Proteste in Georgien – Lage spitzt sich zu

Die Abkehr vom EU-Kurs des Landes treibt die Menschen in der Südkaukasusrepublik Georgien auf die Straße. Auch der Nachbar Russland schaut genau hin.
Ein Großaufgebot von Sicherheitskräften und zahlreiche Demonstranten stehen sich bei den Protesten gegenüber.
Ein Großaufgebot von Sicherheitskräften und zahlreiche Demonstranten stehen sich bei den Protesten gegenüber.Foto: Zurab Tsertsvadze/AP/dpa
Epoch Times2. Dezember 2024

Die proeuropäischen Proteste in der Südkaukasusrepublik Georgien gegen den Kurs der nationalkonservativen Regierungspartei Georgischer Traum werden zunehmend von gewaltsamen Ausschreitungen in der Hauptstadt Tiflis geprägt.

Demonstranten und Polizei liefern sich zum Teil Straßenschlachten. Laut Meldungen georgischer Behörden gab es erneut zahlreiche Verletzte und Festnahmen wie in den vergangenen Tagen. Russland zieht indes Parallelen zur proeuropäischen Revolution auf dem Kiewer Maidan vor gut zehn Jahren.

Die Proteste in der Hauptstadt Tiflis (Tbilissi) und anderen großen Städten des Landes richten sich gegen eine Abkehr vom EU-Kurs der Regierung. Ministerpräsident Irakli Kobachidse hatte am vergangenen Donnerstag EU-Beitrittsverhandlungen bis 2028 auf Eis gelegt.

Am Montag bekräftigte der Regierungschef, er werde „keine Verhandlungen“ mit der Opposition“ führen. Zugleich versicherte er, ungeachtet der angekündigten Verzögerung strebe seine Regierung weiterhin den EU-Beitritt an.

„Ich möchte alle davon überzeugen, dass die europäische Integration nicht aufgeschoben wird, sondern mit maximalem Einsatz vorangetrieben wird“, sagte Kobachidse vor Journalisten.

Bei den Protesten vor dem Parlament in Tiflis schwenkten viele Demonstranten die Flagge Georgiens und EU-Fahnen. Einige Demonstranten schlugen an die Metalltür am Eingang des Gebäudes, andere warfen Feuerwerkskörper und Steine auf Polizisten.

Die Polizei in Georgien hat erneut Demonstrationen gewaltsam aufgelöst. Foto: GIORGI ARJEVANIDZE/AFP via Getty Images

In der Nacht rückten Bereitschaftspolizisten in voller Schutzmontur an und setzten Tränengas und Wasserwerfer ein, um die Demonstration aufzulösen.

Das Innenministerium meldete mehr als 200 Festnahmen in den vergangenen Tagen. Weitere Proteste werden erwartet.

Die in Gegnerschaft zur Regierung stehende georgische Präsidentin Salome Surabischwili erklärte am Montag im Onlinedienst X, es gebe „keinerlei Anzeichen“, dass die Protestbewegung im Land nachlässt.

Präsidentin wirft Polizei Gewalt vor

Surabischwili schrieb mit Blick auf die Demonstrationen vom Sonntag von einer „weiteren beeindruckenden Nacht, in der die Georgier entschlossen ihre Verfassung und ihre Entscheidung für Europa verteidigt haben“.

Der Polizei warf Surabischwili vor, festgenommene Demonstranten „systematisch“ zu schlagen. Die „Mehrheit“ der Festgenommenen habe Verletzungen am Kopf und im Gesicht sowie Knochenbrüche im Gesicht und offene Wunden.

Den EU-Beitritt hat Georgien in der Verfassung festgeschrieben. Kritik an der Abkehr kommt daher inzwischen nicht mehr nur auf der Straße. In verschiedenen Stellungnahmen distanzierten sich Medienberichten zufolge etwa Mitarbeiter des Außen-, Verteidigungs- und Bildungsministeriums sowie einige Richter von der Entscheidung der Regierung.

Universitäten stellten vorübergehend ihren Betrieb ein. Die georgischen Botschafter in Bulgarien und den Niederlanden reichten demnach ihren Rücktritt ein.

Ausland schaut auf Südkaukasusrepublik

Drastische Reaktionen gibt es auch aus dem Ausland. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen einigten sich auf nationale Sanktionen gegen die georgische Führung, wie die Außenminister wortgleich in Posts auf der Plattform X mitteilten. Die Strafmaßnahmen sollen sich demnach gegen diejenigen richten, die legitime Proteste unterdrücken.

Estland und Litauen untersagten demnach unter anderem dem georgischen Innenminister Wachtang Gomelauri sowie dem Milliardär Bidsina Iwanischwili die Einreise. Iwanischwili gilt als mächtigster Hintermann der Regierungspartei Georgischer Traum.

Die USA setzen ihre strategische Partnerschaft mit der Südkaukasusrepublik vorübergehend aus. Die Entscheidung der Regierungspartei Georgischer Traum, den EU-Beitrittsprozess auszusetzen, sei ein „Verrat an der georgischen Verfassung“, teilte der Sprecher des US-Außenministeriums mit.

Der EU-Beitritt ist in der georgischen Verfassung festgeschrieben.

Der EU-Beitritt ist in der georgischen Verfassung festgeschrieben. Foto: Zurab Tsertsvadze/AP/dpa

In einer Mitteilung bedauerte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die Entscheidung der Regierung gegen die EU und ihre Werte. Die Europäische Union stehe dennoch an der Seite der Georgier und deren Entscheidung für eine europäische Zukunft, schrieb sie ebenfalls am Wochenende.

Das ukrainische Außenministerium verurteilte die „Gewaltanwendung“ durch die georgische Polizei gegen Demonstranten und erklärte, dies werde „nicht ohne Folgen“ bleiben.

Reaktion aus Deutschland

In Berlin sagte Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner, die Bundesregierung stehe „an der Seite der Menschen in Georgien, die sich für die europäischen Werte, Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenrechte engagieren und von ihrer Regierung eine entsprechende Korrektur erwarten“.

Ein Sprecher des Außenministeriums erklärte, Deutschland verfolge „die Entwicklung mit Sorgen“. Er fügte an: „Die Tür nach Europa bleibt für Georgien offen.“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier telefonierte nach Angaben seiner Sprecherin mit seiner georgischen Amtskollegin Surabischwili.

Steinmeier erklärte demnach im Anschluss, die georgische Regierung breche mit dem europäischen Weg, Europa werde „Konsequenzen für den Umgang mit der Regierung ziehen“, stehe aber „den europäischen Hoffnungen der Zivilbevölkerung offen gegenüber“.

Russland zieht Parallele zu Ukraine

Auch Russland blickt auf die Proteste in dem kleinen Nachbarland. „Wir haben ähnliche Ereignisse in einer ganzen Reihe von Ländern gesehen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Russland wirft dem Westen immer wieder vor, im postsowjetischen Raum sogenannte Farbenrevolutionen anzuzetteln.

Das Vorgehen der Behörden bezeichnete Peskow als „Maßnahmen zur Stabilisierung und Beruhigung der Lage“. Die Proteste seien ein „Versuch, die Lage anzuheizen“.

„Die direkteste Parallele, die man ziehen kann, sind die Ereignisse auf dem Maidan in der Ukraine“, sagte Peskow russischen Agenturen zufolge. Damals hatten in Kiew auf dem Unabhängigkeitsplatz Menschen für einen EU-Kurs des Landes demonstriert und letztlich den russlandfreundlichen Präsidenten Wiktor Janukowytsch gestürzt.

Fälschungsvorwürfe bei Parlamentswahl

Die Lage in der ehemaligen Sowjetrepublik ist seit der Parlamentswahl vom 26. Oktober angespannt. Die Wahlkommission hatte die Regierungspartei Georgischer Traum mit rund 54 Prozent zur Siegerin erklärt. Die Opposition wirft ihr jedoch Wahlbetrug vor und boykottiert das neue Parlament. Bereits das löste Proteste gegen das offizielle Ergebnis aus.

Die prowestliche Opposition und die proeuropäische Präsidentin Salome Surabischwili erkennen das Ergebnis nicht an und fordern eine Wiederholung der Wahl. Die Opposition will ihre Mandate nicht annehmen und betritt das Parlament nicht.

Wegen einer anhängigen Klage Surabischwilis beim Verfassungsgericht gibt es Streit über die Rechtmäßigkeit des Parlaments. Dort tagt der Georgische Traum derzeit ohne die Opposition. (dpa/afp/red)



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