Pager-Angriff im Libanon stellt die Regeln der Kriegsführung infrage

Tausende Verletzte und Dutzende Tote gab es nach den Pager- und Walkie-Talkie-Explosionen im Libanon. Die Explosionen, die auf Mitglieder der Hisbollah-Miliz abzielten, haben auch zivile Opfer gefordert. Der Vorfall wirft Fragen nach den Regeln der Kriegsführung auf.
Titelbild
Angehörige trauern um die zehnjährige Fatima Abdallah, die getötet wurde, nachdem Hunderte von Pager-Geräten im Libanon in einer tödlichen Welle explodierten. Die Beerdigung fand am 18. September 2024 im Dorf Saraain im Bekaa-Tal statt.Foto: -/AFP via Getty Images
Von 20. September 2024

Am Dienstag und Mittwoch explodierten im ganzen Libanon in zwei Wellen Pager, Walkie-Talkies und andere Kommunikationsgeräte. Mindestens 37 Menschen wurden getötet. Mehr als 3.000 wurden verletzt. Die meisten Opfer scheinen Mitglieder der Hisbollah-Miliz zu sein, aber der Angriff traf auch Zivilisten. Mindestens zwei Kinder und vier Mitarbeiter des Gesundheitswesens kamen ums Leben.

Eine libanesische Zeitung schreibt derweil, Israel habe mit dem Pager-Angriff die Regeln der Kriegsführung geändert.

Die israelische Führung hat sich weder offiziell zu den Anschlägen bekannt noch Vorwürfe dementiert, an ihnen beteiligt gewesen zu sein. Nach den Explosionen signalisierte Israel jedoch ein verschärftes Vorgehen gegen die Miliz im nördlichen Nachbarland.

Neben einer Reihe von Sicherheitsexperten erklärten zwölf aktuelle und ehemalige Verteidigungs- und Geheimdienstmitarbeiter Israels der „New York Times“, dass Israel hinter den Anschlägen stecke.

Explosionen inmitten der Bevölkerung

Arabische Zeitungen berichten, dass die Explosionsserie neben den direkten Opfern auch eine allgemeine Panik in dem Land mit mehr als vier Millionen Einwohnern auslöste. Die Menschen seien in Panik auf die Straßen gerannt.

„Al Jazeera“ berichtete, dass „Israels Unterstützer die libanesischen Bombenanschläge zwar feierten und sie als ‚präzise‘ bezeichneten, die Explosionen aber inmitten der Bevölkerung stattfanden“. Darunter bei Beerdigungen und in Wohnhäusern, Lebensmittelläden und Friseurläden.

„Man darf keine Gegenstände mit Sprengfallen versehen, die Zivilisten aufheben und benutzen können oder die im Allgemeinen mit dem normalen Gebrauch durch Zivilisten in Verbindung gebracht werden“, sagte Sarah Leah Whitson, eine Anwältin und Direktorin der in den USA ansässigen Menschenrechtsorganisation DAWN, in einem Interview mit dem Nachrichtenportal aus Katar.

Whitson fügte hinzu: „Wir haben keine Ahnung, wer die Pager besessen und ob es sich um legitime militärische Ziele gehandelt hat oder nicht.“ Das humanitäre Völkerrecht verbiete Angriffe, die „nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet sind“.

Eine Menschenmenge in der Nähe eines Krankenwagens, der am 17. September 2024 Verwundete in ein Krankenhaus in Beirut bringt, nachdem es an mehreren Orten im Libanon zu Explosionen gekommen war. Foto: Anwar Amro/AFP via Getty Images

„Krieg ohne Regeln“

Mehrere westliche Länder, darunter die USA, Deutschland und Großbritannien, stufen die Hisbollah insgesamt oder zumindest ihren militärischen Flügel als Terrororganisation ein. Die Hisbollah, die sowohl als politische Partei als auch als bewaffnete Miliz agiert, kontrolliert weite Teile des Libanon sowohl militärisch als auch politisch. Ihr Ziel ist die Vernichtung des Staates Israel.

Die libanesische Organisation befindet sich in einem ständigen Konflikt mit dem Nachbarland, aber dieser Vorfall hätte nach Ansicht der Hisbollah die rote Linie der Regeln der Kriegsführung überschritten.

Das in Israel ansässige Medium N12 zitiert Ibrahim al-Amin, den Herausgeber der libanesischen Zeitung „Al-Akhbar“, die als Hisbollah-nah gilt. Er fragte: „Sind die Türen für einen Krieg ohne Regeln und Grenzen geöffnet worden?“

Er sagte, dass „der Feind [Israel] mit der gestrigen Operation bestätigt hat, dass er nicht gewillt ist, sich an Einsatzregeln zu halten, die den Angriff auf die Bevölkerung oder deren Einrichtung verhindern“. Weiter führt er aus, dass Israel auch nicht mehr zwischen einem Kämpfer an der Front und einem Hisbollah-Mitarbeiter, der in einem abgelegenen Büro arbeitet, unterscheide.

Huwaida Arraf, eine in den USA ansässige Menschenrechtsanwältin, erklärte gegenüber „Al Jazeera“, dass die Pager-Angriffe auch gegen ein UN-Abkommen über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen verstoße. Laut Arraf können solche Angriffe nur dann als legitim angesehen werden, wenn sichergestellt wird, dass die Bombardierungen nur militärische Ziele treffen.

Laut den libanesischen Behörden starben bei den Anschlägen mindestens vier Angestellte im Gesundheitswesen, wie die BBC berichtet.

Hisbollah-Chef: Israel habe alle roten Linien überschritten

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hat Israel „Völkermord“ und ein „Massaker“ vorgeworfen. „Innerhalb von zwei Tagen und binnen einer Minute pro Tag hat Israel darauf abgezielt, mehr als 5.000 Menschen zu töten“, sagte der Generalsekretär bei einer am Donnerstag im Fernsehen übertragenen Rede. „Dieser kriminelle Akt kommt einer Kriegserklärung gleich“, sagte er. Israel habe alle roten Linien überschritten.

Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Hisbollah einen schweren Schlag erlitten habe. Dieser sei „in der Geschichte unseres Widerstands und vielleicht in der Geschichte des Konflikts mit dem Feind beispiellos“, so Nasrallah.

Der libanesische Regierungschef Nadschib Mikati rief seinerseits die Vereinten Nationen auf, sich Israels „technologischem Krieg“ gegen sein Land entgegenzustellen. Der UN-Sicherheitsrat solle hierzu „eine entschlossene Haltung einnehmen“, forderte er. Das Gremium kommt am Freitag zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen.

Eskalation vermeiden

Der Grund, warum Israel im Kampf gegen die Hisbollah zu einer so eigenartigen Methode gegriffen hat, könnte eine Frage der Vermeidung einer Eskalation sein.

Seit Monaten greift die Hisbollah den Norden Israels fast täglich an. Zehntausende Bewohner auf beiden Seiten der Landesgrenze mussten ihre Wohnorte verlassen. Ehemalige israelische Militärs sagten dem „Wall Street Journal“, das Vorgehen ziele wahrscheinlich nun darauf ab, die Hisbollah zu zwingen, ihre grenzüberschreitenden Angriffe einzustellen.

„Der Zweck einer solchen Operation war nicht, eine Eskalation herbeizuführen, sondern eine Einigung zu erzielen, die es den Menschen ermöglicht, in ihre Häuser zurückzukehren“, sagte Yossi Kuperwasser, ehemaliger Leiter der Forschungsabteilung des israelischen Militärgeheimdienstes, der US-Zeitung.

Magnus Ranstorp, Terrorismusexperte an der schwedischen Verteidigungsuniversität und ein Hisbollah-Forscher, erklärte gegenüber dem „Guardian“, dass auch die libanesische Organisation keine Eskalation wolle.

„Das ist eine große Demütigung für eine Organisation, die sich selbst auf ihre Sicherheit beruft. Sie gerieten in eine Falle“, sagte Ranstorp. Der Anführer der Organisation, Nasrallah, müsse gegen Israel nun Widerstand zeigen. Aber ohne ein Bekenntnis zu einer weiteren Eskalation, die zu einem Krieg führen könnte. Das haben die Sponsoren der Hisbollah in Teheran bisher zu vermeiden versucht, betonte Ranstorp.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)



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