Österreich: Regierungsbildung stockt – Misstrauen gegen die FPÖ im Innenministerium
![Titelbild](https://images-de.epochtimes.de/uploads/2025/01/GettyImages-2193107079-e1739217482549-800x450.jpg)
Nach 100 Tagen an Verhandlungen war der Versuch, in Österreich eine Koalition aus konservativer ÖVP, Sozialdemokraten und liberalen NEOS zu bilden, Anfang Januar gescheitert. Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer trat daraufhin zurück. Seit etwa einem Monat verhandelt nun dessen Nachfolger Christian Stocker mit FPÖ-Chef Herbert Kickl über die Bildung eines Regierungsbündnisses unter dessen Führung. Die FPÖ war bei den Nationalratswahlen am 29.9. des Vorjahres stärkste Partei geworden.
Die Verhandlungsteams konnten sich innerhalb von nur wenigen Tagen auf eine Grundsatzvereinbarung zum Haushalt einigen. Dies weckte Hoffnungen auf eine schnelle Regierungsbildung. Inzwischen stockt dieser Prozess jedoch und aus den Reihen von SPÖ und Grünen kommen erste Forderungen an die Konservativen, die Gespräche abzubrechen. Der NEOS-Abgeordnete Sepp Schellhorn brachte die Option einer Minderheitsregierung mit der ÖVP ins Spiel.
FPÖ will mehrere Schlüsselministerien – auch das Innenministerium
Zuletzt tauchten in den Medien geleakte Verhandlungsprotokolle auf, die Punkte erkennen ließen, in denen die Gesprächspartner noch keine Einigkeit erzielen konnten. Ein 223 Seiten dickes Konvolut zählte unter anderem Ausnahmen von den Russland-Sanktionen, Distanz zu europäischen und internationalen Gerichtshöfen oder Einschränkungen des Versammlungsrechts auf.
Aber auch die Ressortverteilung ist ein Zankapfel. Die FPÖ soll nach dem bisherigen Stand der Dinge unter anderem das Finanzministerium als Schlüsselressort erhalten. Allerdings beharrt sie darauf, auch das Innenministerium zu führen. Immerhin hatte Herbert Kickl dieses selbst in der Zeit des Kabinetts Sebastian Kurz I geleitet. Die ÖVP lehnt dies ab.
Inzwischen erhält die ÖVP in dieser Frage Schützenhilfe aus dem Staatsapparat selbst – auf eine Weise, die das Vertrauen zwischen den potenziellen Koalitionspartnern deutlich beeinträchtigen könnte. Der „Spiegel“ und der „Standard“ wollen in den Besitz eines Dokuments geraten sein, in dem Beamte des Innenministeriums selbst vor einem FPÖ-Politiker als Leiter ihres Ressorts warnen.
Behördeninterne „Einschätzung“ findet Weg in die Medien
Es handelt sich dabei um eine Einschätzung bezüglich möglicher Folgen einer Übernahme des Ministeriums durch die FPÖ, die mit der Kontrolle über Polizei- und Sicherheitsdienste verbunden wäre. Dabei wurde unter anderem die vermeintlich zu große Russland-Nähe von FPÖ-Politikern angesprochen. Diese würde zu Misstrauen unter befreundeten Diensten führen und das Risiko nach sich ziehen, dass Österreich von Informationsflüssen abgeschnitten werde.
So soll sich eine Ermittlungsgruppe „FAMA“ des Bundeskriminalamtes zu Wort gemeldet haben. Deren Erkenntnisse zeugten demnach von einer „tiefgehenden Verwurzelung der Beziehungen der FPÖ zu russischen Netzwerken“. Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ, insbesondere die neuerliche Übernahme des Innenministeriums, hätte „direkte und negative Auswirkungen auf die Ermittlungsarbeit und die Spionageabwehr der Republik“, heißt es weiter.
Das Papier warnt vor einer möglichen „Schwächung der Abwehrfähigkeit des Staates gegen Gefahren aus dem In- und Ausland“ durch eine FPÖ-Regierungsbeteiligung. Auch wäre damit zu rechnen, dass die Abwehr des Rechtsextremismus dadurch Schaden nehmen würde. Immerhin gelte der Kickl-Vertraute Reinhard Teufel als möglicher Ministerkandidat. Dieser stand 2019 im Fokus von Medien wegen behaupteter Verbindungen zum „Identitären“-Gründer Martin Sellner. Kickl sprach damals von einer „Sudelkampagne“.
Warnung vor Zerschlagung der DSN – die jedoch niemand gefordert hat
In dem Papier wird auch vor möglichen Umstrukturierungen bestehender Einrichtungen zur Terror- oder Extremismusabwehr gewarnt. Genannt wird unter anderem eine mögliche Abwicklung der erst 2021 gegründeten Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN). Diese hatte auf einen Hinweis eines befreundeten Dienstes hin im Sommer des Vorjahres das geplante IS-Attentat auf ein Taylor-Swift-Konzert in Wien vereitelt.
Durch eine Zerschlagung dieser österreichischen Verfassungsschutzeinheit würde „auch die Sicherheitslandschaft in Österreich nachhaltig und dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen“. Die Nachrichtendienste des Bundesheeres – das Abwehramt und das Heeresnachrichtenamt – könnten eine solche Lücke nicht füllen.
Bis dato sind keine Aussagen von Kickl oder anderen FPÖ-Politikern bekannt, die einen Willen zur Auflösung oder Umstrukturierung der DSN erkennen ließen. Zwischen Kickl und der Vorgängerbehörde der DSN, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), war bei dessen Entlassung als Innenminister das Tischtuch jedoch zerschnitten.
Kickl soll „Geheimabteilung“ innerhalb der Behördenstruktur aufgebaut haben
Grund dafür war eine Razzia im Februar 2018, wenige Wochen nach Kickls Amtsantritt als Innenminister. Beamte der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) hatten diese in Dienst- und Privaträumlichkeiten von BVT-Beamten durchgeführt. Beantragt hatte sie jedoch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Dabei soll auch eine Vielzahl sensibler Daten beschlagnahmt worden sein.
Anklagen gegen beteiligte oder verantwortliche Beamte gab es nicht. FPÖ-Gegner witterten einen gezielten Einschüchterungsversuch, hinter dem Kickl selbst stehe. Im Nachgang der Razzia soll er damit begonnen haben, eine eigene „Geheimabteilung“ innerhalb des Verfassungsschutzapparats aufzubauen. Der „Standard“ sprach von einer „Einrichtung der Aufbau- und Ablauforganisation zur präventiven Informationsbeschaffung“. Diese solle eine „funktionierende Vorfeldaufklärung“ ermöglichen. Was aus dieser nach der Auflösung des BVT geworden ist, bleibt unbekannt. Auch das DSN hält sich dazu bedeckt.
Möglicherweise ist dieser Umstand für Befürchtungen ausschlaggebend, die derzeitige Verfassungsschutzstruktur könnte tiefgreifende Veränderungen erfahren. Kickl kritisiert, es werde derzeit „mit allen Mitteln versucht, eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu torpedieren“. Angebliche Insiderinformationen, Tratsch und Spekulationen würden gezielt genutzt, um Misstrauen zu schüren und die Bevölkerung zu verunsichern.
FPÖ der einzige Grund für Misstrauen gegen Österreichs BVT?
Die Aussage, dass das gespannte Verhältnis zwischen Kickl und dem früheren BVT und die Russlandpolitik der FPÖ Misstrauen bei Partner-Geheimdiensten säen würden, ist indes nur ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich waren es vorwiegend fachliche und technische Versäumnisse innerhalb des BVT, die 2018 für Irritationen beim „Berner Club“, einem europäischen Geheimdienst-Netzwerk, sorgten.
Das BVT hatte jahrelang nicht die erforderlichen technischen Voraussetzungen geschaffen, um den Informationsfluss innerhalb des „Poseidon“-Datennetzwerkes des Berner Clubs vor möglichen unbefugten Zugriffen zu schützen. Zugangsberechtigten im BVT sei es erlaubt gewesen, eigene Mobiltelefone in das Gebäude mitzubringen. Außerdem habe es nicht einmal eine Zweifaktor-Authentifizierung beim Zugang zu den Netzwerken gegeben.
Zuletzt geriet das BVT 2020 in die Schlagzeilen. Damals waren slowakische Informationen über einen geplanten Waffenkauf des späteren Wien-Attentäters Kujitim F. nicht weitergereicht worden. Stattdessen ging man eine Woche später mit teilweise brachial durchgeführten Hausdurchsuchungen gegen unbeteiligte muslimische Geistliche und Akademiker vor. Das Oberlandesgericht Graz erklärte die Razzien im Rahmen der „Operation Luxor“ später als rechtswidrig. Sie hätten „hauptsächlich auf Spekulationen und vagen Vermutungen beruht“.
Innenministerium in Österreich bereits mehrfach im Fokus politischer Debatten
Das Innenministerium gilt in Österreich seit Gründung der Zweiten Republik als besonders heikles Ressort – und als parteipolitischer Kampfplatz. Erfahrungen der Ersten Republik spielten dabei eine Rolle. Die Sozialdemokraten warfen den Ministern der Christlich-Sozialen Partei und mit ihnen verbundener Heimwehrverbände vor, das Land damals gezielt in den Austrofaschismus gesteuert zu haben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte das Ministerium eine Reihe von Konflikten und Skandalen. Der Sozialdemokrat Franz Olah ließ 1950 mithilfe von Bauarbeitern einen kommunistischen Streik in Wien niederschlagen, der lange Zeit in der öffentlichen Wahrnehmung als Putschversuch galt. Später baute er mit CIA-Hilfe eine Tarnstruktur auf, die zum „Gladio“-Netzwerk gehört haben soll. Zudem überwarf er sich mit seiner Partei, nachdem er als Chef des ÖGB mit Gewerkschaftsgeldern unautorisiert die Gründung der „Neuen Kronen Zeitung“ finanziert hatte.
Als weiterer Skandal-Innenminister galt der frühere „Napola“-Dozent Otto Rösch, der noch nach dem Krieg im Verdacht der Fluchthilfe für ehemalige Nationalsozialisten stand. Später machte er in der SPÖ Karriere und leitete erst das Innen-, dann das Verteidigungsressort in der Ära Kreisky. Karl Blecha (SPÖ, 1983-1989) wurde wegen seiner Rolle in der „Lucona“-Affäre der Beweismittelunterdrückung und Urkundenfälschung schuldig gesprochen.
Der von 1995 bis 1997 amtierende SPÖ-Innenminister Caspar Einem wiederum stand in der Kritik, noch im Jahr seiner Amtsübernahme eine Spende an ein militant linksextremes Magazin geleistet zu haben. Zudem tauchten Aufnahmen aus dem Jahr 1988 auf, die ihn im Gespräch mit einem späteren Attentäter auf eine Hauptstromversorgungsleitung zeigten. Auch dieser entstammte der linksautonomen Szene. Ernst Strasser, der für die ÖVP von 2000 bis 2004 das Amt bekleidete, wurde 2014 wegen Bestechlichkeit zu drei Jahren Haft verurteilt.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion