Pistorius priorisiert Munition: 20 Milliarden Euro Extrabudget für die Ukraine

Beim Arbeitsministerium und beim Familienministerium sollen 20 Milliarden Euro eingespart werden. Das Verteidigungsministerium plant mit 20 Milliarden Euro Extrabudget. Für Verteidigungsminister Pistorius hat die Beschaffung von Munition für die Ukraine oberste Priorität. Eine „sozialpolitische Streubombe“?
Bundesverteidigungminister Boris Pistorius (r) wird in Kiew ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj empfangen. Pistorius verkündete, dass die Ukraine von einer Gruppe mehrerer europäischer Länder mehr als 100 Leopard-Kampfpanzer erhalten soll.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (r.) in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj (l.).Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 28. Juli 2023

Gerade im April wurden die Sparpaketpläne von Christian Lindner (FDP) bekannt – mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro. Mit den Kürzungen will Lindner die Finanzierungslücken im Haushalt 2024 schließen. Vorrangig müsse in den Ressorts mit den höchsten Sozialausgaben gespart werden, so die Ankündigungen aus dem Finanzministerium. Das seien die Ministerien für Arbeit und für Familien.

Das Arbeitsministerium ist zuständig für die Bereiche Arbeitsmarktpolitik, Rente und soziale Sicherung, die Integration behinderter Menschen sowie die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, es steht auch der Bundesagentur für Arbeit vor. Das Familienministerium sieht seine Aufgaben in der Förderung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie, der Stärkung der Alleinerziehenden, Unterstützung von Familien mit Migrationshintergrund und der Reduzierung der Kinderarmut. Die Kürzungen in diesen Bereichen sollen im Herbst beschlossen werden. Von Kürzungen verschont bleiben soll das Verteidigungsministerium, wo in der Vergangenheit nach allgemeiner Auffassung schon zu viel gespart wurde, so hieß es als Erklärung.

20 Milliarden Euro bis 2031 für Munition

Das Verteidigungsministerium hat nun genau 20 Milliarden Euro Bedarf on top zum schon genehmigten 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen der Bundeswehr angemeldet. Dabei geht es laut der Nachrichtenagentur dpa auch um Artilleriemunition für die Panzerhaubitzen, die in der Ukraine zum Einsatz kommen. Der Verteidigungsminister Boris Pistorius will der Beschaffung von Munition für die Ukraine „oberste Priorität“ geben – bis 2031 sind dafür Ausgaben von „über 20 Milliarden Euro“ geplant. Noch im laufenden Jahr will Pistorius eine Milliarde Euro für Munition ausgeben.

Pistorius stellt einen eindeutigen Bedarf fest: „Ohne Munition nutzen die modernsten Waffensysteme nichts“, sagte der SPD-Politiker. Der Mangel insbesondere von 155-Millimeter-Projektilen etwa für die Panzerhaubitze 2000, die auch von ukrainischen Streitkräften benötigt werden, sei groß. Erste Pakete von jeweils 20.000 Geschossen sind für dieses und kommendes Jahr avisiert. „Wir werden hier nicht nachlassen und noch weitere Vorhaben umsetzen“, sagte Pistorius.

Die Bundeswehr hatte unter anderem beim deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall mehrere Hunderttausend Artilleriegeschosse sowie im großen Umfang Munition für den Kampfpanzer Leopard 2 bestellt. Der Düsseldorfer Konzern nennt seine Pläne, die leeren Lager bei der Bundeswehr und der ukrainischen Armee zu füllen, „eine große Investitionsoffensive“. Der Rüstungsriese plant im kommenden Jahr 60 Prozent der eine Million Geschosse herzustellen, die für die Ukraine bestimmt sind.

Konjunktur bei Rheinmetall durch Rüstung

Rheinmetall ist einer der großen Profiteure, auch vom Schulterschluss mit Pistorius: Kurz vor der Jahreshauptversammlung am 9. Mai präsentierte der Düsseldorfer Konzern starke Umsatzzahlen für das erste Quartal 2023. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stieg der Konzernumsatz um 7,6 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro. Auch die Dividende pro Aktie steigt saftig. Für das Geschäftsjahr 2022 wurde eine Dividende in Höhe von 4,30 Euro je Aktie vorgeschlagen, das ist fast ein Viertel mehr als die Dividende im Vorjahr. Zum Vergleich: Für das Geschäftsjahr 2021 wurden 3,30 Euro je dividendenberechtigter Stückaktie ausgezahlt.

Seit der Ankündigung von Verteidigungsminister Boris Pistorius, die Beschaffung von Munition zu priorisieren, gibt es nun weitere News, die Rheinmetall noch mehr Aufwind geben könnten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will bei Rüstungsexporten Genehmigungsverfahren beschleunigen. Dieses soll für Lieferungen an ausgewählte EU- und NATO-Partner sowie enge Partnerländer gelten. Konkret sollen Entscheidungen nicht mehr in Form von Einzelfallentscheidungen fallen, sondern gebündelt als sogenannte Allgemeinverfügungen – und das „kurzfristig“: Die beschleunigten Genehmigungsverfahren für den Waffenhandel sollen schon von September an gelten.

Umverteilen öffentlicher Gelder eine „sozialpolitische Streubombe“?

Das „Overton“-Magazin umreißt in einem Kommentar die soziale Brisanz der Thematik: „Die Gelder schmelzen für die Militarisierung des Landes ab, während wir dabei zusehen können, wie die Strukturen den Bach ‚runtergehen, ganze Industriezweige darben, Menschen verarmen und wir uns in einer Mangelökonomie einrichten, in der wir es als Normalität erachten, dass es zu wenig Personal, weniger Ware und überhaupt auch weniger Lebensglück gibt.“ Weiter hieß es, dass dieses Vorenthalten und Umverteilen öffentlicher Gelder eine sozialpolitische Streubombe sei: „Sie schlägt überall ein, durchlöchert die Gesellschaft, schneidet tief ins Fleisch und bringt den Krieg ins Inland, wo man diesen Waffengang ‚Spaltung‘ nennt.“

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat sich Mitte Juli entschieden dagegen verwehrt, „das Leid in der Ukraine gegen Sozialleistungen in Deutschland auszuspielen“, gemeint als Fingerzeig auf die zunehmenden Umfragewerte der AfD. „Das nützt niemandem hier in Deutschland, der wenig Geld hat, und es wäre ein Hohn für die Menschen in der Ukraine“, sagte sie dem Portal „Politico“. Auch dass die Bundesregierung gerade ein militärisches Hilfspaket für die Ukraine von 700 Millionen Euro beschlossen habe, während viele Familien aufgrund der hohen Inflation nicht wüssten, ob sie in den Sommerurlaub fahren könnten, fällt für die Außenministerin augenscheinlich in die Neiddebatte: Das schmerze sie zwar, aber: „Für mich hat das eine mit dem anderen nichts zu tun.“

Da war von den zusätzlichen 20 Milliarden Euro, die jetzt noch einmal obendrauf kommen, noch gar nicht die Rede.



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