Österreich vor der Wahl: „Kanzlerduell“ zwischen Nehammer und Kickl
Die letzte Woche vor der Nationalratswahl in Österreich begann am Montag, 23. September, mit den letzten beiden Zweierkonfrontationen zwischen den Spitzenkandidaten der Parlamentsparteien im ORF. Die erste davon war das „Kanzlerduell“ zwischen Amtsinhaber Karl Nehammer (ÖVP) und FPÖ-Chef Herbert Kickl. Mit 922.000 Zuschauern und einem Marktanteil von 36 Prozent geriet es zur meistgesehenen Konfrontation. Die „Elefantenrunde“ aller Spitzenkandidaten am Donnerstag ist die letzte Debatte, die der öffentlich-rechtliche Sender präsentieren wird.
Duell zwischen Nehammer und Kickl zieht die meisten Zuschauer an
Darüber, wie viele sogenannte Wahlkarten – wie die Briefwahlunterlagen in Österreich heißen – bislang ausgegeben worden sind, hält sich das Innenministerium bedeckt. Auslandsösterreicher mussten bis 20. September ihre Wahlunterlagen beantragen. Im Land selbst wohnhafte Österreicher, die per Brief wählen wollen, müssen dies bis Mittwoch schriftlich beantragen. Persönliche Anträge nehmen die Wahlbehörden noch bis Freitag entgegen. Bei der EU-Wahl im Juni hatten etwa 15 Prozent der Wahlberechtigten diese Chance genutzt.
Sieht man von den bereits abgeschickten Wahlkarten ab, sind in den letzten Tagen vor Sonntag allerdings noch einige Stimmen zu holen – und glaubt man den jüngsten Umfragen, ist noch vieles in Bewegung. Das Hochwasser hat demnach sogar eine zusätzliche Dynamik gebracht. Diesen zufolge soll die ÖVP mit Kanzler Nehammer erheblich zulegt haben und bereits im Windschatten der FPÖ segeln, die zuletzt stets auf dem ersten Platz gelegen hatte.
Im Durchschnitt von vier Umfragen, die in den APA-Wahltrend einflossen, liegt die FPÖ zwar noch mit 26 bis 27 Prozent der Stimmen vorn, die ÖVP hat sich diesen zufolge aber mittlerweile auf 25 Prozent gesteigert. Im Vorfeld der EU-Wahl im Juni war die FPÖ tendenziell in Umfragen überbewertet, die ÖVP erzielte ein höheres Ergebnis als vorhergesagt.
Kritik wegen Ministerin der Grünen
In der TV-Konfrontation zwischen Kickl und Nehammer zeigten sich deutliche Auffassungsunterschiede in Fragen wie der Corona-Bilanz oder dem sogenannten Sky Shield. Demgegenüber gab es nur wenige Differenzen in der Wirtschaftspolitik, in der Einschätzung der Rolle der EU bei der Verfolgung von Klimazielen oder der Energiepolitik.
Auch wenn Vorwürfe wie jener der „Angstmache“ von Nehammer an die Adresse Kickls oder „totalitärer“ Tendenzen im Umgang mit der Pandemie im Raum blieben, verlief die Debatte verhältnismäßig geordnet. Demgegenüber waren die Zusammentreffen Kickls und Nehammers mit SPÖ-Chef Andreas Babler jeweils deutlich konfrontativer verlaufen.
Auffällig war, dass Nehammer keine Anstrengungen unternahm, die Politik der Grünen zu verteidigen, mit denen sich seine Partei immer noch in einer Koalition befindet. Stattdessen kündigte er an, dass es künftig keine so große Konzentration innerhalb eines Ministeriums geben werde wie derzeit im Fall desjenigen für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.
Dies war die Replik des Kanzlers auf den Vorwurf Kickls, die ÖVP habe zentrale politische Zukunftsagenda einer Ministerin „mit sektiererischen Tendenzen“ überlassen. Gemeint war damit die grüne Amtsträgerin Leonore Gewessler.
Nehammer verteidigt Beteiligung an Sky Shield
In der Frage der Beteiligung Österreichs an der „Einkaufsgemeinschaft“ Sky Shield beharrte der Kanzler darauf, dass diese mit der Neutralität vereinbar sei. Der Zusammenschluss ermögliche Österreich die günstigere Beschaffung von Komponenten für eine Luftabwehr. Diese werde auch gegen terroristische Bedrohungen gebraucht. Die Neutralität sei über einen Vorbehalt abgesichert. Kickl hingegen verwies auf zahlreiche NATO-Bezüge bereits im Vertragstext.
Nehammer bemühte – mutmaßlich unbewusst – ein Zitat des früheren KPD-Führers Ernst Thälmann, als er seine Position zu Sky Shield verteidigte. Aus dem Ausspruch „Einen Finger kann man brechen, aber fünf Finger sind eine Faust“ aus dem DEFA-Film „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ machte der österreichische Kanzler die Aussage, einzelne Finger seien „nichts“, aber „geschlossen bilden sie eine Faust“.
In der Debatte um Russland-Sanktionen verteidigte Nehammer diese mit der Signalwirkung, die von diesen ausgingen. Diese sollen dem Kreml signalisieren, dass es „nicht in Ordnung“ sei, nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa noch einmal „Grenzen mit Gewalt zu verschieben“. Gleichzeitig gingen jedoch intensive diplomatische Bemühungen zur Beendigung des Ukraine-Krieges weiter. Nehammer nahm für sich in Anspruch, mit allen Kriegsparteien und mit wichtigen potenziellen Vermittlern wie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gesprochen zu haben.
SPÖ bereits deutlich abgeschlagen
Dass neben Nehammer und Kickl auch er selbst noch ein reeller Kanzlerkandidat sei, dessen ist sich jedoch auch SPÖ-Chef Andreas Babler sicher. Er hatte am Sonntag am Rande der „Elefantenrunde“ des Privatsenders „Puls 4“ den Meinungsforscher Christoph Haselmayer konfrontiert.
Babler behauptete, bei den Rohdaten der Meinungsforscher auf Platz 1 zu liegen. Lediglich deren Gewichtung würde dazu führen, dass die SPÖ mit 20 bis 21 Prozent auf Platz 3 ausgewiesen würde. Haselmayer hingegen wies darauf hin, dass kein Umfrageinstitut die Sozialdemokraten in den vergangenen Wochen auf dem ersten Platz ausgewiesen habe. Er forderte noch während der Sendung Rohdaten seines eigenen Instituts IFDD an. Diesen zufolge war die SPÖ jedoch auch deutlich abgeschlagen auf Platz 3.
Hinter ihr liegen noch NEOS und Grüne, erstgenannte leicht über, zweitere tendenziell unter zehn Prozent. Die linksliberalen NEOS schnitten bei Wahlen jedoch häufig schlechter ab als in Umfragen. Die Grünen hoffen, durch das Hochwasser noch letzten Rückenwind zu bekommen.
Wird Babler nach der Wahl durch Kern ersetzt?
Die Aufholjagd der ÖVP auf den letzten Metern erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei nach dem Wahlsonntag vielleicht doch zwischen zwei möglichen Zweierbündnissen wählen kann. Je näher die Bürgerlich-Konservativen an die FPÖ heranrücken und je nachdem, ob die SPÖ stärker bleibt als Grüne und NEOS zusammen, könnte es auch eine knappe parlamentarische Mehrheit für Schwarz-Rot geben.
Dass das Kanzlerduell zwischen Nehammer und Babler wenig harmonisch verlief, muss dabei keine Vorentscheidung darstellen. Mehrere ÖVP-Landeshauptleute sollen Druck auf die Bundesführung ausüben, eine erneute Koalition mit den Sozialdemokraten einzugehen. Eine solche hatte – mit deutlich größeren Mehrheiten – Österreich bereits zwischen 1986 und 2000 und zwischen 2006 und 2017 regiert.
Auch Babler und sein prononcierter Linkskurs sollen kein grundsätzliches Hindernis mehr darstellen. Er wird hinter vorgehaltener Hand jetzt schon als Ablösekandidat gehandelt. Als möglicher Nachfolger wurde kürzlich sogar der frühere Kanzler Christian Kern ins Spiel gebracht, über dessen mögliches Comeback bereits im Vorjahr spekuliert wurde.
Ein Einzug der Bierpartei in den Nationalrat hätte eine schwarz-rote Mehrheit in weite Ferne gerückt, und lange Zeit handelten Umfragen diese stabil über der Vier-Prozent-Hürde. Mittlerweile sieht sie dort jedoch kaum noch ein Meinungsforschungsinstitut. Dies macht eine potenzielle gemeinsame Mehrheit von ÖVP und SPÖ deutlich wahrscheinlicher. Lediglich ein Einzug der KPÖ könnte diese noch sicher verhindern.
KPÖ könnte über Grundmandat in den Nationalrat kommen
Die Kommunisten KPÖ liegen bei drei Prozent und würden damit den Einzug verfehlen. Allerdings haben sie noch die Chance, über ein Grundmandat in den Nationalrat einzuziehen. Im Regionalwahlkreis Graz würden dafür etwa elf Prozent der Stimmen benötigt, in Salzburg ist die Hürde schon deutlich höher. In der steirischen Landeshauptstadt stellt die Partei die Bürgermeisterin, in Salzburg erzielte sie im Frühjahr Achtungserfolge.
Zuletzt hatte die KPÖ in Graz bei der Nationalratswahl mit 2,2 Prozent jedoch einen deutlich geringeren Stimmenanteil erzielt als auf kommunaler und Landesebene. Außerdem ist es bislang in Österreich noch keiner Partei gelungen, trotz Scheiterns an der Vier-Prozent-Hürde über ein Grundmandat in den Nationalrat einzuziehen.
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