Russland und Iran treiben BRICS-Einheitswährung voran

Die Hegemonie des US-Dollars ist den BRICS-Staaten ein Dorn im Auge. Russland und der Iran wollen deshalb „bald“ eine neue Währung präsentieren. Das kündigte der iranische Botschafter in Russland, Kazem Jalali, während einer Wirtschaftskonferenz in Russland an. Wie realistisch ist solch ein Projekt?
Luiz Inacio Lula da Silva, Xi Jinping, Cyril Ramaphosa, Narendra Modi und Sergej Lawrow posieren für ein Gruppenfoto während des BRICS-Gipfels.
BRICS-Gipfel 2023 in Johannesburg.Foto: Gianluigi Guercia/Pool AFP/AP/dpa
Von 1. Juni 2024

Russland hat in diesem Jahr die BRICS-Präsidentschaft inne. Deshalb findet der diesjährige Gipfel im russischen Kasan statt. Schon jetzt wird wieder verstärkt über die Einführung einer eigenen Währung gesprochen. 

„Die Schaffung einer neuen einheitlichen Währung im Rahmen der BRICS-Assoziation ist das, woran Russland und der Iran derzeit intensiv arbeiten“, sagte der iranische Botschafter in Russland, Kazem Jalali, laut der „Berliner Zeitung“ während einer Wirtschaftskonferenz in Russland. Konkretere Details werden „bald“ präsentiert, so Jalali. Die politische Führung im Iran beabsichtige – ähnlich wie der russische Präsident Wladimir Putin – die Vorherrschaft des US-Dollars auf den Weltmärkten „ein Ende zu setzen“.

BRICS-Gipfel in Johannesburg ließ Frage offen

Die Pläne sind nicht neu. Schon vor dem letzten Gipfel des Staaten-Verbunds im August vergangenen Jahres im südafrikanischen Johannesburg war spekuliert worden, dass die BRICS-Staaten eine neue Währung als Konkurrenz zum US-Dollar einführen könnten. Diese Ankündigung blieb damals aus, obwohl die neue Währung offenbar schon einen Namen hatte: R5 oder R5+. Die Landeswährungen der „alten“ BRICS-Staaten beginnen alle mit dem Buchstaben R: Real in Brasilien, Renminbi Yuan in China, Rupie in Indien, Rubel in Russland und Rand in Südafrika.

Putin, der damals aufgrund eines gegen ihn ausgestellten internationalen Haftbefehls nicht persönlich am Gipfel in Johannesburg teilnahm, schaltete sich per Videoschalte aus Moskau dazu. Der russische Präsident erinnerte daran, dass das BRICS-Großprojekt einer gemeinsamen Währung immer noch keine konkreten Formen angenommen habe. „Das ist eine herausfordernde Aufgabe“, sagte er damals, wie unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) berichtete. „Doch wir werden uns trotzdem einer Lösung nähern“, so Putin weiter. 

In der Abschlusserklärung des letztjährigen Gipfels wurde das Ziel einer gemeinsamen Währung überhaupt nicht erwähnt. In der Erklärung findet man lediglich die Absicht, die eigene Währung der jeweiligen BRICS-Staaten im internationalen Handel zu stärken. 

Putins Äußerungen konnten unter diesem Gesichtspunkt damals auch als Aufforderung an die BRICS-Staaten zu verstehen gewesen sein, das Projekt einer gemeinsamen Währung nicht abzuschreiben. 

Anfang des Jahres sind zu den BRICS-Gründungsstaaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika nun die Länder Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate dazugekommen. Auch Argentinien war im vergangenen Sommer eingeladen worden, sich dem Staatenbündnis anzuschließen. Mit der Wahl Javier Mileis zum argentinischen Präsidenten wurden dort die Karten allerdings neu gemischt. Im Dezember teilte der neu gewählte Präsident dann offiziell mit, dass sein Land die Einladung zum BRICS-Bündnis nicht annehmen werde.

 

Die meisten sanktionierten BRICS-Staaten

Offenbar hat die Erweiterung des Staatenbundes auch dem Projekt einer gemeinsamen Währung Auftrieb gegeben. Dass es vor allem Russland und der Iran sind, die eine gemeinsame Währung innerhalb des BRICS-Bündnisses vorantreiben, ist relativ leicht zu erklären: Beide Länder sind die am stärksten sanktionierten BRICS-Staaten. Aufgrund verschiedener Sanktionspakete haben beide keinen Zugang zu westlichen Zahlungssystemen. 

Allerdings treiben auch die anderen BRICS-Staaten seit geraumer Zeit die Dedollarisierung voran. So hat Indiens Zentralbank zum Beispiel die großen staatlichen Raffinerien des Landes gebeten, Lieferanten aus dem Persischen Golf dazu zu drängen, im nächsten Geschäftsjahr mindestens zehn Prozent der Ölzahlungen in indischen Rupien zu akzeptieren. Doch wie realistisch ist eine gemeinsame BRICS-Währung als Gegengewicht zum US-Dollar wirklich?

Wer die Wut der BRICS-Staaten auf den US-Dollar verstehen möchte, muss einen Blick auf die Zahlen werfen. Während die USA selbst nur für zehn Prozent des Welthandels stehen, verliefen im Jahr 2022, laut Angaben der Europäischen Zentralbank (EZB) fast 50 Prozent aller internationalen Zahlungen in US-Dollar. Tauschen Finanzprofis im Devisenhandel Währungen untereinander, dann steht der US-Dollar sogar in 88 Prozent der Fälle auf einer der beiden Seiten. Diese Zahlen zeigen, dass der US-Dollar immer noch weltweit die Leitwährung ist. Genau das gestaltet sich für Russland schwierig. 

Über die Jahre hinweg hat die russische Regierung einen Milliardenbetrag in US-Dollar angesammelt. Etwa die Hälfte dieser Devisenreserven hat sie jedoch im Ausland angelegt oder investiert. Nach der Ukraine-Invasion fror der Westen diese Dollarreserven kurzerhand ein, was vermutlich rund 300 Milliarden US-Dollar ausmachte. 

Plan mit vielen Fallstricken

Obwohl der Plan einer Dollaralternative überzeugend klingt, birgt er viele Fallstricke. Die Währungen der fünf bisher beteiligten Länder sind bislang nicht gerade für besondere Stabilität bekannt. Der südafrikanische Rand, der brasilianische Real und der russische Rubel verursachten in der Vergangenheit an den Finanzmärkten immer wieder Turbulenzen. Währungsexperten sind sich einig, dass mehrere schwache Währungen zusammen keine tragfähige Weltwährung bilden würden.

Michael Pettis, Professor an der Peking University, schrieb letztes Jahr in einem Rant auf X: „Es überrascht mich, dass so viele Analysten denken, dass die Änderung der dominanten globalen Währung so einfach ist wie das Ändern der Farbe deines Hemdes: Abgesehen davon, dass es etwas hübscher aussieht, wird sich nichts Grundlegendes in deinem Leben verändert haben. Ich denke, das liegt daran, dass sie glauben, dass der Wechsel von strukturellen Überschüssen zu strukturellen Defiziten eine Kleinigkeit ist, eine Frage des Imports, bloß ein wenig mehr. Das zeigt, wie wenig sie das Verhältnis zwischen dem internen und dem externen Konto eines Landes verstehen.“

Der Ökonom spielt damit auf einen Umstand an, der nicht wegzureden ist: Um eine Gemeinschaftswährung erfolgreich zu etablieren, braucht es eine unabhängige Zentralbank, eine Finanzaufsicht und einen offenen Finanzmarkt. 

Diese Voraussetzungen erfüllt derzeit keines der BRICS-Länder. Alle haben stattdessen strikte Devisenkontrollen eingeführt. Dies wird besonders deutlich bei den Investitionen deutscher Unternehmen in China: Da sie ihre Profite nicht einfach ins Ausland transferieren können, werden diese erneut in China investiert.

In Russland, Brasilien und Indien sind die Zentralbanken zumindest unabhängig. In China ist dies undenkbar. Um diese Unabhängigkeit zu erreichen, müsste China die Kontrolle über seine Kapitalbilanz aufgeben, was bedeuten würde, seinen Überschuss an Ersparnissen gegenüber Investitionen umzukehren – etwas, das es seit Jahrzehnten nicht geschafft hat. Außerdem würde dies bedeuten, die Kontrolle über seine Handelsbilanz aufzugeben.

China müsste Wirtschaftsmodell grundlegend ändern

Michael Pettis nennt in diesem Zusammenhang noch eine weitere Bedingung: Ein Land muss ein Handelsbilanzdefizit aufweisen. Die dahinterstehende Idee ist, dass ein Land, das ein Handelsbilanzdefizit hat, Waren und Dienstleistungen importiert, während es seine eigene Währung exportiert. In den Handelspartnerländern entstehen dadurch Devisenreserven aus dem Land mit dem Handelsbilanzdefizit.

Für Russland und insbesondere für China würde dies bedeuten, dass China, wenn es ernsthaft an der Schaffung einer alternativen Währung interessiert wäre, sein wirtschaftliches Modell grundlegend ändern müsste. Seit seinem Amtsantritt versucht Xi Jinping mit der Politik des „inneren Kreislaufs“ die Binnennachfrage zu stärken. Dennoch wächst der Handelsüberschuss weiterhin, anstatt zu sinken. Es ist unwahrscheinlich, dass sich dies ändern wird, solange die Immobilienkrise alle Bereiche des chinesischen Lebens beeinflusst. Etwa 70 Prozent der chinesischen Ersparnisse sind in Immobilien investiert, deren Wert potenziell und tatsächlich sinkt.

Nicht zu unterschätzen sind in diesem Zusammenhang auch die Rivalitäten der BRICS-Länder untereinander. So erlebt gerade erst Russland ein böses Erwachen mit China. 

Weiterer Baustein für chinesische Hegemonie

In den vergangenen Jahren hat Putin den chinesischen Yuan zur Hauptreservewährung Russlands gemacht. Doch jüngst haben immer mehr chinesische Institutionen aufgehört, Yuan-Zahlungen aus Russland anzunehmen. Im Februar informierte, laut der russischen Zeitung „Wedomosti“, die chinesische „Zhejiang Chouzhou Commercial Bank“ ihre Kunden über die Aussetzung von Transaktionen mit Russland. 

Obwohl Russland den Finanzsektor weiterhin in Zusammenarbeit mit China betreiben wollte, zeigt sich China bei den neuesten Verhandlungen zurückhaltend. Das Portal „t-online“ berichtete im April, dass laut dem russischen Finanzminister Anton Siluanow bisher keine Einigung über die Aufnahme von Krediten in chinesischen Yuan erzielt werden konnte.

Wie die „Frankfurter Rundschau“ im April berichtete, gab die russische Zentralbank in einem Bericht zu, dass es nur begrenzte Alternativen zum chinesischen Yuan für ihre Reserven gibt. Die russische Zentralbank stellte fest, dass die Rolle des Yuans als internationale Währung und seine Liquidität in den vergangenen Jahren „bemerkbar“ zugenommen hat.

Paul McNamara, Investment Director bei GAM Investments, kommt in einer Analyse für die „Financial Times“ aus dem Februar vorigen Jahres, die auf Deutsch auch von der „Börsen-Zeitung“ veröffentlicht wurde, im Hinblick auf die BRICS-Währung zum wenig überraschenden Ergebnis, dass „wenn man eine Währung sucht, um die US-Hegemonie im Devisenhandel herauszufordern, die nicht-chinesischen Mitglieder der BRICS-Gruppe ihre Abhängigkeit von Peking nur erhöhen würden“. Und damit würde China einen weiteren Baustein für eine chinesische Hegemonie in den Händen halten.



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