Orbán: Die europäische Kultur wird untergehen, wenn kein Ausweg gefunden wird
Mit stehendem Applaus wurde der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in der Schweiz empfangen. Dort sprach Orbán am 22. November bei den Jubiläumsfeierlichkeiten der Wochenzeitung „Die Weltwoche“ – einer konservativen Schweizer Zeitung, die dieses Jahr 90 Jahre alt wird.
Seine Hauptbotschaft äußerte Orbán bereits am Anfang seiner Rede:
Meine These ist, dass Europa seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung verloren hat.“
Das bedeute, dass es nicht in der Lage sei, seine Ziele zu bestimmen und die Mittel zu erkennen, um diese zu erreichen. Mit anderen Worten, es sei „nicht fähig, unabhängig und souverän zu handeln“, sagte Orbán. Die Aufgabe bestehe nun darin, einen Ausweg zu finden.
Steuerung verloren
Die Europäische Union sei gerade die größte Herausforderung für Ungarn und auch für die Schweiz. Schließlich beträfen die dort getroffenen Entscheidungen diese ebenso, auch wenn die Alpenrepublik kein Mitglied ist. Und das Problem mit den Entscheidungen, so Orbán, sei, dass sie nicht von denen getroffen werden, die sie treffen sollten.
Im Grunde sollte der Europäische Rat, dem die gewählten Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten angehören, die politische Führung innehaben. Die Realität ist aber, dass immer mehr Entscheidungen von europäischen Bürokraten – besonders der Europäischen Kommission und ihrer Präsidentin – übernommen werden, so Orbán.
Allerdings ist Ursula von der Leyen keine Führungspersönlichkeit:
Sie ist unsere Angestellte, unsere bezahlte Angestellte, deren Aufgabe es ist, das umzusetzen, was wir entscheiden.“
Das größte Problem sei jedoch, dass diese Bürokraten keineswegs so neutral sind, wie sie es sein sollten. Viel mehr sind sie „überzeugte Verfechter des progressiven Liberalismus“, der in Übersee begann und heute „ganz Europa besetzt“.
Unter geistiger Besetzung
Die Wurzeln dieses Phänomens gehen Orbán zufolge auf den Zweiten Weltkrieg zurück. Genau gesagt auf den anschließenden amerikanischen Einfluss im Westen und den sowjetischen Einfluss im Osten Europas. Während der letztere beseitigt wurde, sei der erstere bis heute bestehen geblieben. Wie Orbán sagte, ist Europa im Grunde an einem Punkt angekommen, an dem es sein Schicksal nicht mehr selbst in der Hand habe:
Heute sieht es so aus, als ob das Schicksal Europas an Amerika gekettet ist.“
Die große Frage sei nun, ob Europa unter diesen Umständen seine eigene unabhängige Identität wiederherstellen und die Unabhängigkeit innerhalb des westlichen Bündnisses bewahren könne.
Während der Präsidentschaft von Ronald Reagan, „der von seinem Land als ‚Einer Nation unter Gott’“ sprach, hätte es auch in Europa noch eine „christdemokratische Führung“ gegeben, sodass die amerikanische Präsenz keine Probleme verursacht hätte. Aber die Situation habe sich geändert. In den Vereinigten Staaten wurden die christlichen politischen Kräfte durch progressive ersetzt.
Die europäische Kultur drohe unterzugehen, wenn kein Ausweg gefunden wird.
Orbán sagte, Ungarn habe erfolgreich ein eigenständiges Modell für Europa erprobt: statt Wohlfahrtsstaat ein „Workfare“-Staat („zuerst muss man arbeiten, und danach folgt der Wohlstand, nicht umgekehrt“), Förderung der Familie und traditioneller Werte statt Migration sowie die Förderung des Pluralismus statt progressiver Hegemonie.
Fußball und Familie
Auf die Rede folgte ein Gespräch mit Roger Köppel, dem Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Weltwoche“.
Dabei wurden die Migrationspolitik und der russisch-ukrainische Konflikt diskutiert. Köppel fragte Orbán, der seit mehr als 30 Jahren in der Politik und seit 17 Jahren in der Regierung ist, außerdem: „Was ist das Rezept zum Überleben?“
„Ich bin im Grunde ein glücklicher Mann, weil ich etwas mehr als dreißig Jahre im Fußball verbracht habe. Fußball ist die beste Schule für Politiker“, sagte Orbán. Das Wichtigste sei nicht, gut genug zu sein, sondern wie man für die Mannschaft nützlich ist. Ferner lehrt einen der Sport auch, niemals aufzugeben.
Schließlich gebe es auch einen wichtigen Faktor, ohne den man, so Orbán, „unter Druck nicht überleben kann“. Und dies sei die Familie. „Ich habe viele talentierte Jungs gesehen, viel talentierter als ich. Allerdings sind sie unter dem Druck zusammengebrochen“, sagte Orbán unverblümt.
Ein Besuch „ohne kritische Fragen“
Medien haben den Besuch Viktor Orbáns in der Schweiz als eine Veranstaltung, bei der es keine kritischen Fragen gab, scharf kritisiert.
„Die antidemokratischen Reformen Orbáns kommen nicht zur Sprache. Die Gängelung unabhängiger Medien, die homophoben Gesetze, die antisemitischen Untertöne seiner Tiraden gegen den Milliardär George Soros: Darüber spricht man hier nicht“, schreibt die NZZ („Neue Zürcher Zeitung“).
In ähnlicher Weise kritisierte der Schweizer „Tagesanzeiger“ den Mangel an kritischen Stimmen.
Die Veranstaltung fand unter dem Schutz von Dutzenden Polizisten statt. Trotz Ankündigung sind jedoch keine Demonstranten erschienen.
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