Österreich: FPÖ mit historischem Rekordergebnis – Grüne abgestraft – Schwierige Regierungsbildung

Bei den Nationalratswahlen in Österreich hat die regierende ÖVP trotz einer Aufholjagd in den letzten Wahlkampfwochen Rekordverluste eingefahren. Die FPÖ erzielt ihr historisch bestes Ergebnis. Dass ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl Bundeskanzler wird, ist dennoch unwahrscheinlich.
Vizekanzler Werner Kogler (l-r), SPÖ-Chef Andreas Babler, Bundeskanzler Karl Nehammer, FPÖ-Chef Herbert Kickl und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger.
Vizekanzler Werner Kogler (l-r), SPÖ-Chef Andreas Babler, Bundeskanzler Karl Nehammer, FPÖ-Chef Herbert Kickl und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger.Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa
Von 30. September 2024

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Meinungsforscher hatten in den letzten Wochen vor der Nationalratswahl am Sonntag, 29.9., in Österreich noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen für möglich gehalten. Am Ende des Wahlsonntags stand jedoch die FPÖ mit Herbert Kickl mit deutlichem Vorsprung als Sieger fest. Die 29,2 Prozent, die auf die rechtsnationale Partei entfielen, waren nicht nur das beste Ergebnis, das diese im Verlauf ihrer Geschichte einfahren konnte. Erstmals konnte die FPÖ damit auch den ersten Platz in der Wählergunst erobern.

Hohe Wahlbeteiligung in ganz Österreich – bislang höchste Anzahl an Briefwählern

Noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt, bislang liegt ein vorläufiges Ergebnis vor. Es fehlen allerdings nur noch wenige Wahlkarten von Auslandsösterreichern, die noch bis Donnerstagabend aus deren Wohnsitzländern einlangen können. Die Zahl der ausgegebenen Briefwahlunterlagen ist seit 2019 von 1.070.933 auf 1.436.420 gestiegen.

Allerdings müssen aufgrund einer Gesetzesänderung nach der Bundespräsidentenwahl 2016 alle bis zum Wahltag in Österreich verfügbaren Wahlkarten noch an diesem ausgezählt werden. Hochrechnungen inklusive Wahlkartenprognose zufolge ist die Wahlbeteiligung auf 78,0 Prozent gestiegen, was gegenüber 2019 ein Plus von etwa 2,5 Prozent bedeutet.

Stimmenverteilung bei Nationalratswahl am 29. September in Österreich.

Stimmenverteilung bei der Nationalratswahl am 29. September in Österreich. Foto: ts/Epoch Times

An den Mehrheitsverhältnissen wird sich voraussichtlich jedoch nichts Wesentliches mehr ändern. Die FPÖ legt gegenüber dem – damals vom Ibiza-Skandal überschatteten – Ergebnis von vor fünf Jahren um 13,04 Prozentpunkte zu. Im künftigen Nationalrat wird sie über 56 Sitze verfügen, was einem Plus von 25 entspricht. Mit diesem Ergebnis ist es Parteichef Herbert Kickl gelungen, die bisherigen Rekordergebnisse unter Jörg Haider und HC Strache von 1999 und 2017 zu übertreffen. Allerdings erklärten nur zwei Prozent der von Foresight für den ORF befragten FPÖ-Wählern, Kickl sei ihr Hauptgrund gewesen, die Partei zu wählen.

SPÖ verliert wegen ihres guten Ergebnisses in Wien nur geringfügig

Demgegenüber verlor die ÖVP 10,98 Prozentpunkte gegenüber dem Ergebnis, das sie unter Führung von Sebastian Kurz noch 2019 erzielen konnte. Es ist der schwerste Verlust, den die Partei in ihrer Geschichte bei einer Nationalratswahl zu verzeichnen hatte. Allerdings ist es der Partei von Bundeskanzler Karl Nehammer gelungen, sich von Umfrageergebnissen von bis zu 19 Prozent auf 26,48 Prozent zu verbessern. Die Bürgerlich-Konservativen werden im künftigen Nationalrat über 52 Sitze verfügen (minus 19).

Sitzverteilung nach der Nationalratswahl am 29. September in Österreich.

Sitzverteilung nach der Nationalratswahl am 29. September in Österreich. Foto: ts/Epoch Times

Unter den ÖVP-Wählern war die Person des Kanzlers immerhin für zehn Prozent der entscheidende Grund für ihre Stimmabgabe. Mit 19 Prozent erklärten die meisten Befragten, ihr Hauptmotiv sei die bisherige Arbeit der Partei gewesen. Ebenfalls 19 Prozent äußerten, sie hätten die Volkspartei aufgrund ihrer inhaltlichen Standpunkte gewählt – bei der FPÖ gaben dies 45 Prozent an. Mit 14 Prozent liegt das Stammwähler-Motiv bei der ÖVP auf Platz 3.

Das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt die SPÖ – allerdings dürfte das Minus von 0,13 Prozentpunkten und ein Gewinn von einem Mandat (21,05 Prozent; 41 Sitze) ausreichen, um Parteichef Andreas Babler weiter im Amt zu halten. Sein Erzrivale, der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil, ist durch das Ergebnis nicht gestärkt: In dem Bundesland, in dem der frühere Verteidigungsminister mit absoluter Mehrheit regiert, ist die SPÖ mit 27,03 Prozent hinter FPÖ (28,93) und ÖVP (28,68) auf Platz drei zurückgefallen.

Sieger und Verlierer der Nationalratswahl am 29. September in Österreich im Vergleich zu 2019.

Sieger und Verlierer der Nationalratswahl am 29. September in Österreich im Vergleich zu 2019. Foto: ts/Epoch Times

Babler-Kritikerin Bures durch Wiener Ergebnis gestärkt

Dass das Ergebnis der SPÖ nicht schlechter ausgefallen ist, verdankt sie dem Umstand, dass es ihr gelang, 148.000 frühere Grünen-Wähler für sich zu gewinnen. Gleichzeitig gab sie 65.000 Stimmen an die FPÖ und 180.000 an die Nichtwähler ab. Entgegen dem Trend konnte sie in Wien deutlich zulegen. In der Bundeshauptstadt kamen die Sozialdemokraten auf 29,9 Prozent – was einem Plus von 2,8 Prozent entspricht. Die FPÖ kommt dort nur auf 21,2 Prozent. Dieses Ergebnis könnte die Position der Lokalmatadorin Doris Bures in der Partei stärken, die Bablers Programm als unrealistisch gebrandmarkt hatte.

Stimmenstärkste Parteien nach Bundesländern bei der Nationalratswahl am 29. September in Österreich.

Stimmenstärkste Parteien nach Bundesländern bei der Nationalratswahl am 29. September in Österreich. Foto: ts/Epoch Times

Pikanterie: In Linz, wo Babler den wegen Vetternwirtschaftsvorwürfen in die Kritik geratenen Bürgermeister Klaus Luger zum Rücktritt gedrängt hatte, verlor die Partei lediglich 0,1 Prozent. Demgegenüber verlor sie eine Vielzahl früherer Hochburgen wie Knittelfeld, Kapfenberg oder Reichraming an die FPÖ. In Wien landeten die Freiheitlichen in Floridsdorf vor den Sozialdemokraten.

Was spricht für und gegen eine Koalition von FPÖ und ÖVP?

Bis zuletzt war ungewiss, welche Optionen der ÖVP, die seit 1986 ununterbrochen in der Bundesregierung sitzt, für ein künftiges Regierungsbündnis verbleiben werden. Eine Koalition mit der FPÖ hätte eine deutliche Mehrheit. Allerdings hatte Parteichef Nehammer stets deutlich gemacht, nicht bereit zu sein, ein Bündnis mit Herbert Kickl einzugehen.

Die FPÖ, die mit einem deutlichen Vorsprung und erheblichen Zugewinnen in die Sondierungsgespräche gehen wird, dürfte jedoch in dieser Hinsicht kaum zu Zugeständnissen bereit sein. Gleichzeitig sind die inhaltlichen Überschneidungen zwischen beiden Parteien erheblich.

Zwischen beiden Parteien hat am Sonntag ein erheblicher Wähleraustausch stattgefunden. Insgesamt 433.000 Stimmen wanderten von der ÖVP an die Freiheitlichen – in die Gegenrichtung waren es nur etwa 19.000. Ein erheblicher Teil davon waren bürgerliche Wähler, die bereits im Laufe der 2010er Jahre FPÖ gewählt hatten, allerdings in der Ära Kurz zu den Konservativen zurückgekehrt waren. Die FPÖ konnte zudem 258.000 Nichtwähler zurück an die Urne holen.

ÖVP hätte mit SPÖ weiteren möglichen Partner für Zweierbündnis

Was ein möglicher Ansatz für einen Deal zwischen beiden Parteien sein könnte, ist der Umstand, dass es den jeweiligen Wählern eher um Inhalte ging als um die Person des jeweiligen Spitzenkandidaten. Um die FPÖ dazu zu bewegen, eine Regierungskoalition ohne die Person ihres Parteichefs zu akzeptieren, müsste die ÖVP den Freiheitlichen wichtige Ministerien und inhaltliche Zugeständnisse anbieten.

Gegen eine mögliche Einigung zwischen beiden Parteien spricht vonseiten der ÖVP, dass nur 26 Prozent ihrer Wähler ein türkis-blaues Bündnis bevorzugen würden. Nur eine Fortsetzung der Koalition mit den Grünen wäre in ihren Reihen – und der Gesamtbevölkerung – noch unbeliebter.

Der ÖVP stünden neben einem Bündnis mit der FPÖ noch drei weitere Optionen zur Verfügung. Eine davon wäre die ehemalige Große Koalition mit der SPÖ. Dieses Bündnis regierte Österreich in den vergangenen 50 Jahren von 1986 bis 2000 und anschließend wieder von 2006 bis 2017.

Eine Koalition aus ÖVP und SPÖ hätte mit zusammen 93 exakt zwei Sitze mehr als die übrigen im Parlament vertretenen Parteien gemeinsam. Nach dem Zerbrechen des türkis-blauen Bündnisses im Jahr 2019 und den anschließenden Erfahrungen mit dem Regierungsbündnis aus ÖVP und Grüne hätte dieses Modell bei vielen Österreichern sogar einen Sympathiebonus.

NEOS machen sich Hoffnung auf Regierungsbeteiligung

Allerdings spielt dabei auch ein kurzes Gedächtnis mit. Angesichts der frischeren Erinnerungen an die Unwägbarkeiten der seit 2017 regierenden Bündnisse scheint die Konfliktträchtigkeit der vorhergehenden Großen Koalitionen vielfach in Vergessenheit geraten zu sein. Auch im ORF-Fernsehduell war zwischen Kanzler Nehammer und SPÖ-Chef Babler wenig Sympathie zu erkennen.

Eine Koalition zu bilden, die an einer einzigen Stimme hängt, dürfte beiden Parteien vor diesem Hintergrund zu riskant sein. Es spricht daher vieles für den Versuch eines Dreierbündnisses. Für ein solches kämen die liberalen NEOS in Betracht, die um 0,86 Prozentpunkte auf 8,96 Prozent zulegten. Sie werden im nächsten Nationalrat über 18 Sitze (plus drei) verfügen.

Die andere Option wäre eine erneute Beteiligung der Grünen, die 5,87 Prozentpunkte einbüßten und nur noch bei 8,03 Prozent liegen. Sie verlieren zehn Mandate und kommen nur noch auf 16. Allerdings dürfte diese Variante am fehlenden Willen der ÖVP scheitern. Bundespräsident Alexander van der Bellen wird sich erst in den kommenden Tagen zu der Frage äußern, wen er mit der Regierungsbildung beauftragen wird.

Eine Koalition zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS gilt als die aussichtsreichste Konstellation abseits eines türkis-blauen Bündnisses. Allerdings sind zusätzliche Konflikte vorprogrammiert, da die NEOS mit ihren wirtschaftsliberalen Ansätzen bei den Sozialdemokraten und mit ihrer linksliberalen Gesellschaftspolitik bei den Konservativen anecken. Dazu kommt, dass ein solches Bündnis in vielen Teilen der Bevölkerung als Notkoalition gegen Kickl aufgefasst würde – was die FPÖ weiter stärken könnte.

Kommunisten scheitern – nehmen jedoch Anlauf auf Wiener Landtag

Sonstige Parteien hatten keine Chance auf einen Einzug in den Nationalrat. Die KPÖ kam auf 2,35 Prozent und legte damit 1,66 Prozentpunkte zu. In ihrem Hoffnungsgebiet, dem Regionalwahlkreis Graz und Umgebung, erreichte sie jedoch nur 4,6 Prozent und verfehlte damit klar das Grundmandat.

Allerdings konnten die Kommunisten in Wien mit 3,8 Prozent mittlerweile zum zweiten Mal nach der EU-Wahl ein Ergebnis erreichen, das zumindest in der Nähe der Vier-Prozent-Hürde für den Landtag angesiedelt ist. Dieser wird im nächsten Jahr gewählt. In den Städten Salzburg und Graz kam die KPÖ auf mehr als sechs Prozent, ihr bestes Bezirksergebnis war Rudolfsheim-Fünfhaus in Wien mit 6,5 Prozent.

Die Bierpartei des Rockmusikers Dominik Wlazny, der Umfragen bis wenige Wochen vor der Wahl einen sicheren Einzug attestiert hatten, kam nur auf 1,99 Prozent. Auch in Wien, wo Wlazny 2022 bei der Bundespräsidentenwahl 10,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, blieb seine Formation weit hinter den Erwartungen zurück.

In Österreich stehen noch zwei Landtagswahlen 2024 bevor

Sechs von zehn Österreichern hatten im Vorfeld der Wahl angegeben, besorgt über die Entwicklung des Landes zu sein. Wähler fast aller Parteien nannten die Teuerung unter den wichtigsten Themen, die ihre Wahlentscheidung prägten. Die Zuwanderung wurde von Wählern der ÖVP und der FPÖ häufig genannt. Nur bei Grünen-Wählern waren Klimaschutz und das Hochwasser die meistgenannten Themen.

Immerhin haben die Wähler in zwei Bundesländern noch eine Chance, indirekten Druck auf die Koalitionsverhandlungen auszuüben. Bereits am 13. Oktober wird Vorarlberg einen neuen Landtag wählen. Am 24. November stehen Wahlen zum Landesparlament in der Steiermark an. In beiden Bundesländern wird der ÖVP erhebliche Verluste prognostiziert. Die FPÖ kann hingegen mit deutlichen Zugewinnen rechnen, in der Steiermark auch die Kommunisten.

 



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