Prozess von Gisèle Pelicot: „Die Scham muss die Seite wechseln“
Die 72-Jährige Gisèle Pelicot ist in Frankreich zu einer Heldin geworden, ihr Prozess – Vergewaltigungen unter Betäubung – wirkt tief in die Gesellschaft hinein. Der Prozess hat Fragen in das Bewusstsein der Gesellschaft getragen, die bislang vor allem von Frauenrechtlerinnen erörtert wurden. Das Urteil soll am Donnerstagvormittag verkündet werden, eine Verzögerung bis Freitag ist möglich.
Eines ihrer Ziele war, dass sich ihre Enkelkinder nicht für ihren Namen schämen müssen. Noch bevor das Urteil gesprochen ist, steht fest, dass sie erfolgreich ist.
Gisèle Pelicot: „Die Scham muss die Seite wechseln“
Während in Vergewaltigungsprozessen sehr häufig Aussage gegen Aussage steht, war die Beweislast in diesem Verfahren erdrückend. Gisèle Pelicot blieb ihrer Linie treu und setzte durch, dass ein Teil der Bilder im Gerichtssaal gezeigt wurde.
„Die Scham muss die Seite wechseln“, lautet ihr Leitspruch in dem Prozess. „Sie hatte recht damit“, resümierte Staatsanwältin Laure Chabaud in ihrem Schlussplädoyer.
„Im Jahr 2024 kann niemand mehr sagen: ‚Sie hat nichts gesagt, also war sie einverstanden'“, betonte Chabaud. Keiner der 51 Angeklagten habe die „fehlende Zustimmung“ des Opfers übersehen können.
Und doch beharrten viele von ihnen bis zuletzt auf ihrer Darstellung: Sie hätten nicht die Absicht gehabt, die Frau zu vergewaltigen. Oder auch: Die Anwesenheit ihres Mannes reiche aus, um ihre Zustimmung vorauszusetzen.
Was macht eine Vergewaltigung aus?
Chabaud rührte damit an die Grundfrage danach, was eine Vergewaltigung ausmacht: Reicht die Definition „Nein heißt Nein“ in einem Fall, in dem eine Frau nicht Nein sagen kann – etwa, weil sie wie im Fall von Gisèle Pelicot mit Schlafmittel bewusstlos gemacht wurde?
Wenn eine Frau nicht in der Lage ist, Nein zu sagen, bedeutet dies dann Ja – wie manche der Angeklagten argumentierten?
In Deutschland gilt das Prinzip „Nein heißt Nein“ seit 2016: Kommt es zum Sex, obwohl Frauen diesen ablehnen, dann handelt es sich um eine Vergewaltigung. Die Ablehnung kann durch Worte oder Gesten geschehen.
Im französischen Strafrecht ist hingegen festgeschrieben, dass Gewalt oder Zwang im Spiel sein müssen, um einen Täter wegen Vergewaltigung zu verurteilen. Von einer fehlenden Zustimmung des Opfers ist nicht die Rede.
Welche Kompetenzen werden der EU gegeben?
Im Mai wurde ein EU-Gesetz gegen verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen verabschiedet. Ursprünglich sollte darin auch festgelegt werden, dass Frauen Sex ausdrücklich zustimmen müssen, damit dieser als einvernehmlich gilt.
Das Prinzip „nur Ja heißt Ja“ gilt in Spanien und Schweden. Frankreich und Deutschland sperrten sich gegen eine entsprechende EU-weite Regelung – nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil dies ihrer Ansicht nach über die EU-Kompetenzen hinausgeht.
Kurz nach Beginn des Pelicot-Prozesses im August zeigte sich Frankreichs Justizminister Didier Migeaud offen dafür, das französische Strafrecht zu ändern. Da die Regierung inzwischen gestürzt ist, wurde daraus erstmal nichts.
Doch der Pelicot-Prozess hat Auswirkungen nicht nur mit Blick auf die Gesetzgebung. Vielen Menschen, die den Prozess verfolgten, wurde bewusst, wie viele scheinbar regelkonforme Ehemänner und Familienväter eine finstere Seite haben können, die niemand in ihrem Umfeld vermutet.
Unter den Angeklagten sind Journalisten, Informatiker und Krankenpfleger, sie heißen Jean-Luc, Paul und Christian. Die meisten der Täter hatten weder einen Migrationshintergrund noch waren sie vorbestraft.
Der Prozess von Avignon ist in vieler Hinsicht außergewöhnlich – durch die Brutalität der Taten und die Zahl der Angeklagten, vor allem aber, weil es insgesamt etwa 20.000 Fotos und Videos von den Verbrechen gibt. Dominique Pelicot hatte die Belege seiner Taten akribisch in einem Ordner namens „Missbrauch“ auf seiner Festplatte sortiert. (afp/red)
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