Portugal: Schwierige Regierungsbildung nach Rechtsruck – Konservative schließen Bündnis mit Chega! aus

In Portugal hat das konservative Bündnis DA unter Führung des PSD einen knappen Sieg errungen. Ob ihr Spitzenkandidat Luis Montenegro eine Regierung bilden kann, ist aber ungewiss. Er hat eine Koalition mit der Rechtsaußen-Partei Chega! ausgeschlossen – diese kam jedoch auf 18 Prozent.
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DA-Spitzenkandidat Luis Montenegro steht in Portugal vor einer schwierigen Regierungsbildung. Eine Koalition mit der rechten Chega! schließt er aus.Foto: MIGUEL RIOPA/AFP
Von 11. März 2024

Am Sonntag, 10. März, wählte Portugal sein neues Parlament. Der Urnengang war erforderlich geworden, nachdem die sozialistische Regierung unter Premierminister António Costa an einem Korruptionsskandal zerbrochen war. Bei einer Wahlbeteiligung von 66,2 Prozent (plus 0,1) zeichnet sich bei einem Auszählungsstand von 99,01 Prozent ein politisches Patt ab. Die Konservativen liegen knapp voran, der Sieger des Abends aber ist die weit rechte Partei Chega!, die ihr Ergebnis mehr als verdoppeln konnte. Ausgezählt werden müssen noch die Stimmen aus dem Ausland. Signifikante Verschiebungen sind davon nicht mehr zu erwarten.

PS-Spitzenkandidat Santos als „Kaviar-Linker“ wahrgenommen

Mit etwas über 1,8 Millionen Stimmen liegt das DA-Bündnis unter Führung der konservativen Sozialdemokratischen Partei (PSD) nur wenige zehntausend Stimmen vor den Sozialisten (PS). Mit 29,5 Prozent hat das Bündnis schlechter abgeschnitten, als in den Umfragen vorhergesagt wurde – und sogar 1,2 Prozentpunkte gegenüber 2022 eingebüßt. Spitzenkandidat Luis Montenegro muss nun nach einem Bündnispartner suchen – bei 79 Sitzen fehlen ihm 37 für eine parlamentarische Mehrheit.

Den erwarteten Absturz erlebten die Sozialisten, die 12,7 Prozentpunkte einbüßten und nur noch auf 28,7 Prozent und 77 Sitze kommen. Sie hatten ihren vorherigen Chef Costa gegen Pedro Nuno Santos ausgetauscht.

Analysten zufolge bemühte dieser sich im Wahlkampf darum, den Schaden zu begrenzen und den Draht zur Stammwählerschaft wiederherzustellen. Am Ende blieb dennoch der Eindruck des „Kaviar-Linken“ an dem Industriellensohn haften. Dies schadete der Partei ebenso wie der Korruptionsskandal um „Energiewende“-Projekte, in den zwar Costa nicht persönlich, aber immerhin sein engstes Umfeld involviert waren.

Konservative schließen Zusammenarbeit mit Chega! aus

Wollen die Konservativen eine Regierung bilden, haben sie exakt zwei Möglichkeiten: Die eine ist, mit den Sozialisten eine Große Koalition zu bilden. Wie beliebt diese bei den Wählern wäre, ist ungewiss.

Die andere ist, ein Übereinkommen mit dem großen Gewinner anzustreben: André Ventura hat mit Chega! [„Genug!“] fast elf Prozentpunkte zugelegt. Die 2019 gegründete Formation kommt jetzt auf 18,1 Prozent und 46 Sitze. Ventura hat bereits am Wahlabend verkündet, das Zweiparteiensystem in Portugal sei am Ende.

Eine Zusammenarbeit mit der Partei schloss Montenegro jedoch aus. Diese Ansage bezieht sich definitiv auf eine Regierungsbeteiligung der Rechtsaußen-Partei. Ob sie auch die Duldung eines Minderheitenkabinetts umfasst, wird sich zeigen.

Vormarsch der Rechten vorrangig in den ländlichen Regionen

Der frühere Priesterschüler, Erotikautor und Sportkommentator Ventura war vor der Gründung von Chega! selbst Mitglied des PSD. Dort fiel er 2018 durch rassistische Kommentare über die lokale Roma-Community in Lissabon auf. Wegen ähnlicher Äußerungen über eine dunkelhäutige Familie in einem Armenviertel der Hauptstadt wurde er sogar gerichtlich verurteilt.

Zwar verzichtete Ventura seit seinem ersten Einzug ins Parlament 2019 zunehmend auf extreme Äußerungen. Seine Anhängerschaft in den sozialen Medien konnte diesen Mäßigungsprozess jedoch nicht durchgehend nachvollziehen.

Mit dem Thema Korruption jedoch traf Chega! den Nerv eines nicht unerheblichen Teils der Bevölkerung. Auch die Bekämpfung der Kriminalität – Ventura fordert unter anderem die chemische Kastration von Serienvergewaltigern – war vielen Bürgern in Portugal ein Anliegen.

Die Partei forderte zudem eine Schließung der Grenzen vor dem Hintergrund einer steigenden Anzahl an irregulären Grenzübertritten. In ländlich geprägten Provinzen wie Beja, Évora, Guarda, Faro und Santarém lag Chega! mandatsmäßig gleichauf mit den beiden großen Parteien. In Setúbal zog die Partei mit der DA gleich.

Chega! hat die Grundstimmung in der Bevölkerung am besten erkannt

Zu den Erfolgsgeheimnissen der Chega! gehört zudem deren Medienstrategie. In sozialen Netzwerken wie X, Instagram oder TikTok ist die Partei der etablierten Konkurrenz seit Längerem weit voraus. Dies machte sich vor allem in einem hohen Stimmenanteil unter jüngeren Wählern bemerkbar.

Generell spielte die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Portugal der Rechten in die Hände. Der Durchschnittsverdienst vor Steuern liegt in Portugal gerade einmal bei knapp 1.500 Euro. Etwa drei Millionen Beschäftigte erzielen Einkommen unter 1.000 Euro.

Die Anzahl der Familien ohne Hausarztversorgung ist von 1,4 Millionen im Jahr 2022 auf 1,7 Millionen gestiegen. In dieser Situation kommen Probleme wie Wohnungsnot und Inflation dazu. Immer häufiger macht sich die Unzufriedenheit in Streikwellen bemerkbar. Dazu kommen politische Diskurse rund um Gender und Feminismus – die vorwiegend von männlichen Portugiesen in der gegebenen Situation als abgehoben oder vielfach sogar als Verhöhnung aufgefasst werden.



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