Proteste gegen die algerische Führung trotz Demonstrationsverbot: „Bouteflika hau‘ ab!“

Algerien brodelt: Nachdem der greise Staatschef Bouteflika angekündigt hatte, erneut zur Präsidentschaftswahl anzutreten, protestieren immer mehr Menschen gegen die Führung des Landes.
Titelbild
Am 3. März 2019 in der nordöstlichen Stadt Annaba – Protestkundgebung gegen die Ankündigung des 82-jährigen Abdelaziz Bouteflika, sich erneut an den Wahlen am 18. April zu beteiligen.Foto: STRINGER/AFP/Getty Images
Epoch Times3. März 2019

In Algerien sind kurz vor der Ablauf der Frist für die Kandidaturen zur Präsidentschaftswahl am Sonntag zehntausende Menschen gegen die Führung des Landes auf die Straße gegangen. Ihr Protest richtet sich nicht nur gegen eine fünfte Amtszeit des greisen Staatschefs Abdelaziz Bouteflika, sondern inzwischen gegen die Führung des Landes insgesamt.

Die Frist, um eine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl am 18. April offiziell einzureichen, endet Sonntag um Mitternacht. Bisher haben sich sechs Kandidaten für die Wahl registrieren lassen, darunter der pensionierte General Ali Ghediri. Der bei jungen Menschen beliebte Geschäftsmann Rachid Nekkaz hat angekündigt, seine Kandidatur am Sonntag offiziell einzureichen.

„Bouteflika hau‘ ab!“

Seit Bouteflika Mitte des Monats angekündigt hat, bei der Präsidentschaftswahl am 18. April für eine fünfte Amtszeit kandidieren zu wollen, kommt es überall im Land zu Demonstrationen. Hunderttausende waren es in den vergangenen Tagen und auch am Freitag versammelten sich allein in der Hauptstadt Algier wieder etwa zehntausend Menschen. Sie forderten, dass Bouteflika nicht erneut antritt.

Algerier protestierten auch in Annaba, 570 Kilometer westlich von Algier am 1. März 2019. Foto: -/AFP/Getty Images

„Bouteflika soll sich zurückziehen, bevor es zu spät ist“, sagt der 23-jährige Student Yassin aus Algier. „Die Korruption, die Bürokratie, die wirtschaftliche Lage: Das ist alles mehr als schlimm.“ Es wurde ein Demonstrationsverbot in der algerischen Hauptstadt ausgesprochen.

Es kam zu Ausschreitungen, die Polizei setzte Tränengas ein, dutzende Menschen wurden verletzt. Mehr als 100 Studenten versammelten sich am Sonntag in der Nähe der Universität im Zentrum von Algier. Sie skandierten: „Bouteflika hau‘ ab!“ Mehrere Universitätsstandorte Algiers wurden von der Polizei blockiert. Das gelte insbesondere für die juristische Fakultät unweit des Verfassungsgerichts, wo Präsidentschaftsanwärter bis Sonntagabend ihre Kandidaturen einreichen mussten.

Die Polizei rückte zu einem Großeinsatz am Gerichtssitz aus. Die Straße zu dem Gebäude wurde gesperrt. Journalisten, welche über die Ankunft von Kandidaten berichten wollten, wurden in ein Zimmer gesperrt.

„Wir haben keine Wahlen. Das Regime entscheidet, wer Präsident wird“

Dabei galt Bouteflika lange Zeit als Garant der Stabilität in Algerien. Unterstützt vom Militär gewann er 1999 die Wahl. Das Militär sah in ihm die geeignete Person, das Land nach dem verheerenden Bürgerkrieg der 1990er Jahre wieder zu einen. Algeriens „schwarzes Jahrzehnt“ hat je nach Schätzungen zwischen 60.000 und 200.000 Todesopfer gefordert.

Seitdem sei den Algeriern schon vor der Wahl klar, wer am Ende Präsident werde, sagt der politische Analyst und frühere Abgeordnete Mustapha Bouchachi. „Wir haben keine Wahlen. Das Regime entscheidet, wer Präsident wird, und bittet dann die Menschen, das abzusegnen.“ In Algerien entscheide „le pouvoir – die Macht“. Wer zu dieser Klasse aus Clans, Militärs und einflussreichen Personen gehört, ist vielen Beobachtern unklar.

Während der Proteste in Algier am 1. März 2019. Foto: RYAD KRAMDI/AFP/Getty Images

Mit der Entscheidung, Bouteflika erneut kandidieren zu lassen, habe „le pouvoir“ einen großen Fehler gemacht. „Jeder im Land weiß, dass Bouteflika nicht mehr in der Lage ist, die Geschäfte zu führen“, sagt Bouchachi.

Die erneute Kandidatur sehen viele Algerier jetzt als Demütigung an.“

Proteste wurden von Studenten und Medien aus zahlreichen anderen Städten des Landes gemeldet. In der Stadt Annaba, etwa 400 Kilometer östlich von Algier, demonstrierten mehrere hundert Studierende, sagte ein Lokaljournalist.

Bouteflika sei eine Marionette seines Umfelds

Seit sechs Jahren habe sich Bouteflika nicht mehr an sein Volk gewandt. Kritiker halten den gebrechlichen Staatschef, der derzeit medizinisch in der Schweiz behandelt wird, daher für eine Marionette seines Umfeldes.

Am 3. März 2019 wurde auch in Paris am Place de la Republique gegen Abdelaziz Bouteflika und dessen Landesführung demonstriert. Foto: JACQUES DEMARTHON/AFP/Getty Images

Der gesundheitlich angeschlagene Staatschef tritt öffentlich kaum noch in Erscheinung. Seit einem Schlaganfall 2013 sitzt der 1937 geborene Bouteflika im Rollstuhl. Immer häufiger sagt er politische Treffen und öffentliche Auftritte ab. Am Sonntag hätte er eigentlich die neue Große Moschee von Algier einweihen sollen. Aber er müsse zu medizinischen Untersuchungen nach Genf reisen, teilte der Präsidentenpalast kurz vorher mit. Auch die Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde im Frühjahr 2017 spontan abgesagt, als ein Teil der Delegation schon in Berlin am Flughafen war.

Die Beziehungen zwischen Berlin und Algier sind gut. Deutschland liegt international auf Platz fünf bei den Einfuhren aus Algerien. Die Bundesrepublik importiert vor allem Öl und Erdgas. Im Gegenzug liefert Deutschland Maschinen und Autos – und Rüstungsgüter. Algerien ist der beste Abnehmer der deutschen Rüstungsindustrie.

„Sorgsam choreographierte und stark kontrollierte Wahl“

Trotz der wirtschaftlichen Probleme Algeriens, der hohen Arbeitslosigkeit und der Unzufriedenheit der jungen Generation blieb das Land unter Bouteflika nach außen hin relativ stabil. Die bisherigen Wahlen liefen nach gut eingespieltem Muster, wie in einer von Wikileaks veröffentlichten Nachricht der amerikanischen Botschaft in Algier schon 2009 nachzulesen war.

„Zu niemandes Überraschung ist Präsident Abdelaziz Bouteflika zu seiner dritten Amtszeit gewählt worden“, hieß es in dem als „vertraulich“ eingestuften Bericht. Bouteflika gewann damals mit 90 Prozent der Stimmen, und schon damals war das alles dominierende Thema die Perspektivlosigkeit der Jugend.

Die US-Botschaft spricht dann auch von einer „sorgsam choreographierten und stark kontrollierten Wahl“. Im Volk machte sich immer mehr Resignation breit. Bei den letzten Parlamentswahlen vor zwei Jahren gingen gerade einmal 38 Prozent zur Wahl – nach offiziellen Angaben.

Aber die Zeit der Lethargie ist vorbei. Premierminister Ahmed Ouyahia hatte, um den Protest einzudämmen, die Forderungen der Demonstrationen dann auch als legitim bezeichnet. Der richtige Ort, sagte der Premier, sei aber die Wahlurne.

An die glaubt jedoch kaum noch jemand in Algerien. „Alle vereint“, hieß es im Vorfeld der Freitagsdemonstrationen in einem Aufruf des Bündnisses Mouwatana. „Wir marschieren, um unsere Souveränität zurückzubekommen.“ (afp/ks)

 



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