Scharf getrennt und eng verbunden: Frankreichs kompliziertes Verhältnis zur Kirche

Sie ist seit 860 Jahren ein Ort des Glaubens und zugleich die Seele der Nation: Die Pariser Kathedrale Notre-Dame verkörpert wie kein anderer Ort das Verhältnis von Kirche und Staat, das in Frankreich ein ganz besonderes ist.
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Besucher fotografieren am 25. Oktober 2024 die Kathedrale Notre-Dame de Paris in Paris, die am 8. Dezember 2024 wieder für die Öffentlichkeit geöffnet werden soll.Foto: Grégoire Campione/AFP via Getty Images
Epoch Times5. Dezember 2024

Sie ist seit 860 Jahren ein Ort des Glaubens und zugleich die Seele der Nation: Die Pariser Kathedrale Notre-Dame verkörpert wie kein anderer Ort das Verhältnis von Kirche und Staat, das in Frankreich ein ganz besonderes ist.

Einerseits sind Kirche und Staat scharf getrennt. Paradoxerweise sind sie in vieler Hinsicht auch gerade deswegen enger verbunden als anderswo.

Ringen hinter den Kulissen

Die Planungen für die Wiedereröffnung spiegelten das diplomatische Ringen zwischen Präsident Emmanuel Macron und Erzbischof Laurent Ulrich wider, das sich hinter den Kulissen abgespielt hat.

Erst gab es nur einen Termin für die Wiedereröffnung, nämlich das Marienfest am 8. Dezember. Dann kam der 7. Dezember hinzu, und es wurde debattiert, ob Macron im Inneren der Kathedrale oder auf dem Vorplatz eine Rede halten könne.

Und schließlich organisierte der Elysée überraschend einen zweistündigen „Baustellenbesuch“ mit einer Rede Macrons vor 1.300 Gästen im Inneren der Kathedrale, live übertragen von mehreren Sendern, gut eine Woche vor der Eröffnung.

42.000 Quadratmeter Naturstein erstrahlen in neuem Glanz.

42.000 Quadratmeter Naturstein erstrahlen in neuem Glanz. Foto: Stephane de Sakutin/POOL/AP/dpa

Damit habe er „die Diözese überrumpelt, weil so erstmals die Bilder aus dem Inneren der Kathedrale gezeigt wurden“, meint der Religionswissenschaftler Martin Dumont.

Diözese will keine „politische Einmischung“

Der Erzbischof habe sich seinerseits bemüht, „politische Einmischung“ zu verhindern. „Er wollte immer deutlich machen, dass Notre-Dame kein Museum ist, sondern ein Ort des Glaubens“, sagte Dumont. Deshalb habe die Diözese auch während der Restaurierung mehrfach Gottesdienste in der Kathedrale gefeiert.

Letztlich ist das Gezerre einem Gesetz von 1905 geschuldet, das damals einen Schlussstrich unter einen jahrelangen Machtkampf zwischen Verfechtern der Republik und der katholischen Kirche zog.

Es zielte daher vor allem auf die katholische Kirche ab, bezog dann aber auch andere Religionsgemeinschaften ein. Diese haben seitdem eine Art Vereinsstatus und erhalten keinerlei staatliche Subventionen.

Folgenschwer war vor allem die Bestimmung, dass die während der Französischen Revolution beschlagnahmten Kirchen und Klöster offiziell in den Besitz des Staates übergingen. Der Staat verpflichtete sich, die Gebäude zu erhalten und sie zugleich den Kirchen kostenfrei zur Verfügung zu stellen.

Macron als Bauherr, Kirche hat nichts zu sagen

Dies erklärt, warum die Restaurierung von Notre-Dame in Frankreich eine reine Staatsangelegenheit war und Macron als oberster Bauherr auftrat. Mit der Leitung betraute er zunächst einen ehemaligen General, später einen hochrangigen Beamten des Verteidigungsministeriums.

Dass Macron sein Versprechen halten konnte, die Kirche innerhalb von (etwas mehr als) fünf Jahren wieder aufbauen zu lassen, war vor allem der beispiellosen Spendenbereitschaft zu verdanken.

Die katholische Kirche hatte bei der Restaurierung so gut wie nichts mitzureden. Allerdings bekam auch Macron nicht seinen Willen, der dem gotischen Bauwerk gerne mit einer „Geste zeitgenössischer Architektur“ seinen Stempel aufgedrückt hätte.

Erzbischof Ulrich kam es lediglich zu, das liturgische Mobiliar auszuwählen. Er entschied sich für einen schlichten Bronze-Altar, ein Taufbecken mit einem Deckel, der an eine Wasseroberfläche erinnert und an einen prunkvollen Rahmen für die von Katholiken als Dornenkrone Jesu verehrte Reliquie.

Aussuchen konnte er auch das Design der Messgewänder, die er von dem Modeschöpfer Jean-Charles Castelbajac entwerfen ließ.

In einem Fall allerdings überschnitten sich die Interessen des Präsidenten mit denen des Erzbischofs: Beide wollen zumindest einen Teil der Fenster des 19. Jahrhunderts durch Werke zeitgenössischer Künstler zu ersetzen. (afp/red)



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