Regierungsbildung in Österreich: Machtkampf um Justizministerium könnte Koalition gefährden

In Österreich soll bis zum Ende des Monats eine neue Regierung stehen. Das hatte Mitte Februar der Vorsitzende der konservativen ÖVP, Christian Stocker, angekündigt. Zuvor waren mehrwöchige Gespräche seiner Partei mit Sozialdemokraten und liberalen NEOS, später auch jene mit der FPÖ, gescheitert.
Die Nationalratswahl hatte am 29. September des Vorjahres stattgefunden. In der Öffentlichkeit macht sich Unmut angesichts der ergebnislosen Gespräche breit. Vielfach werden Rufe nach Neuwahlen laut. Die beiden Traditionsparteien ÖVP und SPÖ haben sich zuletzt optimistisch bezüglich einer zeitnahen Regierungsbildung geäußert. Auch soll es Kompromisse in heiklen Fragen wie Vermögens- und Bankensteuer geben.
Justizministerium in Österreich wird wohl nicht mit parteilosem Minister besetzt
Vor allem in einem Bereich zeichnet sich zwischen den möglichen Koalitionären jedoch Konfliktpotenzial ab. Es geht dabei um die Besetzung des Justizministeriums. Ebenso wie das Finanzministerium soll dieses an die SPÖ gehen. Entgegen dem Ersuchen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen wollen die Sozialdemokraten dieses jedoch nicht mit einem Unabhängigen, sondern einem Parteimitglied besetzen.
Die Namen, die bislang genannt werden, bieten Zündstoff. Einer davon ist der des Richters Oliver Scheiber. Er hatte unter anderem an der Konzeption der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) mitgewirkt und 2022 das „Rechtsstaat & Antikorruptionsvolksbegehren“ mitinitiiert.
Die ÖVP hatte im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den früheren Kanzler Sebastian Kurz und dessen Umfeld der WKStA parteiisches Verhalten vorgeworfen. Das Volksbegehren war auch vorwiegend gegen die Konservativen gerichtet. Ein nicht genannter ÖVP-Funktionär aus dem Umfeld des Verhandlungsteams erklärte gegenüber „oe24“, würde die SPÖ ihn nominieren, „könnte die ganze Koalition noch platzen“.
SPÖ-Favoritin Duzdar wegen früherer Äußerungen unter Beschuss
Aber auch der Name einer anderen möglichen Justizministerin sorgt für Wirbel in der ÖVP. Es handelt sich um Muna Duzdar. Die Rechtsanwältin ist bereits seit 2001 in der Politik und saß unter anderem im Bundesrat, zweimal im Nationalrat und im Wiener Gemeinderat. Unter Bundeskanzler Christian Kern war sie Staatssekretärin für Diversität, Öffentlichen Dienst und Digitalisierung.
Duzdar ist fachlich qualifiziert und gilt als enge Vertraute von Parteichef Andreas Babler. Allerdings steht die arabischstämmige Wienerin und frühere Vereinspräsidentin der Palästinensisch-Österreichischen Gesellschaft (PÖG) ebenfalls unter Beschuss durch den potenziellen Koalitionspartner.
Dabei sind es nicht Äußerungen wie jene, dass Israel in Gaza einen „Genozid“ verübe, die man ihr zum Vorwurf macht – obwohl dies nach der Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) als Merkmal eines sekundären Antisemitismus gilt. Vielmehr stört sich die ÖVP daran, dass Duzdar im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg Kritik an der Erweiterungspolitik der NATO geübt hatte. Aus der ÖVP heißt es nun, Aussagen wie diese in einem Social-Media-Post hätten „in einem demokratischen Land wie Österreich nichts verloren“.
Ehemaliger ORF-Chef als Finanzminister im Gespräch
Als mögliche Kompromisskandidatin gilt die in Tirol aufgewachsene Austrotürkin Selma Yildirim. Die frühere Aufsichtsrätin einer kommunalen Wohnungsgesellschaft und stellvertretende Bundesfrauenvorsitzende fungierte bereits seit längerer Zeit als justizpolitische Sprecherin ihrer Partei. Anders als gegen Scheiber oder Duzdar dürfte die ÖVP gegen ihre Person keine grundsätzlichen Einwände haben.
Als Finanzminister ist der von 2007 bis 2021 amtierende frühere Generalsekretär des öffentlich-rechtlichen ORF, Alexander Wrabetz, im Gespräch. Seit 2022 ist dieser Präsident des Traditionsfußballklubs SK Rapid Wien. Der Jurist gilt als enger Vertrauter der früheren Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Werner Faymann. Zudem hatte er 1983 den ersten erfolgreichen Vorzugsstimmenwahlkampf der österreichischen Geschichte organisiert – für den späteren Klubobmann Josef Cap.
Die SPÖ soll nach derzeitigem Stand auch die Ressorts Soziales und Gesundheit, Infrastruktur und Frauen besetzen. Als Namen sind Korinna Schumann, Sven Hergovich und Eva-Maria Holzleitner im Gespräch. Außerdem ist Bernd Hinteregger als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium vorgesehen, das Wolfgang Hattmannsdorfer oder Barbara Eibinger-Miedl für die ÖVP übernehmen könnte.
Gegen „Koalition der Verlierer“ in Österreich: FPÖ will möglichst schnelle Neuwahlen
Die ÖVP soll weiterhin das Innen- und das Verteidigungsministerium stellen – wobei die derzeitigen Amtsinhaber Gerhard Karner und Klaudia Tanner voraussichtlich im Amt bleiben. Der designierte Kanzler Christian Stocker soll die frühere Chefin der „Jungen ÖVP“ (JVP) und Staatssekretärin Claudia Plakolm als Kanzleramtsministerin zur Seite gestellt bekommen.
Um die von einer Stimme Mehrheit abhängige Koalition auf eine breitere Basis zu stellen, will Stocker die NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger zur Außenministerin und ihren Stellvertreter Sepp Schellhorn zum Staatssekretär ernennen. Vizekanzler und SPÖ-Chef Andreas Babler ist bis dato für kein weiteres Ressort vorgesehen. Der „Standard“ deutet jedoch an, dass es noch weitere Staatssekretäre geben könnte. Die SPÖ will am Dienstagabend, 25. Februar, über die Personalfragen eine endgültige Entscheidung treffen.
Unterdessen will FPÖ-Chef Herbert Kickl in die Offensive gehen. Am Mittwoch steht eine Plenarsitzung des Nationalrats bevor. Darin will die Partei Neuwahlen fordern und Anträge zur Migration und zum sogenannten politischen Islam stellen. Für Letztgenannten soll ein Verbotsgesetz gefordert werden. Zudem will die FPÖ das Aus für das automatische Anrecht anerkannter Asylsuchender auf die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen. Dies sei, so Kickl, angesichts des zehnjährigen Jubiläums des „Grenzsturms von 2015“ von besonderer Dringlichkeit. Der FPÖ-Chef warnte vor einer „Koalition der Verlierer“, für die man im Land kein Verständnis habe.
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