Polens Regierung geht vor EU-Gipfel offen auf Konfrontationskurs – Gegen Wiederwahl von Donald Tusk
Paukenschlag kurz vor dem EU-Gipfel: Die nationalkonservative polnische Regierung will eine Wiederwahl des polnischen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk mit allen Mitteln verhindern. Sie präsentierte am Wochenende kurzfristig den Europaabgeordneten Jacek Saryusz-Wolski als Gegenkandidaten. Auch wenn der 68-Jährige gegen Tusk als chancenlos gilt, treten nun zwei Polen um den Brüsseler Spitzenjob in einer Kampfkandidatur gegeneinander an.
Polens rechtsnationale Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sucht damit offen die Konfrontation beim EU-Gipfel ab Donnerstag. Noch nie wurde ein Ratspräsident gegen den Willen seiner Heimatregierung ernannt.
Doch der ehemalige polnische Regierungschef Tusk hat unter den 28 Mitgliedstaaten genügend Unterstützung für eine zweite Amtszeit von zweieinhalb Jahren. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel steht hinter Tusk, dessen liberal-konservative Bürgerplattform wie die CDU zur Europäischen Volkspartei (EVP) gehört.
Seit die PiS 2015 an die Macht kam, hat sich das Verhältnis Warschaus zur EU dramatisch verschlechtert. Polen gehört zu den osteuropäischen Ländern, die eine Umverteilung von Flüchtlingen in Europa vehement ablehnen.
Wegen der Beschneidung der Unabhängigkeit des polnischen Verfassungsgerichts prüft die EU-Kommission darüber hinaus erstmals überhaupt bei einem Mitgliedstaat einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien. Nach erfolglosen Ermahnungen und Dialogversuchen könnte Brüssel demnächst eine weitere Verfahrensstufe zünden, die bis zum Stimmrechtsentzug in der EU führen kann.
Tusk hat es lange vermieden, sich persönlich mit Warschau anzulegen. In der Flüchtlingsfrage sprach er von „politischer Nötigung“, als die EU-Innenminister ihre osteuropäischen Kollegen im September 2015 bei der Umverteilung von zehntausenden Migranten in Europa überstimmten.
Im Streit um die Rechtsstaatlichkeit bezog er erst offen Stellung, als die PiS auch die Parlamentsberichterstattung einschränken wollte. Im Dezember mahnte er Warschau zum „Respekt“ gegenüber den „verfassungsrechtlichen Prinzipien und Werten“.
Die PiS-Führung um Parteichef Jaroslaw Kaczynski warf dem 59-jährigen Tusk nun vor, „gegenüber dem EU-Mitgliedsland Polen das Gebot der Neutralität verletzt zu haben“. Tusk habe sich an der Spitze des Rats wiederholt gegen polnische Interessen gestellt und die Opposition in seinem Heimatland unterstützt.
Auf nationaler Ebene sind Kaczynski und Tusk seit vielen Jahren Erzrivalen. Der heutige EU-Ratspräsident hatte Kaczynski 2007 bei vorgezogenen Neuwahlen aus dem Amt des Ministerpräsidenten befördert und war dann selbst sieben Jahre lang Regierungschef. „Je weiter er von Polen weg ist, desto besser“, kommentierte der PiS-Chef dann 2014 Tusks Abgang nach Brüssel.
Im vergangenen Oktober griff Kaczynski Tusk wegen der Ermittlungen zum Absturz der polnischen Präsidentenmaschine 2010 in Russland an, bei der sein Zwillingsbruder Lech Kaczynski, der damalige Staatschef, starb. Die Art der Untersuchung sei ein „Skandal“ gewesen, wetterte Kaczynski, der nicht an ein Unglück, sondern an einen Anschlag glaubt. Mehrere Beteiligte, darunter auch Tusk, müssten dafür „auf die Anklagebank“.
Der von der PiS-Regierung nun für den EU-Job präsentierte Gegenkandidat Saryusz-Wolski ist durchaus kein Unbekannter. Nach dem Ende des Kommunismus war er ab 1991 Polens erster Regierungsbevollmächtigter für europäische Integration.
Im Europaparlament sitzt er seit 2004 und war bis 2007 auch einer seiner Vizepräsidenten. Bis Samstag gehörte Saryusz-Wolski der liberal-konservativen Bürgerplattform Tusks an – wurde aber postwendend aus der Partei ausgeschlossen, als er seine Kampfkandidatur erklärte.
Doch sein größtes Manko: Er war niemals Regierungschef, was als ungeschriebene Voraussetzung für den Spitzenposten in Brüssel gilt. Schließlich muss der Ratspräsident genügend Gewicht haben, um 28 Staats- und Regierungschefs bei Streitthemen auf eine Linie zu bringen. Oder wie es EVP-Sprecher Siegfried Muresan audrückt: „Man macht keinen Handball-Spieler zum Kapitän eines Fußballteams.“ (afp)
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