Österreich: ÖVP und SPÖ verhandeln mit linksliberalen NEOS über künftige Regierung

ÖVP und SPÖ haben eine Entscheidung getroffen: Über die Regierungsbildung in Österreich wird ohne die Grünen verhandelt. Die Parteichefs Karl Nehammer und Andreas Babler wollen zusammen mit den linksliberalen NEOS ein „stabiles Bündnis der Mitte“ bilden. Stabilität erleben die Sozialdemokraten derzeit jedoch nicht.
Österreichs Kanzler wartet das Endergebnis nicht ab. (Foto: Archiv)
Österreichs Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer.Foto: Eva Manhart/APA/dpa
Von 13. November 2024

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In Österreich ist am Dienstag, 12. November, eine wichtige Vorentscheidung mit Blick auf eine mögliche Regierungsbildung gefallen. Am Ende der vierten Sondierungsrunde von ÖVP und SPÖ verkündeten deren Parteichefs Karl Nehammer und Andreas Babler in Wien, am Mittwoch erstmals Dreiergespräche aufnehmen zu wollen. Ab sofort sollen auch die linksliberalen NEOS an Sondierungen teilnehmen. Damit steht auch fest, dass, wie Kanzler Nehammer vor Medienvertretern betonte, „die Grünen keine Option“ seien.

Noch in der vergangenen Woche hatten Medien geschrieben, dass eine Dreierkoalition unter Einschluss der Grünen noch nicht völlig vom Tisch sei. Anlass dafür waren Äußerungen von NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger, ihre Partei könnte das Finanzministerium beanspruchen. Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, dass ÖVP und SPÖ dem dritten – und rechnerisch nicht einmal erforderlichen – Koalitionspartner ein so machtvolles Ressort überlassen werden. Das Scheitern der Ampel mit FDP-Chef Lindner als Bundesfinanzminister in Deutschland dürfte die Bereitschaft dazu noch weiter gesenkt haben.

SPÖ in schweren Turbulenzen – nur ein Mandat Mehrheit zu instabil für Österreich

Im Nationalrat, der am 29. September neu gewählt worden war, verfügen die beiden österreichischen Traditionsparteien ÖVP und SPÖ über eine gemeinsame Mehrheit von exakt einer Stimme. Weder Konservative noch Sozialdemokraten wollten jedoch das Risiko einer Koalition mit einer so knappen Mehrheit eingehen. Ein einziger Abweichler würde ausreichen, um das Bündnis zum Platzen zu bringen.

Obwohl die Fraktionsdisziplin bei beiden Parteien üblicherweise als intakt gilt, gab es in der Vergangenheit auch in ÖVP und SPÖ Abgeordnete, die ihre Fraktionen verlassen hatten. Bei den Sozialdemokraten kommt dazu, dass diese sich gerade in einer tiefgreifenden Krise befinden.

In Salzburg hatte schon vor knapp drei Wochen Landesparteichef David Egger-Kranzinger seinen Rücktritt erklärt. Vor wenigen Tagen kam Michael Lindner dazu. Der Landesparteiobmann von Oberösterreich wolle „mehr Zeit mit der Familie“ verbringen.

Trotz Waffenverbots mit Benko auf Jagdausflug

Am Mittwoch verkündete nun auch der Tiroler Landeschef der Sozialdemokraten, Georg Dornauer, seinen Rückzug. Der Anlass dafür war noch deutlich unvorteilhafter: Die auflagenstarke „Kronen Zeitung“ hatte ein Foto Dornauers von einem Jagdausflug veröffentlicht. Dieses war nicht nur deshalb brisant, weil es ihn zusammen mit dem insolventen Bautycoon René Benko in dessen steirischem Jagdrevier zeigte.

Noch pikanter war der Umstand, dass der Hut, den Dornauer dabei trug, auf ihn als Schützen hindeutete. Über den Politiker war 2019 ein Waffenverbot verhängt worden, weil er sein Jagdgewehr mit angestecktem Magazin im Auto liegengelassen habe – bei geöffnetem Fenster am Innsbrucker Flughafen. Damit büßte Dornauer auch seine Jagdkarte ein.

Der Tiroler SPÖ-Politiker, der kurzzeitig sogar als Kandidat für ein Ministeramt im Bund galt, erklärte, es sei nicht sein Hut gewesen, den er getragen habe. Er bestritt auch, geschossen zu haben. Ein befreundeter Hotelier entlastete ihn. Dennoch sah sich sein Landesverband gezwungen, Dornauer zum Rücktritt aufzufordern. Weitere Verbände und auch Parteichef Babler selbst schlossen sich dieser Forderung an.

Fußi investiert erhebliche Energie in Demontage Bablers

Das Thema könnte als Provinzposse durchgehen, allerdings nahm Politikberater Rudolf Fußi dies zum Anlass, Babler selbst Intransparenz bezüglich der Jagd anzulasten. Dieser soll als Mitglied des Wasserleitungsverbandes der Triestingtal- und Südbahngemeinden mehreren Einladungen gefolgt sein. Dabei seien ihm geldwerte Vorteile zugeflossen – in einer Fernsehsendung wollte er sich nicht recht daran erinnern können.

Auch, wenn die Mehrheit der Bevölkerung dieser Frage kaum Bedeutung zumessen dürfte, illustriert der Sachverhalt, wie hartnäckig Fußi an der Demontage Bablers arbeitet. Er will auch schon mindestens 10.000 von 14.000 erforderlichen Unterschriften gesammelt haben, um eine Mitgliederbefragung über den SPÖ-Vorsitz zu erzwingen.

Sollte es der SPÖ im Burgenland im Januar gelingen, ihre absolute Mehrheit zu verteidigen, ist außerdem damit zu rechnen, dass der konservative Parteiflügel rund um Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil seinen Druck auf Babler verstärkt.

Nehammer will keine Koalition eines „Weiter so“

Am 24. November wird zuvor noch in der Steiermark ein neuer Landtag gewählt. Umfragen deuten auf deutliche Verluste der ÖVP hin – und auf einen ersten Platz für die FPÖ unter Ex-Verteidigungsminister Mario Kunasek.

Damit steht nicht nur Babler, sondern auch Nehammer unter Zugzwang. Mit der angestrebten Regierungskonstellation unter Einschluss der NEOS will der Kanzler eigenen Angaben zufolge „etwas Neues wagen“. Es solle keine Koalition eines „Weiter so“ sein, sondern ein „breites und stabiles Bündnis der Mitte“.

Die zentralen Themen der künftigen Regierung sollen, so Nehammer, „Standortpolitik, Gesundheitsversorgung, Bildung und eine restriktive Migrationspolitik“ sein. Babler nannte zusätzlich noch unter anderem Wohnen, Inflation, Klima, Menschenrechte und Pflege. Die Einbindung der NEOS solle zeigen, dass Kompromisse in der Politik mehr sein müssten als der kleinste gemeinsame Nenner. „Viele unterschiedliche Perspektiven ermöglichen es, die besten Lösungen für alle zu finden“, äußerte Babler.

Budgetdefizit in Österreich höher als angenommen

Bereits bis kommenden Freitag sollen die Sondierungen in Dreierkonstellation abgeschlossen sein, anschließend will man in Koalitionsverhandlungen treten. Eine jüngst vom Fiskalrat präsentierte Prognose lässt erkennen, dass im laufenden Jahr ein Haushaltsdefizit von 3,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu befürchten sei. Dies würde für das kommende Jahr bereits einen Konsolidierungsbedarf von mindestens 4,4 Milliarden Euro bedeuten.



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