesichts zu erwartender deutlicher Stimmengewinne für Parteien und Bewegungen rechts der bürgerlichen Mitte, die sogar eine Sperrminorität oder gar relative Mehrheit ermöglichen könnten, hat Weber entsprechend das „Gespenst des Nationalismus“ zum Hauptgegner ausgerufen.

Kritik an EU-Zentralismus, einer machtbewussten „politischen EU-Kommission“ (Jean-Claude Juncker), am Multilateralismus, an der Entmachtung der Nationalstaaten oder an den radikalen Gesellschaftsveränderungskonzepten der Linken – in den letzten Jahren war diese zumindest noch ansatzweise aus der CSU zu hören. In einer Situation, in der die Regionalpartei möglicherweise bald selbst die mächtigste Position in Brüssel bekleidet und den politischen Geltungsanspruch der EU in der Welt verkaufen muss, schickt sich diese hingegen offenbar nicht mehr.

Die CSU werde, so frohlockt Krauel, „statt am ‚Brüsseler Zentralismus‘ herumzumäkeln, die Treuhänderin der europäischen Idee – mit der Macht, in der EU-Kommission manche Kurskorrektur vorzunehmen, manche Aufgabenstellung zu verändern, manche Prioritäten neu zu gewichten. Sie bekommt es in die Hand, an der Spitze der EU-Kommission solchen Politikern und Parteien entgegenzutreten, die innerhalb und außerhalb Europas den Zerfall der Europäischen Union mindestens begrüßen würden.“

Ganz so einfach wird der Durchmarsch zur Macht in der Kommission für die CSU und damit zur Rettung der „europäischen Idee“ und der „liberalen Demokratie“, die diese verkörpert, vor der bösen Phalanx der Populisten und Autokraten in aller Welt und ihren Ränkespielen dann aber möglicherweise doch nicht.

Abtrünnige Unionswähler wollen in den seltensten Fällen „mehr Europa“

Bleibt das CSU-Ergebnis im Mai ähnlich durchwachsen wie jenes bei den letzten Landtagswahlen, und vermag auch die CDU keine zusätzliche Begeisterung zu entfachen, wird es schwierig, den eigenen Führungsanspruch überzeugend zu begründen.

Zwar sind die Popularitätswerte der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer passabel – es ist jedoch ungewiss, ob dies auch in jenen Wählerschichten der Fall ist, die sich bereits in der Vergangenheit von der Union abgewendet hatten oder aktuell daran denken, dies zu tun. Bereits 2014 war der Versuch der Bürgerlichen, mit dem Hinweis auf die erste Wahl mit europaweiten Spitzenkandidaten und dem damit verbundenen Appell an die Standesehre Wähler zu begeistern, nur mäßig erfolgreich. Zu viele waren der Überzeugung, dass es „kein richtiges Leben im falschen“ gäbe – und dass die EU auch dann auf einem verkehrten Weg bleiben würde, wenn der Kommissionspräsident Christ- statt Sozialdemokrat wäre.

Zudem drohen die EVP-Mitgliedsparteien in vielen Ländern an Stimmen und Mandaten zu verlieren. Dies jedoch selten nach links, sondern ausgerechnet ins Lager des Gottseibeiuns für alle, die „mehr Europa“ für das Patentrezept halten – nämlich ins Lager der „Rechtspopulisten“.

In Frankreich liegen die konservativen Republikaner der letzten Odoxa-Umfrage zufolge nur noch bei acht Prozent, während der Rassemblement National Marine Le Pens mit 24 Prozent an der Spitze liegt. Selbst die kleine rechtskonservative Liste „Debout la France“ liegt bei sieben Prozent und droht die EVP-Mitgliedspartei zu überrunden. Auch in Italien oder Schweden droht die Konkurrenz von rechts dem EVP-Starter den Rang abzulaufen.

Verhasste Fidesz als möglicher Mehrheitsgarant

Einzig in Ungarn sieht es aus, als habe Fidesz als EVP-Mitgliedspartei geschafft, sowohl die Linke als auch die rechtsextreme Jobbik deutlich auf Distanz zu halten. Ausgerechnet Ungarn wird jedoch von der EU-Kommission drangsaliert und Teile der EVP wollen Fidesz sogar aus der bürgerlichen Parteienfamilie ausschließen.

Die rechtskonservativen Fraktionen AECR oder EFDD würden Orban jederzeit bereitwillig in ihren Reihen begrüßen – Weber könnte jedoch ein allzu penetrantes Auftreten gegen Ungarn im Sinne der „europäischen Werte“ seine Mehrheit kosten.

Auch mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr des nächsten Jahres könnte sich ein allzu eiferndes Auftreten Webers, der Union oder der deutschen Regierung als wenig hilfreich erweisen. Dass die in vielen Mitgliedsländern und bei immer mehr Bürgern als machtgierig, arrogant und aggressiv wahrgenommene EU-Zentralmacht ein deutsches Gesicht trägt, erregt nicht nur auf der politischen Rechten in Europa Argwohn.



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