Orbán will 2 Milliarden Euro von der EU für „Schutz der Grenzen seit 2015“

Wegen Nichtbefolgung eines EuGH-Urteils soll Ungarn hohe Strafzahlungen leisten. Nun dreht Premierminister Orbán den Spieß um und fordert von Brüssel Aufwandsersatz für Grenzschutzleistungen. Auch in Österreich wird die ungarische Politik zum Wahlkampfthema.
Ungarn will die EU für Zaun an südlichen Grenzen zur Kasse bitten
Ungarn will die EU für Zaun an südlichen Grenzen zur Kasse bittenFoto: Tibor Rosta/MTI/AP/dpa
Von 5. September 2024

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Nicht Ungarn sollte Strafzahlungen wegen der Missachtung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) leisten, sondern die EU sollte der Regierung in Budapest Aufwandsersatz bezahlen. Das ist der Tenor einer Verordnung des ungarischen Premierministers Viktor Orbán, die jüngst im Ungarischen Gesetzblatt erschienen ist.

Die EU schulde dem Land, das derzeit die Ratspräsidentschaft innehat, rund zwei Milliarden Euro, die Budapest seit 2015 für den Schutz der Außen- und Schengen-Grenzen ausgegeben habe. Diese Summe will Ungarn gegen das Zwangsgeld aufrechnen, zu dem der EuGH das Land im Juni verurteilt hat.

EuGH wirft Ungarn „ganz neue und außergewöhnlich schwere Verletzung des EU-Rechts“ vor

Der Gerichtshof hatte Ungarn attestiert, mit seiner Asylpolitik eine abgestimmte Asylpolitik der EU bewusst zu umgehen. Bereits im Dezember 2020 hatte der EuGH die Regierung in Budapest verurteilt, weil diese Asylsuchenden „auf ungesetzliche Weise den Zugang zu Asylverfahren“ vorenthalte.

Es sei „faktisch unmöglich“ für Asylsuchende in Ungarn, ihre Anträge einzubringen, während sie in sogenannten Transitzonen festsäßen. Diese gefängnisähnlichen Einrichtungen hat die Regierung seither zwar geschlossen, allerdings hat Ungarn anschließend festgeschrieben, dass Schutzsuchende erst ein Vorverfahren in den ungarischen Botschaften des Herkunftslandes durchlaufen müssten, bevor sie das Recht hätten, in Ungarn Asyl zu beantragen.

Auch das hat der EuGH beanstandet und Budapest attestiert, sowohl EU-Recht als auch die Rechte der Asylsuchenden zu verletzen. Ungarn ignorierte das Urteil und hielt die Praxis aufrecht. Im Juni urteilte der EuGH, dies stelle eine „ganz neue und außergewöhnlich schwere Verletzung des EU-Rechts“ dar.

Orbán: Pionierarbeit für heutiges GEAS?

Deshalb solle Ungarn nun 200 Millionen Euro an Strafzahlungen plus eine weitere Million für jeden Tag leisten, an dem die Regierung in Budapest das Urteil nicht umsetze. Die EU-Kommission droht bereits jetzt damit, den geforderten Betrag von den Budgetmitteln abzuziehen, die Ungarn zustehen, sollte Orbán dies nicht bis 17. September veranlasst haben. Eine erste Zahlungsfrist hat Budapest einem Bericht von „Ziare“ zufolge verstreichen lassen.

Demgegenüber betont Orbán, durch seine Politik – etwa die Errichtung von Stachelzäunen an den Grenzen zu Serbien und Kroatien – irreguläre Migration über die Balkanroute eingedämmt zu haben. Sollte die EU auf ihren Forderungen beharren, werde Ungarn Migranten, die ins Land kommen, in Bussen nach Brüssel dirigieren.

In Ungarn verweist man mit Blick auf die Beanstandungen der ungarischen Migrationspolitik mittlerweile häufig auf die im Vorjahr beschlossene Reform der Gemeinsamen Europäischen Asylpolitik (GEAS). Diese sieht unter anderem eine Erleichterung von Asylverfahren an den Außengrenzen vor – und unter bestimmten Umständen auch die Anhaltung von Schutzsuchenden in haftähnlichen Komplexen in Grenznähe.

Ungarn hatte noch weitergehende Forderungen gestellt, am Ende jedoch die Reform mitgetragen. Allerdings sieht man sich jetzt als Pionier einer restriktiven Migrationspolitik, auf die nun auch der Rest der Staatengemeinschaft eingeschwenkt sei.

SPÖ-Chef Babler: „Ungarn treibt Flüchtlingszahlen in Österreich in die Höhe“

Unterdessen sind Ungarn und Viktor Orbán auch zum Thema im österreichischen Wahlkampf geworden. Am 29. September wird dort der Nationalrat gewählt, und während FPÖ-Chef Herbert Kickl den ungarischen Weg als vorbildlich lobt, will SPÖ-Chef Andreas Babler Sanktionen und Klagen gegen das Nachbarland durchsetzen.

Orbán breche nicht nur EU-Recht, so Babler. Er vereitele auch eine gerechte Verteilung der Schutzsuchenden. Der SPÖ-Chef wirft Ungarn vor, Asylsuchende möglichst rasch durch das Land durchzuwinken und damit das Aufkommen an Geflüchteten in Österreich zu steigern.

Im Jahr 2015 erklärte Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel den Eintritt Deutschlands in die Asylverfahren von syrischen Flüchtlingen, die entlang der Balkanroute in Richtung Ungarn unterwegs waren und teilweise dort schon in Transitzonen festsaßen. Orbán hatte Merkel damals vor die Wahl gestellt, entweder zu akzeptieren, dass Ungarn die Fluchtbewegung notfalls mit Waffengewalt stoppe, oder sie über Österreich in Richtung Deutschland weiterziehen zu lassen.

Ungarn und Serbien weiten gemeinsame Grenzpatrouillen aus

Babler macht Orbán nun für die hohen Asylzahlen der vergangenen Jahre in Österreich verantwortlich. Mittlerweile sind die Zahlen deutlich rückläufig. András Léderer, Migrationsexperte des Hungarian Helsinki Committee, erklärt gegenüber dem Magazin „profil“ jedoch, dass es ein Durchwinken von Asylsuchenden in Ungarn nicht mehr gebe.

Griffen Behörden Personen auf, die sich rechtswidrig in Ungarn aufhielten, „setzen sie die Person in ein Polizeiauto, fahren sie an die serbische Grenze und schieben sie ohne ein individuelles Verfahren oder Dokumente zurück“.

In Ungarn stehe der Grenzzaun zu Serbien zudem einige Meter hinter der eigentlichen Grenze. Geflüchtete durch ein Tor im Zaun zu begleiten, gelte nach ungarischem Dafürhalten nicht als Abschiebung, da diese sich weiterhin auf ungarischem Territorium befänden.

Außenminister Péter Szijjártó betont, dass Ungarn mit seiner Vorgehensweise auch Österreich einen massiven Andrang an Geflüchteten erspart habe. Léderer geht davon aus, dass Asylsuchende nun vermehrt versuchten, über Kroatien nach Slowenien oder Italien zu gelangen. Österreichs Innenminister Gerhard Karner begrüßt die gemeinsamen Polizeioperationen entlang der Grenze zwischen Ungarn und Serbien. Für den deutlichen Rückgang der Asylzahlen in Österreich macht er jedoch nicht Orbáns rigide Politik verantwortlich, sondern Serbiens offensives Vorgehen gegen Schleuserbanden im Grenzgebiet.



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