Russland und Ukraine: Getreideabkommen läuft am Montag aus

Der Ukraine-Krieg dauert bald 17 Monate. Mit Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew rechnet auf absehbare Zeit kaum jemand. Jetzt steht eine der wenigen Abmachungen vor dem Aus.
Ein Getreidefrachter in einem Hafen in der westlichen Ukraine wird mit Getreide beladen.
Ein Getreidefrachter in einem Hafen in der westlichen Ukraine wird mit Getreide beladen.Foto: Celestino Arce Lavin/ZUMA Press Wire/dpa
Epoch Times16. Juli 2023

Im Krieg zwischen Russland und der Ukraine steht eine der wenigen gültigen Vereinbarungen zwischen beiden Seiten vor dem endgültigen Scheitern. Das internationale Getreideabkommen, mit dem die Ukraine trotz der Kämpfe 33 Millionen Tonnen Mais und Weizen übers Schwarze Meer ins Ausland verkaufen konnte, läuft an diesem Montag aus. Moskau zeigte keinerlei Bereitschaft, es zu verlängern. Vor allem in Afrika gibt es erneut große Sorgen, dass wichtige Nahrungsmittel knapp werden.

Seit Juni läuft in beiden Staaten die Getreideernte, die Ukraine wäre dringend auf die Einnahmen angewiesen. Die Ernte dürfte in der Ukraine niedriger ausfallen als sonst: viele Felder sind vermint, die Bauern in die Armee eingetreten oder der Anbauzeitpunkt wurde verpasst. Die russische Getreideernte wird nach Daten des US-Landwirtschaftsministerium in der laufenden Saison Rekorde erreichen.

Putin erklärte kürzlich, dass das ukrainische Getreide gar nicht in die ärmsten Staaten gelange. Ein UNO-Bericht widerspricht und zeigt, dass das transportierte Getreide etwa jeweils zur Hälfte in wohlhabende und ärmere Staaten gehe. Ukrainisches Getreide darf zudem bis Mitte September nicht in Bulgarien, Ungarn, Polen, Rumänien und die Slowakei verkauft werden – um die eigene Märkte nicht zu gefährden.

Derzeit ist das Getreideabkommen – abgesehen vom Austausch von Gefangenen – das einzige Thema, über das beide Staaten direkt miteinander verhandeln.

Möglicherweise letzter Getreidefrachter ausgelaufen

Das vor allem mit Hilfe der Türkei und der Vereinten Nationen mühsam ausgehandelte Getreideabkommen läuft an diesem Montag um 23:00 Uhr MESZ aus. Die Ukraine war vor dem Krieg einer der weltweit wichtigsten Getreideexporteure.

Am Sonntag machte sich nun im Hafen Odessa möglicherweise eines der letzten Schiffe auf den Weg, der Frachter „TQ Samsun“. Er ist nach UN-Angaben mit mehr als 15.000 Tonnen Raps beladen.

Viele andere Regierungen und auch die Vereinten Nationen appellieren an Russland, das Abkommen nicht auslaufen zu lassen. Putin begründete die Ablehnung nach Angaben des Kremls in einem Telefonat mit Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa damit, dass Moskaus Forderungen nach einem Ende der Exportbeschränkungen für russische Lebensmittel und Dünger nicht erfüllt würden.

Der Kreml will, dass der Westen dafür Sanktionen lockert, die wegen des Kriegs verhängt wurden. Denn die Türkei, die Ukraine, Russland und die UNO legten in einem zweiten Abkommen im Jahr 2022 fest, Dünger- und Lebensmittelexporte auch für Russland zu vereinfachen.

Die russische Regierung erklärt, das sei nicht geschehen. Sie fordert unter anderem, dass die russische Agrarbank Rosselkhozbank wieder am internationalen Bezahlsystem SWIFT teilnehmen kann. Als zweites, dass die Ammoniak-Pipeline zwischen dem russischen Toljatti und dem ukrainischen Odessa wieder arbeiten kann und ihren Betrieb aufnimmt. Und als drittes, dass bestimmte landwirtschaftliche Geräte und Ersatzteile wieder an Russland geliefert werden.

Dazu ist der Westen jedoch nicht bereit.

Baerbock sieht keine Chance für baldige Verhandlungen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bekräftigte, Ziel sei die „komplette Befreiung“ seines Landes von russischer Besatzung. Das russische Verteidigungsministerium berichtete von mehreren ukrainischen Drohnenangriffen auf die seit 2014 von Russland besetzte Schwarzmeerhalbinsel Krim, die alle abgewehrt worden seien. In Sewastopol hat Russlands Schwarzmeerflotte ihren Hafen.

Angesichts solcher Töne beurteilt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock die Aussichten auf einen Frieden in der Ukraine sehr pessimistisch. Auf absehbare Zeit sehe sie keine Grundlage für Verhandlungen mit Putin, sagte die Grünen-Politikerin mehreren Medien des Springer-Konzerns.

„Ich wünschte mir, dass wir verhandeln könnten. Aber derzeit geht es nicht (darum), was man sich wünscht. Sondern derzeit geht es darum, der Realität ins Auge zu blicken.“

Ukraine im Osten in der Defensive

Die Ukraine hat eingeräumt, im Osten des Landes in der Defensive zu sein. „Zwei Tage in Folge hat der Feind im Sektor Kupjansk in der Region Charkiw aktiv angegriffen. Wir sind in der Defensive“, erklärte am Sonntag die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar. Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnete seinerseits Kiews im Juni begonnene Gegenoffensive als erfolglos.

„Es finden heftige Kämpfe statt, und Positionen (…) verändern sich mehrfach am Tag“, erklärte Maljar. Aber rings um Kupjansk seien die ukrainischen Truppen derzeit „in der Defensive“. Zugleich sprach die Vize-Ministerin von „allmählichen“ Fortschritten nahe der umkämpften Stadt Bachmut.

Am Freitag hatte der Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrij Jermak, eingeräumt, dass es bei der ukrainischen Gegenoffensive „nicht so schnell“ vorangehe. Maljar gab nun an, dass die ukrainischen Truppen nahe Bachmut „allmählich vorrücken“. „Es gibt einen täglichen Vorstoß an der südlichen Flanke um Bachmut. An der Nordflanke versuchen wir unsere Positionen zu halten, der Feind greift an“, erklärte die Vize-Ministerin weiter.

Bachmut war im Mai von den russischen Truppen eingenommen worden. Die Stadt hatte einstmals 70.000 Einwohner, wurde aber von den längsten und blutigsten Gefechten im russischen Angriffskrieg in der Ukraine zerstört. Der ukrainische Generalstab meldete zudem am Sonntag aus dem Süden des Landes eigene Angriffe in Richtung der russisch besetzten Städte Melitopol und Berdjansk.

Kremlchef Putin bezeichnete seinerseits die Lage an der Front für die russischen Streitkräfte als „positiv“. Alle Versuche, die russischen Verteidigungslinien zu durchbrechen, seien „während des gesamten Zeitraums der Offensive“ erfolglos geblieben, sagte Putin einem am Sonntag ausgestrahlten Interview mit dem russischen Staatsfernsehen. „Der Feind hat keinen Erfolg gehabt.“

Russland meldete am Sonntag zudem die Abwehr eines ukrainischen Angriffs mit mindestens zehn Drohnen auf die annektierte Halbinsel Krim. Der Angriff auf Ziele nahe Sewastopol habe weder Opfer noch Schäden verursacht, teilte das Verteidigungsministeriums in Moskau mit.

Besonders umstritten: Streumunition

Besonders umstritten ist bei der westlichen Hilfe die Lieferung von Streumunition, die US-Präsident Joe Biden kürzlich freigegeben hatte. Die Ukraine lässt bislang noch offen, unter welchen Umständen sie Streubomben einsetzen will. Solche Bomben explodieren noch in der Luft und verteilen Geschosse über größere Flächen. Deutschland und 110 andere Staaten haben sie deswegen geächtet – die USA, Russland und die Ukraine aber nicht.

International stellten sich viele Staatschefs gegen die Freigabe von Streumunition durch US-Präsident Biden. Kremlchef Wladimir Putin drohte nach Ankunft der ersten Lieferungen international geächteter Streumunition aus den USA in der Ukraine damit, ebenfalls solche Munition einzusetzen. Russland verfüge dazu über „ausreichende Reserven“, sagte er im Staatsfernsehen.

Das Getreideabkommen war am Samstag auch Thema eines ersten Treffens von Selenskyj mit dem südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol in Kiew. Yoon versprach Unterstützung. Selenskyj sagte später in einer Videobotschaft, vom Ausmaß der internationalen Hilfe hänge ab, wann Russlands Krieg gegen sein Land zu Ende gehe.

Kiew bestreitet Attentatspläne gegen Journalistinnen

Unterdessen warf Russlands Inlandsgeheimdienst FSB dem ukrainischen Geheimdienst SBU vor, Mordanschläge gegen prominente Journalistinnen zu planen. Demnach sei ein Attentat auf die Chefredakteurin des Staatsfernsehsenders RT, Margarita Simonjan, verhindert worden.

Auch die prominente Moderatorin Xenia Sobtschak habe getötet werden sollen. Die Ukraine wies die Vorwürfe zurück. Unabhängig überprüfbar sind die Angaben beider Seiten nicht. (dpa/red)



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