Präsident Lula in Berlin: Kommt das Freihandelsabkommen Mercusor?

Seit vielen Jahren wird über eine der größten Freihandelszonen der Welt in Europa und Südamerika verhandelt. Heute treffen sich Kanzler Olaf Scholz und der brasilianische Präsident Lula da Silva in Berlin zu nächsten Beratungen.
Titelbild
Brazilian Präsident Luiz Inacio Lula da Silva (R) und Bundeskanzler Olaf Scholz (L) in Brasilia, 30. Januar 2023.Foto: SERGIO LIMA/AFP via Getty Images
Epoch Times4. Dezember 2023

Nach achtjähriger Pause kommen die Regierungen Deutschlands und Brasilien erstmals wieder zu umfassenden Beratungen über ihre Zusammenarbeit zusammen. Unter der Leitung von Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Luiz Inácio Lula da Silva wird es heute im Berliner Kanzleramt um die wirtschaftliche Zusammenarbeit, Energie und Klimaschutz sowie die Außen- und Sicherheitspolitik gehen.

Zur Frage steht erneut das Freihandelsabkommen zwischen der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur und der Europäischen Union. Über dieses wird seit Jahren verhandelt.

Dem Zusammenschluss gehören unter anderem Brasilien, Argentinien, Paraguay und Bolivien an. Eine grundlegende Vereinbarung gibt es bereits seit 2019. Vor allem Brasilien machte im August deutlich, dass an weitere Schritte gegenwärtig nicht zu denken sei.

Deutliche Absagen aus Brasilien und Paraguay

Einer der Gründe dafür sind europäische Forderungen an die Freihandelspartner in spe, die wenig mit dem Handel selbst zu tun haben. Unter anderem geht es um die Gestaltung der Umwelt- und Klimapolitik, mit Blick auf Länder wie Brasilien vor allem um den Umgang mit dem Regenwald. Auch deutsche Landwirte und Agrarverbände hadern mit dem Abkommen.

Auch im August haben sich die Gesprächsparteien noch nicht angenähert. Wie die „Welt“ berichtet, betonte insbesondere Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, Belehrungen aus Brüssel nicht akzeptieren zu wollen. Europas Forderungen an die Mercosur-Staaten hemmten deren Entwicklung. In diesem Zusammenhang habe Lula geäußert:

Wir können keinen grünen Neokolonialismus akzeptieren, der unter dem Deckmantel des Umweltschutzes Handelshemmnisse einführt.“

Widerstand der Landwirte

Auch die hiesigen Landwirte leisten Widerstand gegen das Handelsabkommen. So wollte der Deutsche Bauernverband im Sommer 2023, dass der landwirtschaftliche Teil des Abkommens neu verhandelt wird. Dabei fordern sie, dass südamerikanische Bauern vergleichbare Mindestanforderungen an Klima-, Umwelt- und Tierschutz erfüllen müssen. Ansonsten würden (Billig-)Importe die heimischen Produkte verdrängen, die aufgrund der strengen EU-Vorschriften viel teurer herzustellen sind.

Die Freien Bauern, die Interessenorganisation der bäuerlichen Familienbetriebe, verlangen zwar keine neuen Verhandlungen, sprechen sich aber dafür aus, Lebensmittel, die regional in ausreichender Menge produziert werden können, aus Handelsverträgen herauszunehmen. Das verkünden sie in einer Pressemitteilung.

Und selbst wenn für die Landwirtschaft der Mercosur-Staaten dieselben strengen Regeln gelten würden wie in der Europäischen Union, wären, so Jann-Harro Petersen von der Bundesvertretung der Freien Bauern, die geplanten Agrarimporte niemals nachhaltig. „Wenn mit Schweröl betankte Containerschiffe Massengüter um die halbe Welt transportieren, kann das nicht gut fürs Klima sein – das haben wir mal von den Grünen gelernt, da hatten sie sogar recht.“

Freihandelszone mit über 700 Millionen Einwohnern

Mit dem Abkommen würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Einwohnern entstehen. Die deutsche Wirtschaft fordert einen schnellen Abschluss.

Der Grünen-Parteitag hatte zuletzt aber gegen den Willen des Bundesvorstands Nachverhandlungen verlangt, um dem „intensiven Abbau von Rohstoffen im globalen Süden für den Konsum des globalen Nordens“ ein Ende zu setzen. Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP dagegen machte vor wenigen Tagen im Bundestag deutlich, zum geplanten Handelsabkommen zu stehen.

Zahlreiche Vereinbarungen geplant

An dem Treffen nehmen auf beiden Seiten mehrere Minister teil, auf deutscher Seite sind es neun. Es sollen zahlreiche Vereinbarungen unterzeichnet werden, unter anderem zur Artenvielfalt und zum Meeresschutz, zur Wiederaufforstung von Regenwäldern, zur Digitalisierung und Gewinnung mineralischer Rohstoffe.

Brasilien hat am 1. Dezember den Vorsitz der G20-Runde der führenden Wirtschaftsmächte übernommen und richtet im nächsten Jahr den Gipfel in Rio de Janeiro aus. Es ist aber auch in der Brics-Gruppe mit China, Russland und Indien vertreten, die von vielen als Konkurrenz zur G7 der westlichen Industrieländer gesehen wird.

Sicherheitspolitisch gibt es deutliche Differenzen zwischen Deutschland und Brasilien, unter anderem zum Gaza- und zum Ukraine-Krieg.

Während sich Deutschland lediglich für Feuerpausen zwischen Israel und der islamistischen Hamas einsetzt, um humanitäre Hilfe zu ermöglichen, fordert Brasilien eine sofortige und dauerhafte Waffenruhe. Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine setzt sich Brasilien seit langem für Friedensverhandlungen ein, während Deutschland die Entscheidung darüber der Ukraine überlässt.

Beratungspause während Bolsonaro

Die Bundesregierung verabredet sich regelmäßig mit Ländern zu Regierungskonsultationen, mit denen es eine besonders enge Partnerschaft gibt oder die für Deutschland von besonders großer strategischer Bedeutung sind. Die Kabinette Deutschlands und Brasiliens hatten sich 2015 erstmals in Brasília getroffen, um ihre Beziehungen breiter aufzustellen.

Unter dem Präsidenten Jair Bolsonaro lagen die Konsultationen auf Eis. Nach der Rückkehr von Lula an die brasilianische Staatsspitze wurde die Idee wiederbelebt. Im Januar vereinbarten Lula und Scholz bei dessen Antrittsbesuch in Brasilia, die Beratungen wieder aufzunehmen. (dpa/red)



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