UPDATE: Polnische Regierung relativiert angekündigten Rückzug aus Frauenrechts-Abkommen

Polen wird diese Woche Schritte unternehmen, um aus einem europäischen Vertrag zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt auszusteigen. Die Regierung erklärte, der Vertrag verletze unter anderem das verfassungsmäßige Recht der Eltern, ihre Kinder „moralisch oder religiös gemäß ihren eigenen Überzeugungen“ zu erziehen. Nun relativiert die polnische Regierung die Entscheidung, es sei noch keine offizielle Entscheidung vorhanden.
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Der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro auf einer Veranstaltung in Warschau.Foto: Omar Marques/Getty Images
Epoch Times27. Juli 2020

+++ UPDATE (16:10 Uhr) +++

Die polnische Regierung hat den von Justizminister Zbigniew Ziobro angekündigten Rückzug aus einem internationalen Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen relativiert. „Es gibt noch keine offizielle, eindeutige Entscheidung zur Istanbuler Konvention“, sagte der Stabschef von Ministerpräsident Michal Dworczyk am Montag dem Fernsehsender Polsat. Ziobros Ankündigung hatte heftige Kritik ausgelöst.

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Der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro erklärte am 25. Juli auf einer Pressekonferenz, dass sein Ministerium zur Erfüllung eines Wahlkampfversprechens am 27. Juli beim Arbeits- und Familienministerium einen Antrag stellen werde, um den Prozess des Austritts aus der „Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, auch bekannt als Istanbuler Konvention, einzuleiten.

„[Die Konvention] enthält Elemente ideologischer Natur, die wir für schädlich halten“, fügte Ziobro, der Vorsitzende von Vereinigtes Polen, einer kleineren Partei in der Regierungskoalition unter Führung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), hinzu.

Proteste gegen Ausstieg aus der Konvention

Am Freitag protestierten Tausende von Menschen, vor allem Frauen, in Warschau und anderen Städten gegen den Ausstieg aus dem Vertrag.

„Ziel ist es, häusliche Gewalt zu legalisieren“, sagte Magdalena Lempart, eine der Protestveranstalterinnen, am Freitag auf einem Marsch in Warschau. Einige Demonstranten trugen Transparente mit der Aufschrift „Die PiS ist die Hölle für Frauen“.

Als Reaktion auf die Proteste argumentierte der stellvertretende Justizminister Marcin Romanowski, die Istanbuler Konvention sei „vom Standpunkt des Opferschutzes und der Verfolgung von Tätern häuslicher Gewalt überflüssig“ und fügte hinzu, das polnische Rechtssystem erfülle bereits in beiderlei Hinsicht die in dem Dokument festgelegten Standards.

Ziobro sagte auch, dass die Regierung „in den letzten Jahren durch die Gesetzgebung viel im Kampf gegen häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen getan“ und „Veränderungen durch die Einführung ideologiefreier Lösungen umgesetzt hat“.

„Echte Lösungen zum Schutz der Opfer häuslicher Gewalt wurden in das Anti-Gewalt-Gesetz aufgenommen, das der Sejm am 30. April dieses Jahres fast einstimmig verabschiedet hat“, sagte Ziobro. Er nannte das polnische Gesetz ein „Modell“ für andere Länder, da es „die von der Istanbuler Konvention geforderten Standards übertreffe“. Der Sejm ist das Unterhaus des polnischen Parlaments.

Kontroverse um die Definition von „Gender“

Laut einer schriftlichen Erklärung des Justizministeriums versuchte die Regierung, die Konvention wegen „schädlicher ideologischer Lösungen“ wie dem „Konzept des Genders im Gegensatz zum biologischen Geschlecht“ zu kündigen. „Gender“ ist mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum verbreitet. Der Begriff bedeutet auf Deutsch zwar wortwörtlich „Geschlecht“, geht aber darüber hinaus und definiert die gesellschaftliche, also die soziale Dimension von Geschlecht.

Die Erklärung des polnischen Justizministeriums bezieht sich auf die Definition des Begriffs „Gender“ im Artikel drei des Vertrags, in dem es heißt: „‚Gender‘ bezeichnet die gesellschaftlich konstruierten Rollen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten und Eigenschaften, welche eine bestimmte Gesellschaft für Frauen und Männer als angemessen erachtet“.

„Nach diesem Konzept bestimmt nicht die Biologie, ob jemand weiblich oder männlich ist, sondern es handelt sich um eine soziokulturelle Wahl, die jeder treffen kann. Dies hängt mit der Annahme zusammen, dass die Erziehung der Kinder in den Schulen geändert werden sollte“, heißt es in der Erklärung des polnischen Justizministeriums.

„Deutsche Welle“ zufolge bezeichnete der stellvertretende polnische Justizminister Marcin Romanowski den Vertrag als „Gender-Geschwafel“ und forderte Polen auf, „so schnell wie möglich“ aus dem Vertrag auszusteigen.

Polen ist nicht das einzige Land, das diese Definition ablehnt.

Europarat alarmiert über Polens drohenden Rückzug

Der Europarat hat sich angesichts des angekündigten Rückzugs Polens aus einem internationalen Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen „alarmiert“ gezeigt. „Das Aufkündigen der Istanbuler Konvention wäre sehr bedauerlich und ein enormer Rückschritt beim Schutz von Frauen vor Gewalt in Europa“, erklärte die Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejcinovic Buric, am Sonntag.

Auch mehrere Abgeordnete des Europaparlaments verurteilten die Ankündigung der polnischen Regierung. Die spanische sozialdemokratische Abgeordnete Iratxe García Pérez sprach im Onlinedienst Twitter von einer „schändlichen“ Entscheidung. Der Vorsitzende der Fraktion „Renew Europe“, der frühere rumänische Regierungschef Dacian Ciolos, kritisierte es als „erbärmlichen Schritt“ einiger Regierungsmitglieder „zur Demonstration ihres Konservativismus“.

Auch in der Türkei wird ein Aufkündigen des 2012 von Ankara ratifizierten Vertrags befürchtet. Der stellvertretende Vorsitzende der Regierungspartei, Numan Kurtulmus, hatte die Unterzeichnung Anfang dieses Monats als „falsch“ bezeichnet und für einen Rückzug plädiert. Am Sonntag gingen unter anderem in Ankara und Istanbul Frauenrechtsaktivistinnen auf die Straße, um dagegen zu protestieren.

Ungarn: Bedrohung der Ehe und die zunehmende Migration

Das ungarische Parlament weigerte sich im Mai, den Vertrag zu ratifizieren.

„Hätte sich die Konvention an den Schutz der Frauenrechte gehalten, wäre Ungarn unter den ersten Ländern gewesen, die sie ratifiziert und entsprechende innerstaatliche Rechtsvorschriften verabschiedet hätten. Tatsächlich haben wir die meisten Empfehlungen der Konvention, die sich auf den Schutz der Frauen beziehen, bereits in das ungarische Recht übernommen. Doch der Konvent ging weit darüber hinaus, denn sein endgültiger Text enthielt Abschnitte, welche nicht in unser innerstaatliches Recht übernommen werden konnten, weil sie der ungarischen Verfassung, dem Grundgesetz, zuwiderliefen“, heißt es in einer Erklärung des ungarischen Parlaments.

Die Erklärung nannte zwei Gründe: die Definitionen von „Gender“ und „Verfolgung“.

Erstens erklärte das ungarische Parlament, dass „ohne biologisches Geschlecht zum Beispiel Ungarns verfassungsrechtliche Definition der Ehe (die Ehe eines Mannes und einer Frau) ungültig wäre. Und wenn etwas dem Grundgesetz widerspricht, kann es nicht vom Parlament verabschiedet werden“.

Zweitens verpflichtet Artikel 60 die Unterzeichner, „sicherzustellen, dass geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen als eine Form der Verfolgung anerkannt werden muss“, und denjenigen, die eine solche Verfolgung befürchten, sollte der Flüchtlingsstatus gewährt werden.

Aufgrund dieses Artikels war das ungarische Parlament besorgt, dass „Ungarn gezwungen sein könnte, illegalen Migranten die Einreise aus Gründen zu gewähren, welche im Widerspruch zu Ungarns bewährter Politik der Verhinderung und Einstellung der Migration stehen“.

Die Erklärung nannte die Konvention „einen weiteren Versuch migrationsbefürwortender Gruppen, Wege zu finden, die Frage der Migration zu erzwingen“.

Europarat: Schwierigkeiten in der Übersetzung wurden „benutzt, um Kontroversen zu schüren“

Der Europarat hat ein Dokument mit Fragen und Antworten veröffentlicht, um die Konvention zu verteidigen. Dies geschah als Reaktion auf die anhaltende Kritik von Ländern seit der Öffnung der Konvention zur Unterzeichnung im Jahr 2011.

„Schwierigkeiten bei der Übersetzung des Begriffs ‚Gender‘ und seiner Unterscheidung vom Begriff ‚Sex‘ in Sprachen, die keine genaue Entsprechung haben, wurden manchmal dazu benutzt, Kontroversen über die Konvention und ihre Auswirkungen zu schüren“, steht im Dokument.

Solche Schwierigkeiten dürfen nicht zum Vorwand für die Ablehnung der Konvention oder zu einem Hindernis für ihre Umsetzung werden. „Die Konvention verlangt keine Anpassung der nationalen Rechtssysteme, um die Verwendung des Begriffs ‚Gender‘ aufzunehmen, sondern verwendet ihn, um den Zweck der Maßnahmen zu erläutern, zu deren Annahme und Umsetzung sie die Staaten auffordert“, stellt der Europarat klar.

Die Konvention ist bereits in Ländern ratifiziert und umgesetzt worden, die Sprachen verwenden, die keine genaue Entsprechung des Begriffs ‚Gender‘ haben (die verschiedenen Sprachgruppen angehören, wie die germanische, die römische und die slawische Familie), ohne dass dies zu Kontroversen geführt hätte, führt das Dokument als Argument auf.

In einem anderen Informationsblatt, welches für die Konvention warb, hieß es, dass „bestehende Migrations- und Asylpolitiken von der Konvention nicht in Frage gestellt werden. Sie erkennt jedoch an, dass Migrantinnen und weibliche Asylsuchende besonders anfällig für geschlechtsspezifische Gewalt sind, und fordert die Staaten auf, die spezifischen Bedürfnisse dieser Frauen zu berücksichtigen.“

(Mit Material von Epoch Times USA und dpa/sza)



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