Patrioten für Europa starten als drittstärkste Fraktion im EU-Parlament – Bardella als Fraktionschef

Mit derzeit 84 Abgeordneten ist die neu gegründete Fraktion „Patrioten für Europa“ auf Anhieb die drittstärkste Kraft im EU-Parlament geworden. Dahinter kommt die EKR mit 78 Abgeordneten. Die bisherige ID-Fraktion wird aufgelöst. Dieser hatte auch die deutsche AfD angehört. Deren Abgeordnete bleiben fraktionslos.
Orban will Rechtsaußenfraktion im EU-Parlament schaffen
Viktor Orbán, FPÖ-Chef Herbert Kickl und der Vorsitzende der tschechischen ANO, Andrej Babiš (v.r.n.l.) sind die Gründer der EU-Fraktion „Patrioten für Europa“.Foto: Tobias Steinmaurer/APA/dpa
Von 9. Juli 2024

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Erst Ende Juni hatten Ungarns Premierminister Viktor Orbán, FPÖ-Chef Herbert Kickl und der Vorsitzende der tschechischen ANO, Andrej Babiš, die Gründung einer Fraktion im EU-Parlament angekündigt. Mittlerweile ist es den Patrioten für Europa, so deren Bezeichnung, gelungen, 84 Abgeordnete ins Boot zu holen, die über die Listen von 14 Parteien aus zwölf Mitgliedstaaten gewählt worden waren.

Patrioten für Europa überholen auf Anhieb EKR und Liberale

In dieser Stärke sind die „Patrioten für Europa“ drittstärkste Fraktion hinter der EVP mit 188 und den Sozialdemokraten mit 136 Sitzen. Mit 78 Sitzen sind die „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) hinter die „Patrioten“ zurückgefallen. Dies liegt nicht zuletzt am Fraktionswechsel der spanischen VOX, die zuvor der EKR angehört hatte.

ANO trat von der liberalen Renew zur neuen Fraktion über. Diese verlor gegenüber 2019 nicht weniger als 35 Sitze und ist mit 76 Sitzen nur noch fünftstärkste Kraft. Mittlerweile haben sich vor allem Mitgliedsparteien der bisherigen Fraktion Identität und Demokratie (ID) den Patrioten für Europa angeschlossen. Die Folge ist, dass ID ersatzlos aufgelöst wird.

Zeitnah nach der Gründung entschloss sich nicht nur der Rassemblement National (RN) aus Frankreich zur Mitwirkung in der neuen Fraktion. Mit 30 Sitzen ist die französische Partei mandatsstärkste Kraft unter den Patrioten für Europa und ihr Parteichef Jordan Bardella soll Fraktionschef werden. Auch Parteien wie die Lega, die Dänische Volkspartei, der Vlaams Belang und die PVV von Geert Wilders wechselten zum neuen parlamentarischen Zusammenschluss.

Neue Fraktion kann auf mehr Ausschusssitze und finanzielle Zuwendungen hoffen

Nicht Teil der neuen Fraktion werden die AfD sein, die wenige Wochen vor den EU-Wahlen aus der ID-Fraktion ausgeschlossen wurde, sowie die tschechische SPD. An deren Stelle tritt aus Tschechien neben ANO noch eine Autofahrerpartei, die mit 10,3 Prozent am 9. Juni drittstärkste Kraft wurde. Außerdem werden noch die Einzelabgeordneten der griechischen Partei Stimme der Vernunft und von Lettland zuerst den Patrioten für Europa angehören.

Die Fraktionsbildung ist für die Beteiligten mit einer Vielzahl an Vorteilen verbunden. Je nach Gruppengröße bestimmen sich Redezeit, Vertretung in den Ausschüssen, möglicherweise auch Vizepräsidentenposten im Parlament. Dazu kommen finanzielle Zuwendungen für Fraktionsmitarbeiter, Reisekosten und Büros – zusätzlich zu den Mitteln für die Abgeordneten selbst.

Programmatisch ist man sich bezüglich einer restriktiven Migrationspolitik, einer Ablehnung des Green Deal und einer Stärkung der Souveränität der Nationalstaaten gegenüber der EU einig. Die meisten Parteien in der neuen Fraktion lehnen auch weitere Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland ab.

ANO: Bei Patrioten für Europa geht es um die Position zur Funktionsfähigkeit der EU

Inhaltlich und schwerpunktmäßig zeigen sich in der neuen Gruppe auch darüber hinaus Unterschiede. So stellt die tschechische ANO bis dato die sogenannte Werte-Kommissarin der EU, Věra Jourová. In dieser Funktion hatte sie sich unter anderem auch in der Konfrontationspolitik Brüssels gegenüber Mitgliedstaaten profiliert. Es ist damit zu rechnen, dass Jourová nicht mehr der neuen Kommission angehören wird.

Auch hatte Tschechien – zum Teil mit Unterstützung der ANO – mit Beginn des Ukraine-Krieges einen strikten Anti-Russland-Kurs eingeschlagen. ANO-Vizepräsident Karel Havlíček äußerte gegenüber „Euractiv“, seine Partei werde weiterhin ihren Kurs bezüglich der „russischen Aggression“ beibehalten. Allerdings gehe es ihr in der Fraktion nicht um die Position der Partner gegenüber Russland:

„Wir suchen nach Verbündeten, die die gleiche Position zur Funktionsfähigkeit der Europäischen Union haben.“

Auch harmoniert die teils islamfeindliche Ausrichtung vieler Parteien in der neuen Fraktion nicht mit Programmatik und Praxis der Fidesz. Premier Orbán gilt als enger Partner des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. In der Zeit der ungarischen Aufstände gegen den Absolutismus im Habsburgerreich flüchteten viele Regierungsgegner ins Osmanische Reich. Zudem gibt es in Ungarn einen gewissen Rückhalt für die pantürkische „Turan“-Bewegung.

In der EKR gibt es keine einhellige Position zur Ukraine

Allerdings hatten sich Akteure wie der niederländische PVV-Chef Geert Wilders bereits im Zusammenhang mit der Regierungsbildung im eigenen Land bereiterklärt, ideologische Vorstellungen taktisch zurückzustellen. Wie die Ablehnung der militärischen Unterstützung der Ukraine bei den Patrioten für Europa mit der ANO abgestimmt wird, ist ungewiss.

AfD könnte „Resterampe“ zur Bildung eigener Fraktion nutzen

Derzeit gibt es auch 27 Fraktionslose und 32 neue Abgeordnete im EU-Parlament, die noch ohne Fraktion sind. Darunter befinden sich auch die über das Ticket der AfD gewählten Abgeordneten. Diese könnten in den kommenden Tagen noch eine eigene Fraktion ins Leben rufen. Neben den deutschen Abgeordneten kämen dafür theoretisch noch Éric Zemmour und Abgeordnete aus Bulgarien, Polen, Tschechien, der Slowakei, Spanien, Ungarn und Griechenland in Betracht.

Die Aussichten für eine solche Gründung werden jedoch als gering betrachtet. Bereits vor zwei Wochen wurden Gespräche mit möglichen Partnern wegen Bedenken über deren Ausrichtung auf Eis gelegt. Vor allem Abgeordnete von SOS Rumänien und der polnischen Konföderation waren mehrfach durch brachialen Antisemitismus bis zur Holocaust-Leugnung in Erscheinung getreten.

Der gestärkte Einfluss der Rechten im EU-Parlament macht es schwieriger für die etablierten Kräfte, Spitzenpositionen zu besetzen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist auf einige Stimmen aus den Reihen der EKR angewiesen, um die Mehrheit im EU-Parlament auf sich zu vereinen. Gleichzeitig will sie dabei nicht den Verlust von Stimmen aus sozialdemokratischer und liberaler Fraktion riskieren. Mit diesen zusammen kann sie die meisten Gesetzesvorhaben auf EU-Ebene durchsetzen.



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