Polens EU-Ratspräsidentschaft: Sicherheit mit und für den polnischen Apfel
Am 1. Januar 2025 übernimmt Polen die rotierende EU-Ratspräsidentschaft. Guntram Wolff von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel erwartet einen „großen Unterschied“ zur bisherigen ungarischen Präsidentschaft. Die Regierung Viktor Orbán habe viele Mitgliedsländer „stark irritiert“. Deutsche Minister blieben teilweise Treffen in Ungarn fern. Orbáns Motto „Make Europe Great Again“ und seine Friedensmission zur Ukraine stießen auf Widerstand.
Polens Regierungschef Donald Tusk gilt dagegen als „Pro-Europäer“. Von 2014 bis 2019 leitete er als Präsident des Europäischen Rates die Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Für Polen ist es die zweite EU-Ratspräsidentschaft seit dem EU-Beitritt im Jahr 2004. Im Jahr 2011 hatte Tusk als Ministerpräsident schon einmal diese Funktion inne und kann mit diesen Erfahrungen punkten.
Sicherheit in allen Dimensionen
Tusk nennt Sicherheit als eine der Prioritäten für Polens Ratspräsidentschaft – wobei er von einem weitreichenden Verständnis ausgeht. Diese umfasst eine enge Zusammenarbeit von EU und USA, die EU-Erweiterung inklusive des Wiederaufbaus der Ukraine, die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit und der inneren Sicherheit ebenso wie die Gesundheitssicherheit. Auch der Widerstand gegen Desinformation als auch wirtschaftliche und energetische Sicherheit sowie der Schutz der Außengrenzen sind enthalten.
Nur auf dieser Basis könne die EU ihre „ihre volle Wettbewerbsfähigkeit, den Schutz verschiedener Gruppen unserer Bürger und einen ehrlichen Wettbewerb, bei dem Europa wirklich eine Chance hat, mit allen in der Welt zu gewinnen“ zurückgewinnen, sagte Tusk Anfang Dezember.
Es ist zu erwarten, dass der Fokus auf das Thema Sicherheit bei den EU-Staaten allgemein auf Zustimmung stößt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat zudem die Verabschiedung eines „Weißbuchs zur Zukunft der Europäischen Verteidigung“ angekündigt.
Polens EU-Botschafterin Agnieszka Bartol kündigte bereits ein 16. Sanktionspaket gegen Russland an, das am 24. Februar beschlossen werden soll. Zudem will Polen einen neuen Zollstreit mit Trump vermeiden. Ziel sei „kein Handelskrieg, sondern gute Handelsbeziehungen“ zu den USA, betonte Bartol.
Ein Schwerpunkt: Weiterführung der Unterstützung für die Ukraine
Die Agenda für die sechs Monate unter polnischem Vorsitz umfasst 52 Seiten. Einige Schwerpunkte in Kurzform:
- Vertiefung der Zusammenarbeit von EU und NATO, Förderung der Verteidigungsfähigkeiten und der strategischen Autonomie der EU in Verteidigungsfragen. Stärkung der Zusammenarbeit mit den USA, Afrika, Lateinamerika, dem Indopazifik und den karibischen Staaten.
- Weiterführung der Unterstützung für die Ukraine und Stärkung der Sanktionen gegen Russland und Belarus. Aufbau eines „Östlichen Schildes“ zur Stärkung der Grenzen nach Belarus und Königsberg. Grenzübertritte sollen verhindert werden, die EU-Außengrenze besser gesichert.
- Entwicklung eines „demokratischen Schutzschildes“ zur Bekämpfung ausländischer Manipulation und Desinformation, insbesondere durch Russland.
- EU-Erweiterung in Richtung Ost- und Südosteuropa (Ukraine, Moldau, Westbalkan) nach einem leistungsbasierten Ansatz. Förderung von Reformen in Beitrittskandidatenländern wie Georgien zur Sicherung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und wirtschaftlicher Stabilität.
- Vorbereitung des neuen Mehrjährigen Finanzrahmens 2028 bis 2034. Dazu gehört die Organisation einer High-Level-Konferenz im Februar 2025.
- Senkung der hohen Energiepreise, Reformen im Bereich der Steuerpolitik, Umsetzung des neuen wirtschaftspolitischen Rahmens der EU.
- Unterstützung der Dekarbonisierung durch die Initiative „Clean Industrial Deal“ und die Implementierung des „Carbon Border Adjustment Mechanism.“
- Schaffung einer EU-Zollbehörde und Weiterentwicklung der Zollunion. Förderung des Binnenmarktes durch den Abbau von Vorschriften und Barrieren, Ausbau der Kapitalmarktunion.
EU-Asylpakt und der polnische Apfel
Keine Fortschritte zeichnen sich bei zwei Schlüsseldossiers ab: Polen lehnt wie Ungarn den EU-Asylpakt ab, den die Mitgliedsländer bis 2026 in nationales Recht umsetzen sollen. Warschau kritisiert den Solidaritätsmechanismus zur Umverteilung von Migranten aus Italien oder Griechenland. Polen hat fast eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen und sieht sich überlastet.
Warschau steht auch dem EU-Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Südamerikas kritisch gegenüber. Als Agrarland fürchtet es, ebenso wie Frankreich, Einbußen für seine Bauern durch billigere Rindfleisch- und Geflügelimporte aus Argentinien oder Brasilien. Um die Bedeutung der Landwirtschaft zu betonen, hat Warschau den polnischen Apfel zur „offizielle Frucht“ seines Ratsvorsitzes erklärt. Dieser gilt als Exportschlager des Landes.
Uneinigkeit herrscht auch bei den Importen von ukrainischen Getreiden. Die Aussetzung der Einfuhrzölle auf ukrainische Waren in die EU ist in Polen sehr unpopulär.
Bislang ist Polen nicht als Verfechter des Europäischen Green Deal bekannt. Indem es die Diskussion auf „Sicherheit“ statt auf „Klimaschutz“ legt, ist fraglich, wie weit es bei der Energiewende mitgeht. In Polen ist Kohlebergbau weit verbreitetet. Gleichzeitig treibt das Land sein Atomprogramm mithilfe der USA und kleinen modularen Reaktoren voran.
Polen: „Ein Anführer innerhalb der EU“?
Polen selbst wählt voraussichtlich im Mai einen neuen Präsidenten. Nach polnischem Recht kann Präsident Andrzej Duda – ein Rivale von Tusk – nicht erneut kandidieren. Rafał Trzaskowski, der Bürgermeister von Warschau, ist der Kandidat von Tusks Partei bei den kommenden Wahlen.
Ebenso wie bei anderen Parlamentswahlen im Jahr 2025 läuft es auf ein Kräftemessen zwischen linken und konservativen Kräften hinaus.
Polnische Medien hoffen, dass die EU-Präsidentschaft Polen hilft, eine starke Führungsrolle in der EU zu übernehmen – gerade angesichts der politischen Krisen in den großen EU-Mächten Deutschland und Frankreich.
Tusk äußerte sich in einer Rede vor dem polnischen Parlament Mitte Dezember 2023 nach seinem Wahlsieg dahingehend, dass das fünftgrößte Land der EU unter seiner Regierung die Position eines „Anführers innerhalb der EU“ erreichen werde.
Er betonte dabei die Bedeutung der Zusammenarbeit mit der EU: „Wir sind umso stärker, umso souveräner, je stärker die Europäische Gemeinschaft ist.“
(Mit Material der Nachrichtenagenturen)
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