Polen geht auf Konfrontationskurs – Kommt es zum „Polexit“?
Polen soll nach Auffassung von Regierungschef Mateusz Morawiecki trotz des historischen Urteils des polnischen Verfassungsgerichts gegen den Vorrang von EU-Recht Teil der Gemeinschaft bleiben. „Polens Platz ist in der europäischen Familie der Nationen und wird es auch bleiben“, erklärte Morawiecki am Freitag auf Facebook. „Der Eintritt Polens und der mitteleuropäischen Länder in die EU ist einer der Höhepunkte der vergangenen Jahrzehnte.“
Das Warschauer Verfassungsgericht hatte am Donnerstag die EU-Verträge in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Den EU-Institutionen warf es vor, sich unrechtmäßig in Polens innere Angelegenheiten einzumischen und insbesondere mit ihrem Vorgehen gegen umstrittene Justizreformen der polnischen Regierung ihre Kompetenzen zu überschreiten.
Brüssel reagierte „besorgt“ auf die Entscheidung. Die EU-Kommission unterstrich die Bedeutung der Grundprinzipien der gemeinschaftlichen Rechtsordnung; der Grundsatz des Vorrangs von EU-Recht vor nationalem Recht sowie der bindende Charakter von Entscheidungen der EU-Justiz seien zentral für den Staatenbund.
Die EU-Kommission wirft der Regierung in Warschau vor, mit ihren Justizreformen die Unabhängigkeit der Gerichte und die Gewaltenteilung zu untergraben. Auch die Rechtmäßigkeit des Verfassungsgerichts steht infolge umstrittener Richterernennungen in Frage. Vor den EU-Gerichten in Luxemburg laufen deshalb eine Reihe von Verfahren. Bereits erfolgte Urteile und Entscheidungen setzte Warschau jedoch nicht um.
Regierungschef Morawiecki verwies in seinem Facebook-Post auf Entscheidungen der Gerichte anderer Länder, die ebenfalls den Grundsatz des Vorrangs von EU-Recht infrage gestellt hätten. „Wir haben die gleichen Rechte wie andere Länder“, fügte er hinzu. „Deshalb sind wir auch nicht damit einverstanden, als Land zweiter Klasse behandelt zu werden.“
Vergangenes Jahr hatte etwa das Bundesverfassungsgericht das vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gebilligte Anleihekaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank (EZB) in Teilen als verfassungswidrig eingestuft. Die EU-Kommission leitete deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein.
Entsetzen in Europa
Die europäischen Gründerstaaten Frankreich und Luxemburg haben mit Entsetzen auf die Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts reagiert. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn warnte am Freitag vor einem „Bruch“ der Europäischen Union. Von einem „Angriff auf die EU“, sprach der französische Europa-Staatssekretär Clément Beaune.
„Man muss ganz klar sagen, dass diese Regierung in Polen mit dem Feuer spielt“, sagte Asselborn in Luxemburg. Klar sei, dass es in der EU „nicht nur juristisch, sondern auch politisch zu einem Bruch kommen kann“. Asselborn betonte, der Vorrang des europäischen Rechts vor nationalem Recht sei grundlegend für das Zusammenleben in Europa. „Wenn das gebrochen wird, wird Europa in der Form, wie wir es kennen, wie es aufgebaut wurde nach den Römischen Verträgen, nicht mehr bestehen.“
Beaune sagte dem Sender BFM-TV, es bestehe „das Risiko eines de facto-Austritts (Polens aus der EU)“. Die Gerichtsentscheidung sei „Teil einer langen Liste von Provokationen“. Er fügte hinzu: „Wenn man in einen Club eintritt, dann unterzeichnet man einen Vertrag, das ist der EU-Vertrag, der durch ein Referendum vom polnischen Volk ratifiziert wurde.“
EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte sich zuvor „sehr besorgt“ über die Entscheidung äußert. Er kündigte an, Brüssel werde „alle Mittel“ nutzen, um den Vorrang von EU-Recht durchzusetzen. Dieser sei einer der Grundpfeiler der Europäischen Union.
„Das von Polens Regierungspartei besetzte Gericht stellt derselben Regierung einen Freifahrtschein aus, Europarecht zu missachten“, kritisierte die EU-Abgeordnete und ehemalige Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD). Aber „wenn Europarecht keine Gültigkeit mehr hat, dann kann auch die Europäische Union nicht mehr funktionieren“. Sie forderte einen Auszahlungsstopp für EU-Mittel.
„Die Bewilligung des Wiederaufbauplanes für Polen durch die EU-Kommission ist jetzt ein absolutes Tabu“, erklärte der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund. „Wir können nicht Milliarden an ein Mitgliedsland überweisen, ohne rechtlich sicherstellen zu können, dass das Geld auch bei denen ankommt, für die es bestimmt ist.“
Scharfe Kritik aus Deutschland
Auch Deutschland kritisiert Polen. Außenminister Heiko Maas (SPD) hat das Land dazu aufgerufen, sich an die europäischen Regeln zu halten. „Wenn ein Land sich politisch dafür entscheidet, Teil der EU zu sein, muss es auch dafür Sorge tragen, die vereinbarten Regeln voll und ganz umzusetzen“, sagte Maas den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstagausgaben).
„Mitglied in der Europäischen Union zu sein bedeutet, dass wir gemeinsame Werte verfolgen, von einem starken gemeinsamen Binnenmarkt profitieren und mit einer Stimme sprechen. Es bedeutet aber auch, dass wir uns an gemeinsame Regeln halten, die das Fundament der Europäischen Union bilden – mit allen Konsequenzen.“
Der SPD-Politiker sagte der Europäischen Kommission die volle Unterstützung für ihre Aufgabe zu, dem europäischen Recht „überall in der EU Geltung zu verschaffen“.
Der Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk hat zu Protesten gegen die Entscheidung aufgerufen. Am Sonntag sollten alle, die an ein „europäisches Polen“ glaubten demonstrieren gehen, schrieb der polnische Oppositionsführer auf Twitter. „Nur gemeinsam können wir sie stoppen.“(afp/dts/oz)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion