Paris: Ist die Seine bis zum 26. Juli sauber genug zum Schwimmen?

In gut 50 Tagen beginnen die Olympischen Sommerspiele. Können Langstreckenschwimmen und andere Wettkämpfe wie geplant in der Seine stattfinden? Ungeachtet der „Kathedrale von Austerlitz“, den Müllsperren und des Einsatzes von Millionen Euro gibt es auf diese Frage eine einfache Antwort.
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Die Kanalisation von Paris konnte mit der Stadtentwicklung nicht mithalten. Nun will die Stadt die Seine wieder fürs Baden tauglich machen – doch so einfach ist das nicht.Foto: encrier/iStock

Seit 100 Jahren darf man in Paris nicht mehr in der Seine baden. Die Idee, den Fluss wieder badetauglich zu machen, war ein Eckpfeiler der Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele.

Können die Wettkämpfe wie versprochen in der Seine stattfinden? Das Langstreckenschwimmen an der Pont d’Iéna? Auch Triathlon und Paratriathlon haben dort ihre Schwimmstrecke.

Knapp zwei Monate vor den Olympischen Spielen reicht ein Blick auf die Farbe des Flusses, um zu verstehen, dass nichts garantiert ist.

Die Antwort ist einfach: Es kommt auf das Wetter an.

Zu viel Regen

Das Problem der Seine ist die Verschmutzung durch Mischwasser, in dem sich Kolibakterien tummeln. Denn bei dem Pariser Abwassersystem fließen Schmutz- und Regenwasser zusammen. Es wurde Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Ingenieur Eugène Belgrand errichtet.

Bei zu viel Regen geraten die Kanäle an die Grenze ihres Fassungsvermögens. 44 Überläufe sorgen dafür, dass in diesem Fall die Kanalisation nicht überläuft, und spucken die trübe Mischung in den Fluss. Eine Umstellung auf ein modernes Trennsystem mit separaten Leitungen für Schmutz- und Regenwasser wäre notwendig. Eine sehr kostspielige Angelegenheit – das gesamte weitverzweigte Kanalnetz von über 2.100 km Länge müsste erneuert werden. Zudem fehlt vielerorts in der französischen Innenstadt der Platz dafür.

Im Sommer 2022 ergaben Tests an drei Messstellen im Zentrum von Paris für das Bakterium Escherichia Coli ein „ausreichendes“ Niveau. 2023 verschlechterte sich die Wasserqualität. Zwischen Juni und September 2023 erreichte nach der EU-Baderichtlinie keine der 14 Pariser Messstellen eine ausreichende Wasserqualität.

Die „Kathedrale von Austerlitz“

Um die Seine für die Olympischen Spiele badefähig zu machen – laut den Organisatoren gibt es keinen Plan B für andere Wettkampfstätten – musste daher in die Kanalisation der Metropole investiert werden.

Das Herzstück ist die „Kathedrale von Austerlitz“. 50 Meter im Durchmesser, 30 Meter tief – mitten im Zentrum von Paris gelegen, unweit vom Bahnhof Austerlitz und dem Krankenhaus Pitié-Salpêtrière entfernt. Ein betonierter Zylinder.

Auch kurz vor den Spielen wird noch daran gebaut. Besser gesagt, gegraben. Das gigantische Bauwerk – der offizielle Name ist „Bassin d’Austerlitz“ – ist ein unterirdischer Wasserspeicher. Sein Fassungsvermögen beträgt bis zu 50.000 Kubikmeter, das entspricht 20 olympischen Schwimmbecken.

Am 2. Mai 2024 im Abwasser- und Regenrückhaltebecken Austerlitz, das unter anderem dazu dienen soll, die Seine während der Olympischen Spiele 2024 in Paris badefähig zu machen. Foto: Antonin Utz/AFP via Getty Images

Indem das Abwasser- und Rückhaltebecken bei starkem Regen die Wassermassen aufnimmt, soll das Volumen des in die Seine eingeleiteten ungeklärten Wassers verringert werden, wie Antoine Guillou sagt. Der stellvertretende Bürgermeister ist für die Abwasserentsorgung zuständig. Es gibt auch noch weitere kleinere Rückhalteanlagen, die neu entstanden sind.

Besucher auf der Baustelle des 30 Meter tiefen Austerlitz-Beckens am 13. März 2024 in Paris. Foto: Anne-Christine Pouloulat/AFP via Getty Images

Als das Austerlitz-Becken Anfang Mai 2024 eingeweiht wurde, war die internationale Aufmerksamkeit groß. Tokio nutzt bereits derartige Zwischenspeicher. Ein ähnliches Projekt gibt es auch in Berlin. „Deutschlands größte Regentonne“ mit 300.000 Kubikmetern wird derzeit im Tiefbau in Berlin-Mitte an der Chausseestraße (direkt neben dem BND-Gebäude) errichtet und soll später Regenwasser aus dem gesamten Bezirk zwischenspeichern. Denn auch in der deutschen Hauptstadt läuft 30- bis 60-mal pro Jahr der Regen, vermischt mit Straßendreck, Blättern, Fäkalien und anderem, direkt in die Berliner Flüsse.

Kläranlagen, Müllsperren, Anschlusszwang

Zurück nach Paris. Neben dem Rückhaltebecken soll die Modernisierung von Kläranlagen helfen, die Seine badefähig zu machen. Im Oberlauf der Seine spielt die Anlage von Valenton im Département Val-de-Marne eine grundlegende Rolle bei der Verbesserung der Abwasserbehandlung. Seit 2023 werden nun auch die Abwässer in einem innovativen Verfahren mit Perameisensäure behandelt, einem organischen Desinfektionsmittel.

Ebenfalls flussaufwärts, in Champigny-sur-Marne, wurde Ende April eine neue Anlage zur Reinigung von Regenwasser eingeweiht. Die unterirdisch gegrabene Anlage fängt das Regenwasser auf und verhindert, dass es in den Fluss gelangt. Eine technische Innovation besteht darin, dass die Anlage mit 100 UV-Lampen ausgestattet ist, um – wie die Betreiber versichern – 99,9 Prozent unbedenkliches Wasser ohne Bakterien zu erhalten.

Der Pariser Kanal Saint Martin wird zur Reinigung geleert. Foto: OnickzArtworks/iStock

Bereits ab 1994 wurde in Müllsperren investiert und die Kanäle werden gereinigt. Seit 2018 müssen sich Hausboote und schwimmende Cafés an die Klärsysteme anschließen. Auch Tausende Wohnungen in den Vororten, die noch vor Kurzem ihr Abwasser direkt in den Fluss entließen, unterliegen einer Anschlusspflicht. Alle unkontrollierten Einleitungen sollen unterbunden werden.

Was hat es gebracht?

Professor Jean-Marie Mouchel sieht eine große „Verbesserung bei den Sauerstoff-, Ammonium- und Phosphatgehalten“, die ein Zeichen für die verbesserte Gesundheit eines Flusses sind. Auch wenn die Seine „nicht wieder zu einem wilden Fluss geworden ist“, gibt es heute „mehr als 30 Fischarten, gegenüber drei im Jahr 1970“, betont der Professor für Hydrologie an der Universität der Sorbonne.

Man sehe sogar Fische, die „viel anspruchsvoller in Bezug auf die Wasserqualität“ sind, was ein sehr gutes Zeichen sei, wie er sagt. „Man sieht viele Arten, die zurückkehren, nicht nur Fische, auch Wasserinsekten, sogar Quallen, Krustentiere, kleine Garnelen, Schwämme, eine umfassende Biodiversität“.

Michel Riottot, ein ehemaliger Forschungsingenieur am Centre National de la Recherche Scientifique (Nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung), äußerte sich besorgt über die Wasserqualität der Seine im Hinblick auf die Olympischen Spiele. Er sagte im Gespräch mit Orange, dem größten Telekommunikationsunternehmen in Frankreich, dass bei starkem Regen das neue Becken im Quartier Austerlitz schnell überlastet sein wird:

„In Paris speichern die Abwasserkanäle, Tunnel und Becken wie Austerlitz 1,9 Millionen Kubikmeter Wasser. Ein kleiner Regen von 10 Millimeter ergibt eine Million Kubikmeter. Bei einem großen Cevennenregen von 20 Millimeter werden sie überall überlaufen.“

Die Cevennenberge im Südosten Frankreichs sind bekannt für ihre starken Regenfälle, die oft zu Überschwemmungen und Erdrutschen führen können.

Albtraumhafte Proben für die Spiele

Die Proben für die Spiele im August 2023 in der Seine wurden zu einem Albtraum für die Organisatoren. Sie waren gezwungen, den Marathon-Schwimmwettbewerb abzusagen, da die Grenzwerte für die Wasserqualität nach heftigen Regenfällen deutlich überschritten wurden.

Auch im Winter 2023 war weiterhin nicht viel gewonnen: Rettungsschwimmerin Gaëlle Deletang, Mitglied des Pariser Zivilschutzes, trainierte im Neoprenanzug zwischen den Brücken von Bercy und Austerlitz. Durchfall und Fieber folgten, weil „das Wasser nicht sauber war“. Andere Freiwillige hatten „mehrere Wochen lang Bakterien“ und „alle hatte eine Magen-Darm-Grippe“. Zu jenem Zeitpunkt war das Becken von Austerlitz noch nicht fertig.

Eine Metro fährt auf die Austerlitz-Brücke über die Seine in Paris. Foto: Jean-Luc Ichard/iStock

Im April 2024 warnte die NGO Surfrider Foundation vor dem „alarmierenden“ Zustand des Wassers der Seine, wobei die zwischen September und März gemessenen Grenzwerte „über oder sogar sehr weit über“ den empfohlenen Werten lagen.

Messungen in Echtzeit? Schwierig.

Was haben die eingesetzten 1,4 Milliarden Euro für die Seine gebracht? Mittlerweile kennen die Zuständigen den Fluss besser als zuvor. Standardisierte Messstellen bringen die Qualität des Wassers ans Licht. Sie werden täglich entnommen und an Labors geschickt, heißt es auf der offiziellen Website der Stadt Paris.

Dennoch gibt es ein kleines Manko: Die Untersuchungen würden bis zehn Stunden dauern. Allein mit diesen Methoden sei es unmöglich, die Wasserqualität in Echtzeit zu bestimmen. Ergänzt würden die Messungen daher nun durch Analysen mittels Fluoreszenzspektroskopie an bestimmten Stellen des Flusses, die ein Ergebnis in zwanzig Minuten liefern könnten.

Auch flussaufwärts würden Proben entnommen, um zu wissen, was in 24 oder 72 Stunden die Seine herab schwimmt. Zu Olympia gebe es tägliche Treffen, die den Fluss und seine Werte im Auge behalten. Und wo man eventuell ins Wasser könnte.

Doch letztlich bleibt die bange Frage: Regnet es?



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