Rüstung statt Rente? NATO-Chef Rutte fordert „Opfer“ für Europas Sicherheit

Der Generalsekretär der NATO, Mark Rutte, appelliert an die Europäer, tiefgreifende Veränderungen zu akzeptieren, um die Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Einschnitte in Renten, Gesundheit und Soziales sollen höhere Rüstungsausgaben ermöglichen. Auch Banken und Fonds fordert Rutte auf, in die Verteidigungsindustrie zu investieren.
Nach Ansicht des Nato-Generalsekretärs muss die Ukraine aus einer Position der Stärke in mögliche Verhandlungen gehen.
Nach Ansicht des NATO-Generalsekretärs muss die Ukraine aus einer Position der Stärke in mögliche Verhandlungen gehen.Foto: Virginia Mayo/AP/dpa
Von 17. Dezember 2024

NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat die Europäer dazu aufgefordert, Einschnitte bei Renten, Gesundheit und sozialer Sicherheit zu akzeptieren. Dies würde es ermöglichen, den Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt zu erhöhen. Zugleich mahnte der Niederländer Banken und Fondsgesellschaften, in Aufrüstung zu investieren.

Rutte forderte Vertreter der Militärallianz zu stärkerer Unterstützung auf. Um „unsere Freiheit, unseren Wohlstand und unsere Lebensweise zu schützen“, müssten Politiker auf die Stimmen der NATO-Repräsentanten hören. Es müsse eine Bereitschaft geben, „Opfer zu bringen, damit wir auch morgen noch sicher sind“.

Rutte: Banken sollen sich Investitionen in Militärgüter der NATO nicht verweigern

Auch institutionelle Anleger sollten sich demnach an der Finanzierung von Rüstungsvorhaben beteiligen. In seiner Rede in Brüssel erklärte Rutte:

„Sagt euren Banken und Pensionsfonds, dass es einfach inakzeptabel sei, sich der Investition in die Verteidigungsindustrie zu verweigern. Verteidigung ist nicht dieselbe Kategorie wie illegale Drogen oder Pornografie. Investieren in die Verteidigung ist Investieren in unsere Sicherheit. Es ist ein Muss.“

Russlands Präsident Wladimir Putin, so der NATO-Generalsekretär, versuche, „die Ukraine von der Landkarte zu löschen“. Ein solches Kriegsziel hat der Kreml bis dato nicht formuliert.

Zudem versuche der russische Präsident, „die Sicherheitsarchitektur, die Europa über Jahrzehnte sicher erhalten hat, fundamental zu verändern“. Sein „Muster der Aggression“ sei nicht neu, behauptet Rutte weiter. Er verwies auf die Ereignisse in Georgien 2008 und auf der Halbinsel Krim 2014, und fragte:

Wie viele Weckrufe brauchen wir noch?“

Russland „auf dem Weg nach Westen“ – oder von postsowjetischen Konflikten betroffen?

Die Vorgeschichte zu den genannten Ereignissen sprach Rutte nicht an. In Georgien intervenierte die russische Armee, nachdem georgische Einheiten russische Friedenstruppen in Südossetien angegriffen hatten. Diese befanden sich aufgrund einer auch von Tiflis akzeptierten Waffenstillstandsvereinbarung seit 1992 in dem abtrünnigen Gebiet. Zuvor hatte es dort einen zwei Jahre andauernden Bürgerkrieg gegeben.

Auf der mehrheitlich russischsprachigen Krim beschloss das Regionalparlament 2014 eine Volksabstimmung über eine Abspaltung von der Ukraine. Dies war die Reaktion auf eine nicht reguläre Machtergreifung einer explizit gegen Russland gerichteten Übergangsregierung in Kiew. Bewaffnete russische Freiwillige schützten den Abstimmungsvorgang. Das von Kiew und dem Westen nicht anerkannte Referendum endete mit der Zustimmung zu einer Angliederung an die Russische Föderation.

Russland war seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in mehrere bewaffnete Auseinandersetzungen involviert. Hintergrund waren regelmäßig Grenzkonflikte, die aufgetreten waren, weil Teile früherer Sowjetrepubliken, die ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, eine Abspaltung anstrebten. Neben Teilrepubliken der Russischen Föderation waren auch Länder wie Aserbaidschan und Armenien in solche Konflikte involviert. Einen Bürgerkrieg gab es zudem in Tadschikistan. Die Wurzeln der Konflikte reichten häufig in die komplexe sowjetische Nationalitätenpolitik zurück.

Bündnis „nicht im Krieg, aber auch nicht im Frieden“

NATO-Generalsekretär Rutte sieht den Ukrainekrieg hingegen als Teil eines Versuchs, „die globale Ordnung neu zu gestalten“. Diesen unternähmen Russland, das kommunistisch regierte China, aber auch Nordkorea und der Iran. „Nicht, um eine fairere [Weltordnung; Anm. d. Red.] zu errichten, sondern, um ihre eigenen Einflusssphären zu sichern“, so Rutte.

Die Genannten wollten Europa und Nordamerika „testen“, und der Rest der Welt beobachte dies. Zwar äußerte der Generalsekretär des Militärbündnisses, es gebe „keine unmittelbare Bedrohung unserer 32 Mitgliedstaaten“. Dies liege jedoch nur daran, dass die NATO „sich verändert hat, um uns sicher zu erhalten“. Rutte erklärte weiter:

Nein, wir befinden uns nicht im Krieg. Aber wir haben sicher auch keinen Frieden.“

Zum gegebenen Zeitpunkt sei die Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses intakt. Es sei jedoch „das Morgen, das Sorgen bereite“. Das Bündnis sei „nicht vorbereitet auf das, was in vier oder fünf Jahren auf uns zukommen wird“. Deshalb müsse die massive Ausweitung der Rüstungsproduktion die erste Priorität sein.

„Gefahren für unsere Freiheit und Sicherheit“ heute „größer als im Kalten Krieg“?

Rutte räumte ein, dass die NATO-Mitgliedstaaten mehr für militärische Zwecke ausgeben würden als noch vor zehn Jahren. Allerdings sei es immer noch weniger als während des Kalten Krieges – „obwohl die Gefahren für unsere Freiheit und Sicherheit genauso groß sind, wenn nicht größer“. Der Generalsekretär fügte hinzu:

„Während des Kalten Krieges hatten Europäer deutlich mehr als drei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben. Mit dieser Mentalität haben wir den Kalten Krieg gewonnen. Die Ausgaben fielen, nachdem der Eiserne Vorhang fiel. Die Welt war sicherer.“

Auch heute benötige man mehr als die zwei Prozent, die seit 2014 Allianz-Ziel seien. Rutte sei klar, dass „Geld ausgeben für Verteidiger weniger Geld für andere Prioritäten“ bedeute. Dies sei „aber nur ein bisschen weniger“. Im Schnitt gäben die europäischen Länder ein Viertel ihres BIP für Pensionen, Gesundheit und soziale Sicherungssysteme aus. Dort müsse man ansetzen:

„Wir brauchen einen kleinen Bruchteil dieses Geldes, um unsere Verteidigungssysteme deutlich stärker zu machen – und unsere Lebensweise zu erhalten.“

Rutte betont: „NATO ist kein Angriffsbündnis“

Dies erfordere jedoch „politische Führungsstärke“ und könnte „kurzfristig hart und riskant“ sein. Langfristig sei es jedoch „absolut essenziell“. Rutte warnt auch bereits vor Widerständen:

„Einige Leute werden euch anderes erzählen. Sie denken, eine starke Verteidigung sei nicht der Weg zum Frieden. Nun, sie liegen falsch. Denn ohne starke Verteidigung keine dauerhafte Sicherheit, und ohne Sicherheit keine Freiheit für unsere Kinder und Enkel. Keine Schulen, Spitäler, Geschäfte. Nichts.“

Der NATO-Generalsekretär verwies darauf, dass sich die Front in der Ukraine „trotz russischer Rekordverluste in Richtung Westen“ bewege. Man müsse, wenn Friedensverhandlungen beginnen, „sicherstellen, dass die Ukraine aus einer Position der Stärke heraus“ an ihnen teilnehme.

Rutte betonte in seiner Rede mehrfach, dass die NATO „kein Angriffsbündnis“ sei. Die Russische Föderation hat dies seit Ende der 1990er-Jahre zunehmend in Zweifel gezogen. Im Jahr 1999 hatte die NATO ohne entsprechendes Mandat des UN-Sicherheitsrates eigenmächtig einen Luftkrieg gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien geführt. Diesen begründete das Bündnis mit einer „humanitären Katastrophe“, die andernfalls im Kosovo drohe.

Beteiligung am Nation Building sorgte für zunehmenden Argwohn in Moskau

Die NATO war 2001 auch am Einmarsch einer US-geführten Koalition in Afghanistan beteiligt. Dieser war jedoch nach dem 11. September 2001 vom UNO-Sicherheitsrat und damit auch von Russland autorisiert worden. In den 2000er-Jahren strebte die NATO zudem ein „Raketenschild“ in Osteuropa an, das angeblich nur gegen den Iran gerichtet sein sollte. Russland bezweifelte diese Darstellung.

Im Jahr 2011 rief die NATO eine Flugverbotszone über Libyen aus, wo ein Bürgerkrieg zwischen Rebellen und der Regierung von Machthaber Muammar al-Gaddafi tobte. Zudem flog das Bündnis selbst Luftangriffe gegen Regierungstruppen, was den Rebellen die Machtübernahme ermöglichte. Das Bündnis berief sich bezüglich seines Eingreifens auf die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates. Diese ermächtigte die internationale Gemeinschaft zu „militärischen Maßnahmen zum Schutz von Zivilisten in Libyen“.

Russland hatte allerdings zuvor nicht von seiner Möglichkeit Gebrauch gemacht, gegen die Resolution im UN-Sicherheitsrat ein Veto einzulegen. Die Regierung in Moskau hatte dem Westen zuvor vorgeworfen, durch die Vorbereitung der Resolution die russischen Bestrebungen zur Erreichung eines Waffenstillstands zwischen Gaddafi und den Rebellen zu unterminieren.



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