Papst redet Klartext: Über die Zukunft der Menschheit in den Händen der Völker

Papst Franziskus sprach am 9. Juli beim Welttreffen der Volksbewegungen in Santa Cruz de la Sierra, Bolivien. Im Grunde aber wandte er sich an die Weltbevölkerung.
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Am 9. Juli traf Papst Franziskus in Bolivien ein, dem ärmsten Staat Südamerikas. Er sprach zum Thema: Wir sagen Nein zu allen Formen des Kolonialismus.Foto: CRIS BOURONCLE/AFP/Getty Image
Epoch Times13. Juli 2015

„Die Zukunft der Menschheit liegt nicht allein in den Händen der großen Verantwortungsträger, der bedeutenden Mächte und der Eliten. Sie liegt grundsätzlich in den Händen der Völker.“ Am Ende seiner bewegenden Ansprache in Bolivien nahm der Papst jeden einzelnen Erdenbewohner in die Pflicht: „Sorgen Sie sehr für die Mutter Erde!“

Papst Franziskus sprach am 9. Juli beim Welttreffen der Volksbewegungen in Santa Cruz de la Sierra, Bolivien. Im Grunde aber wandte er sich an die Weltbevölkerung:

„Beginnen wir mit der Einsicht, dass wir eine Veränderung brauchen. Damit es keine Missverständnisse gibt, möchte ich klarstellen, dass ich von den gemeinsamen Problemen aller Lateinamerikaner – und generell der ganzen Menschheit – spreche. Von Problemen, die globalen Charakter haben und die heute kein Staat im Alleingang lösen kann.“

„Sehen wir ein, dass etwas nicht in Ordnung ist, wenn so viele sinnlose Kriege ausbrechen und  die brudermörderische Gewalt sich selbst unserer Stadtviertel bemächtigt? Sehen wir ein, dass etwas nicht in Ordnung ist, wenn der Boden, das Wasser, die Luft und alle Wesen der Schöpfung einer ständigen Bedrohung ausgesetzt sind?“

„Sagen wir es ganz unerschrocken: Wir brauchen und wir wollen eine Veränderung.“

Gegen „Das hemmungslose Streben nach Geld“

„Heute gibt die Wissenschaft zu, was die einfachen Leute schon seit langer Zeit anprangern: Dem Ökosystem werden Schäden zugefügt, die vielleicht irreversibel sind. Die Erde, die Völker und die einzelnen Menschen werden auf fast barbarische Weise gezüchtigt. Und hinter so viel Schmerz, so viel Tod und Zerstörung riecht man den Gestank dessen, was Basilius von Cäsarea den „Mist des Teufels“ nannte. Das hemmungslose Streben nach Geld, das regiert. Der Dienst am Gemeinwohl wird außer Acht gelassen.“

Zwar „ist es nicht so leicht, den Inhalt der Veränderung, sozusagen das soziale Programm zu bestimmen, das diesen Plan der Geschwisterlichkeit und Gerechtigkeit, die wir erhoffen,  widerspiegelt. In diesem Sinn erwarten Sie bitte kein Rezept von diesem Papst. Weder der Papst, noch die Kirche besitzen das Monopol für die Interpretation der sozialen Wirklichkeit, und sie haben auch keine Lösungsvorschläge für die gegenwärtigen Probleme. Ich wage zu behaupten, dass es gar kein Rezept gibt. Die Geschichte wird von den aufeinander folgenden Generationen aufgebaut im Rahmen von Völkern, die auf der Suche nach ihrem eigenen Weg sind und die Werte achten, die Gott ihnen ins Herz gelegt hat.“

Dennoch beschwor die Anwesenden, dafür zu sorgen, dass „keine Familie ohne Wohnung, kein Campesino ohne Grund und Boden, kein Arbeiter ohne Rechte, kein Volk ohne Souveränität, kein Mensch ohne Würde, kein Kind ohne Kindheit, kein Jugendlicher ohne Möglichkeiten, kein alter Mensch ohne ein ehrwürdiges Alter“ leben müsste.

Drei große Aufgaben

Schließlich schlug er drei große Aufgaben vor, die einen entscheidenden Beitrag der Gesamtheit der Volksbewegungen erfordern:

1.      Die erste Aufgabe ist, die Wirtschaft in den Dienst der Völker zu stellen:

Die Menschen und die Natur dürfen nicht im Dienst des Geldes stehen. Wir sagen Nein  zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der sozialen Ungerechtigkeit, wo das Geld regiert, anstatt zu dienen. Diese Wirtschaft tötet. Diese Wirtschaft schließt aus. Diese Wirtschaft zerstört die Mutter Erde.

Es ist eine Wirtschaft, in der der Mensch im Einklang mit der Natur das gesamte System von Produktion und Distribution so gestaltet, dass die Fähigkeiten und die Bedürfnisse jedes Einzelnen einen angemessenen Rahmen im Gemeinwesen finden. Sie – und auch andere Volksgruppen – fassen diese Sehnsucht auf einfache und schöne Weise in dem Ausdruck „gut leben“ zusammen.

2.      Die zweite Aufgabe ist, unsere Völker auf dem Weg des Friedens und der Gerechtigkeit zu vereinen.

Die Völker der Welt wollen ihr Schicksal selbst bestimmen. Sie wollen in Frieden ihren Weg zur Gerechtigkeit gehen. Sie wollen weder Bevormundung noch Einmischung, wo der Stärkere den Schwächeren unterordnet. Sie wollen, dass ihre Kultur, ihre Sprache, ihre gesellschaftlichen Prozesse und ihre religiösen Traditionen respektiert werden. Keine faktische oder konstituierte Macht hat das Recht, den armen Ländern die volle Ausübung ihrer Souveränität abzuerkennen, und wenn es dennoch geschieht, sehen wir neue Formen von Kolonialismus, welche die Möglichkeiten zu Frieden und Gerechtigkeit ernsthaft schädigen, denn „Grundlagen des Friedens sind nicht nur die Achtung der Menschenrechte, sondern auch der Respekt vor den Rechten der Völker, insbesondere dem Recht auf Unabhängigkeit“

In gleicher Weise ist die monopolistische Konzentration der sozialen Kommunikationsmittel, die entfremdende Konsummodelle und eine gewisse kulturelle Uniformität durchzusetzen versucht, eine weitere Gestalt, die der neue Kolonialismus annimmt. Es ist der ideologische Kolonialismus.

3.      Die dritte, vielleicht wichtigste Aufgabe, die wir übernehmen müssen, ist die Verteidigung der Mutter Erde.

Unser aller gemeinsames Haus wird ungestraft ausgeplündert, verwüstet und misshandelt. Die Feigheit bei ihrer Verteidigung ist eine schwere Sünde. Mit zunehmender Enttäuschung sehen wir, wie ein internationales Gipfeltreffen dem anderen folgt ohne irgendein bedeutendes Ergebnis. Es gibt ein klares, definitives und unaufschiebbares ethisches Gebot, zu handeln, das nicht befolgt wird. Man darf nicht zulassen, dass gewisse Interessen – die globalen aber nicht universalen Charakters sind – sich durchsetzen, die Staaten und die internationalen Organisationen unterwerfen und fortfahren, die Schöpfung zu zerstören. Die Völker und ihre Bewegungen sind berufen, ihre Stimme zu erheben, sich zu mobilisieren und friedlich aber hartnäckig zu fordern, dass unverzüglich geeignete Maßnahmen ergriffen werden.

„Wandlungsprozess“

„Hier in Bolivien habe ich einen Ausdruck gehört, der mir sehr gefällt: „Wandlungsprozess“. Die Veränderung, nicht verstanden als etwas, das eines Tages eintreffen wird, weil diese oder jene politische Option sich durchgesetzt hat oder weil diese oder jene soziale Struktur errichtet wurde. Wir haben die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass ein Wandel der Strukturen, der nicht mit einer aufrichtigen Umkehr des Verhaltens und des Herzens einhergeht, darauf hinausläuft, früher oder später zu verbürokratisieren, zu verderben und unterzugehen. Darum gefällt mir das Bild des Prozesses so sehr, wo die Freude am Aussäen und gelassenen Begießen von etwas, dessen Erblühen später andere sehen werden, an die Stelle der ängstlichen Sorge tritt, alle verfügbaren Machtbereiche zu besetzen und unmittelbare Ergebnisse zu sehen.“

Papst Franziskus schloss seine Ansprache mit einer Aufforderung füreinander zu beten.  (rls)

Quelle: Radio Vaticana Volltext: Wir sagen nein zu allen Formen des Kolonialismus  



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