Olympische Spiele 2024 in Paris: Das Jahr eins der digitalen Rundumüberwachung

Olympische Premiere in Paris: Scannen der Menschenmengen nach anormalem Verhalten. Das System soll Ordnungskräfte unterstützen und acht Arten von verdächtigen Situationen erkennen.
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23. Februar 2024: Überwachung vom Dach des Turms Montparnasse in Paris.Foto: MARTIN BUREAU/AFP über Getty Images
Von 13. März 2024

Hundert Jahre nach den letzten Olympischen Sommerspielen, die in Frankreich stattfanden, stehen die Olympischen Spiele 2024 in Paris vor einem neuen Zeitalter. Um der Sicherheitsproblematik zu genügen, werden Kameras, die mit Künstlicher Intelligenz verbunden sind, die Menschenmengen nach anormalen Verhaltensweisen scannen.

Das Ziel ist es, den Ordnungskräften die Kontrolle öffentlicher Orte zu erleichtern – das Risiko besteht in der Beeinträchtigung der persönlichen Freiheiten.

Jeder hat das chinesische Sozialkreditsystem vor Augen: eine allumfassende algorithmische Überwachung, welche die Bevölkerung rund um die Uhr scannt, um jedem Einzelnen eine „soziale Benotung“ zu geben. Diese erlaubt es den Bürgern sodann – oder auch nicht –, sich irgendwohin zu bewegen, Lebensmittelgeschäfte, Buchhandlungen, Krankenhäuser und Ähnliches zu betreten. Mit anderen Worten, die digitale Diktatur eines autoritären Regimes.

Auch wenn man weiterhin auf der Hut sein muss, ist Frankreich nicht an diesem Punkt und die Videoüberwachung könnte bei großen Sportveranstaltungen wie den Olympischen Spielen gegen Kleinkriminalität oder Terrorismus helfen. Sofern die Bilder nicht vernichtet werden, wie es beim Champions-League-Finale im Mai 2022 der Fall war.

Acht verdächtige Situationen sollen die digitalen Algorithmen erkennen

Die Erprobung von algorithmischen Videokameras zur Überwachung wurde im Olympiagesetz vom 19. Mai 2023 beschlossen und genehmigt. Die ersten Tests wurden erst kürzlich bei den Konzerten der Band Depeche Mode Anfang März in der Accor Arena in Bercy durchgeführt.

Artikel 10 des Olympiagesetzes sieht die Möglichkeit vor, die Bilder aus den Videoüberwachungskameras der Polizeipräfektur mit Algorithmen zu verknüpfen, mit denen „anormale Ereignisse“ automatisch erkannt werden können.

Diese Kameras, die durch Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt werden, dürfen acht Arten von verdächtigen Situationen erkennen: die Missachtung der Fahrtrichtung, das Passieren einer verbotenen Zone, das Vorhandensein oder die Verwendung einer Waffe, den Beginn eines Brandes, eine größere Menschentraube, eine am Boden liegende Person, eine zu hohe Dichte von Fahrzeugen oder Menschen oder ein herrenloses Paket.

Das Gesetz verbietet jedoch die Gesichtserkennung und den Abgleich mit gerichtlichen oder zivilen Dateien. Die KI hinter den Kameras wird vorerst nicht in der Lage sein, eine Person anhand einer Bilddatenbank zu suchen.

Straftaten erkennen

Vier Unternehmen teilten sich das Budget von acht Millionen Euro, welches das Innenministerium für die algorithmische Videoüberwachung der Olympischen Spiele bereitgestellt hatte – es sind Wintics, Videtics, Orange Business und ChapsVision.

Zum besseren Verständnis: Diese Unternehmen wandeln die auf den Videos aufgenommenen Bilder mithilfe von Künstlicher Intelligenz in statistische Daten um, und die KI kann in Echtzeit Warnmeldungen an die Behörden senden.

Im Innenministerium spricht man von einer digitalen Hilfe beim Erkennen von Straftaten. Und davon, dass es immer ein „menschliches Wesen“ sein wird, welches die gesendeten Warnhinweise überprüft.

Menschen sollen weiterhin entscheiden, ob eine operative Reaktion ausgelöst wird – wie beispielsweise der Einsatz der Feuerwehr, die Festnahme eines Verdächtigen, der Anruf bei der Antiterroreinheit.

Feldversuch bis 2025

Maschinen haben keine analytischen Fähigkeiten. Zum Training benötigen sie sehr viele Bilder, um anschließend eine Situation gut zu identifizieren. Einfach ist das nicht.

Zum Beispiel das Mitführen oder den Gebrauch einer Waffe: Wie definiert man für eine KI, was eine Waffe oder der Gebrauch einer Waffe ist? Was ist der Unterschied zwischen einer Waffe und einem Mobiltelefon oder einem Regenschirm? Und wie unterscheidet man einen Angriff auf eine Person von einer Umarmung oder einem einfachen Schubsen?

Die Zahl der zu berücksichtigenden Kriterien ist angesichts der Vielfalt des menschlichen Verhaltens – je nach Alter, Beruf und Kultur – nahezu unendlich. Sofern man alle unvorhergesehenen Situationen berücksichtigen will, die in einem öffentlichen Raum auftreten können.

Jede KI-Warnung muss zunächst von privaten Betreibern und dann von Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden überprüft werden, um den Einsatz zu validieren. Außerdem darf die Kalibrierung weder zu weit noch zu eng gefasst sein, um eine Über- oder Unterinterpretation eines kritischen Verhaltens durch die KI zu vermeiden.

Derzeit ist die Technologie noch nicht einsatzbereit und befindet sich in der Testphase. Der Generalsekretär der Datenschutzbehörde CNIL, Louis Dutheillet de Lamothe, sagte auf Radio „France Inter“: „Man muss sehen, ob es nützlich ist, um eine Veranstaltung zu sichern oder nicht, und man muss das richtige Maß finden.“

Vorsichtsmaßnahmen und Bedürfnisse

Der Text des Olympiagesetzes „integriert alle Maßnahmen, die für den reibungslosen Ablauf der Spiele unerlässlich sind […], wobei die Rechte und Freiheiten unserer Mitbürger in vollem Umfang gewahrt bleiben“. Das versicherte Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra im April 2023, um die Verabschiedung des Gesetzes zu verteidigen.

Der Senat erklärte, er habe „die Sicherheitsvorkehrungen, Kontrollen und Garantien“ vervielfacht, so die zuständige Referentin für das Gesetz, Agnès Canayer. Canayer ist Senatorin des nordwestfranzösischen Departments Seine-Maritime, die der politischen Partei Les Républicains (LR) nahesteht.

„Es ist eine neue Technologie. Es gibt Überwachung, mit der Nutzung von Daten, mit Künstlicher Intelligenz“, betonte Louis Dutheillet de Lamothe. „Die Rolle der CNIL besteht darin, von Anfang bis Ende dabei zu sein. Wir waren bei der Beratung über den richtigen Rahmen des Gesetzes (im April 2023) dabei, um die Grenzen zu setzen.“ Die CNIL, die Commission Nationale de l’Informatique et des Libertés, ist als unabhängige Datenschutzbehörde in Frankreich für die Überwachung und Durchsetzung des Datenschutzes zuständig.

Auf der anderen Seite steht die Forderung der Städte nach mehr Videoüberwachung angesichts der zunehmenden Sicherheitsrisiken und insbesondere der explosionsartigen Zunahme von Diebstählen und Übergriffen.

Feldversuch soll am 31. März 2025 enden

Der von „Mediapart“ [1] befragte stellvertretende Sicherheitsbeauftragte von Châteauroux – wo die Schießsportwettbewerbe stattfinden werden und die Videoüberwachung im Vorfeld der Spiele verstärkt wurde – versichert, dass er „jede Woche Bürger“ empfange, um mit ihnen über ihre Sicherheit zu sprechen. „In 99 Prozent der Fälle sagen sie mir, dass sie eine Kamera an ihrer Haustür oder vor ihrem Geschäft haben möchten.“

Der Feldversuch der automatischen Videoüberwachung soll normalerweise am 31. März 2025 enden. Es besteht jedoch das Risiko, dass dieser darüber hinaus verlängert wird, falls man der Sportministerin Glauben schenkt: „Wenn es sich bewährt und mit entsprechender  Garantie funktioniert, kann es bei Großveranstaltungen eingesetzt werden“, präzisierte Amélie Oudéa-Castéra. Die französische Politikerin ist Managerin und ehemalige professionelle Tennisspielerin – und als Sportministerin zuständig für die Organisation der Spiele. Zuvor war sie auch als Bildungsministerin tätig.

Es wird Aufgabe der gewählten Abgeordneten, der Bürgerrechtsvereine und der Datenschutzbehörde sein, aufmerksam zu bleiben – um jegliche Tendenzen zu vermeiden, dass diese Technologie für politische Zwecke eingesetzt werden könnte, um der Gesellschaft mehr Kontrolle aufzuzwingen.

[1] Das französische Medium „Mediapart“ ist eine Onlinenachrichtenplattform, die für ihre investigativen und unabhängigen Berichterstattungen bekannt ist. Gegründet wurde sie im Jahr 2008 von Edwy Plenel, einem ehemaligen Chefredakteur der Zeitung „Le Monde“.

Der Artikel erschien zuerst in der französischen Epoch Times unter dem Titel „JO de 2024 à Paris: l’an I de la surveillance algorithmique en France. (Deutsche Bearbeitung ks)



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