Polen vor temporärem Ausstieg aus EU-Asylsystem – Brüssel fordert Erklärung von Tusk

Am Dienstag soll das Kabinett von Premierminister Tusk in Warschau einen temporären Ausstieg aus dem Asylsystem der EU beschließen. Nach den Niederlanden und Ungarn wäre Polen der dritte Mitgliedstaat mit solchen Ambitionen. Vertraglich vorgesehen ist ein solcher Schritt nicht.
Titelbild
Grenzsoldaten patrouillieren am 29. Mai 2023 entlang der Grenzmauer an der polnisch-weißrussischen Grenze unweit von Bialowieza, Ostpolen.Foto: Wojtek Radwanski/ AFP via Getty Images
Von 15. Oktober 2024

Nach den Niederlanden und Ungarn will auch Polen aus dem gemeinsamen europäischen Asylsystem aussteigen – zumindest temporär. Dies hat Premierminister Donald Tusk am Samstag, 12. Oktober, auf dem Parteitag der regierenden Bürgerkoalition angekündigt. Am Dienstag will Tusk nun im Kabinett eine „Strategie zur Steuerung irregulärer Migration“ beschließen lassen.

Tusk: „Polen muss seine Grenzen und die der EU schützen“

Auf X legte Tusk am Montag noch einmal nach. In einem Beitrag auf der Kurznachrichtenplattform schrieb er:

„Es ist unser Recht und unsere Pflicht, die polnischen und europäischen Grenzen zu schützen. Über ihre Sicherheit werden wir nicht verhandeln. Mit niemandem. Es ist eine Aufgabe, die es zu erfüllen gilt. Und meine Regierung wird die Arbeit erledigen.“

Schon jetzt hat die EU-Kommission einer Sprecherin zufolge Kontakt mit der polnischen Regierung aufgenommen und fordert eine Erklärung. Aus Brüssel erging in diesem Kontext auch der Hinweis, dass die EU-Regeln jeden Mitgliedstaat verpflichten, Schutzsuchenden einen Zugang zu einem Asylverfahren zu eröffnen.

Gemeinsames Feindbild soll Brüssel überzeugen

Polen wäre mit einer solchen Vorgehensweise mittlerweile der dritte EU-Mitgliedstaat, der von diesem Prinzip abweichen möchte. In Deutschland kündigt die Union an, im Fall einer Regierungsübernahme im kommenden Jahr Asylsuchende, die aus anderen EU-Staaten einreisen wollen, schon an der Grenze zurückzuweisen.

Bereits im September hatte die Regierung der Niederlande angekündigt, einen „nationalen Notstand“ ausrufen und darauf gestützt die Asylregeln der EU aussetzen zu wollen. Die Zahl der Asylanträge in dem Land liegt seit Jahren stabil unter 40.000. Ungarn verweigert seit mehreren Jahren die Aufnahme von Asylbewerbern – und ist dafür auch bereit, hohe Strafzahlungen in Kauf zu nehmen.

Polen begründet seinen Schritt damit, dass der Kreml und dessen verbündete Regierung in Belarus gezielt Flüchtlinge ins Land holen und an die polnische Grenze bringen sollen, um die EU zu destabilisieren.

Tatsächlich lag der Höchststand an Asylanträgen in Polen im Juni 2024 bei 1.790. Bis August war er auf 1.325 zurückgegangen. Die meisten Schutzsuchenden in Polen mit knapp einer Million sind Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Auf sie ist das reguläre Asylsystem nicht anwendbar.

Einen einseitigen Ausstieg sieht das Asylsystem der EU nicht vor. Um diese Möglichkeit zu verankern, müsste es eine Änderung der Regeln geben, die eine Zustimmung von allen 27 Mitgliedstaaten verlangte.

GEAS muss erst noch von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden

Erst im Dezember des Vorjahres hatte die EU das „Gemeinsame Europäische Asylsystem“ (GEAS) beschlossen. Diese sehen eine Vielzahl an Verschärfungen vor – und sollen hauptsächlich Erstankunftsländer wie Italien, Griechenland oder Spanien entlasten. Unter anderem sieht das GEAS vor, Asylverfahren an den Außengrenzen durchzuführen.

Dies soll vor allem Flüchtlinge aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von unter 20 Prozent betreffen. Eine solche weisen etwa Marokko, Tunesien, aber auch Bangladesch auf. Betroffenen sowie Asylbewerbern ohne gültigen Pass soll die Weiterreise in die EU verweigert werden.

Sollten Flüchtlinge dort über „Ankerpunkte“ wie Verwandte oder Arbeitgeber verfügen, gestattet das GEAS Mitgliedstaaten, sie in „sichere Drittstaaten“ wie Tunesien oder Albanien zurückzuschicken. Eine Liste solcher Staaten soll auf EU-Ebene erarbeitet werden.

Sympathisanten von Tusk vermissen „offenes, gesetzestreues Polen“

Allerdings soll es auch einen Solidaritätsmechanismus bei der Verteilung einreiseberechtigter Flüchtlinge geben. Jeder Mitgliedstaat wäre demnach zur Aufnahme eines definierten Quantums an Betroffenen verpflichtet – oder zur Zahlung eines Geldbetrages an zuständige Einrichtungen in Brüssel. Gegen diesen Passus wehren sich vor allem Staaten wie Ungarn oder Polen.

Bis Ende 2025 haben Mitgliedstaaten Zeit, das GEAS zu ratifizieren. In Polen stößt die Ankündigung von Tusk auf Kritik im Umfeld seiner eigenen Mitte-links-Koalition. Die frühere Politikerin der Bürgerplattform und Leiterin der Polnischen Humanitären Organisation, Janina Ochojska, äußerte auf X:

„Hallo, Herr Premierminister, ich bin’s, Ihr Wähler. Sie haben mir ein völlig anderes Land versprochen, ein offenes, gesetzestreues Polen, das seine Politik auf Werte gründet und allen die Chance gibt, sich zu entwickeln und denen zu helfen, die es brauchen.“

Parlamentspräsident: „Aussetzung des Asylrechts nicht als Prophylaxe gedacht“

Auch der Sejmmarschall (Parlamentspräsident) und frühere Präsidentschaftskandidat Szymon Hołownia von der Partei Der Dritte Weg übt Kritik. Zwar liege es auf der Hand, dass „die polnischen Grenzen vor hybriden Angriffen geschützt werden müssen, die von Putin und Lukaschenko organisiert werden“.

Die Aussetzung des Rechts auf Asyl sei jedoch „eine extreme Maßnahme, die nur unter den Bedingungen des Ausnahmezustands und in einer Notsituation“ wie einem Grenzdurchbruch eingeführt werden sollte. Sie könne nicht als „Prophylaxe“ verwendet werden. Sicherheit schließe Menschlichkeit nicht aus.



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