Österreich: FPÖ hält Vorsprung – Nehammer-ÖVP holt auf – versenkt Flut die Bierpartei?
Am 29. September stehen in Österreich die Nationalratswahlen an und es deutet alles darauf hin, dass das Experiment einer schwarz-grünen Koalition ein Ende findet. Gleichzeitig können sich zumindest die Wähler der drei größeren Parteien nicht gänzlich sicher sein, dass deren jeweiliger Spitzenkandidat im Fall einer Regierungsbeteiligung dieser selbst noch angehören wird.
In den vergangenen Wochen hatten sich bereits bestimmte Dynamiken in der Wählergunst abgezeichnet. Nun haben Flut und Hangrutsche hauptsächlich im Norden und Osten Österreichs fünf Todesopfer und Schäden in dreistelliger Millionenhöhe verursacht. Eine vollständige Entwarnung gibt es bisher nicht, weil für die kommenden Tage noch Regenfälle erwartet werden. Offen bleibt die Frage, inwieweit das Hochwasser Auswirkungen auf die Wahlentscheidung haben wird.
Hochwasser vereitelt Fernsehduelle
In Deutschland haben Fluten schon Wahlen entschieden. Für Gerhard Schröder war die Präsenz in den Hochwassergebieten 2002 einer der Faktoren, die eine schon verloren geglaubte Wahl noch einmal zu seinen Gunsten drehte. Armin Laschet verlor demgegenüber die Bundestagswahl 2021 nicht zuletzt aufgrund der Bilder aus dem Ahrtal, die ihn lachend und scherzend am Rande einer Trauerzeremonie zeigten.
In Österreich zeichnet sich eine solche Entwicklung derzeit nicht ab. Das Hochwasser hat jedoch einen Wahlkampfstopp bewirkt. Dies hat als direkte Konsequenz, dass für diese Woche angesetzte TV-Duelle zwischen Spitzenkandidaten der Parlamentsparteien ausgefallen sind.
Betroffen war unter anderem die für Montag geplante Konfrontation zwischen FPÖ-Chef Herbert Kickl und dem SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler. Ungewiss ist, ob und wann es nachgeholt wird und ob die zum „Kanzlerduell“ stilisierte Konfrontation zwischen Kickl und dem amtierenden Regierungschef und ÖVP-Bundesobmann Karl Nehammer planmäßig stattfinden wird. Sie ist für kommenden Montag, 23. September, eingeplant.
Krisenmanagement während der Flut hat funktioniert
Einige Wähler dürften mittlerweile nicht mehr zu erreichen sein. Weicht die Zahl der Wahlkartenwähler – so nennt man in Österreich die Briefwähler – nicht wesentlich von jener der EU-Wahl ab, könnte etwa eine Million stimmberechtigter Bürger von dieser Option Gebrauch machen. Das entspräche etwa 15 Prozent der Wahlberechtigten. Viele davon haben ihren Stimmzettel bereits abgeschickt.
Das Krisenmanagement in den von der Flut betroffenen Gebieten wurde weithin als intakt wahrgenommen. Dies spricht dagegen, dass die ÖVP – die in den am stärksten betroffenen Bundesländern regiert – dadurch einen wesentlichen Schaden nehmen wird.
Die Grünen nehmen – mit Unterstützung ihnen wohlgesonnener Medien – das Naturereignis noch einmal zum Anlass, um das Thema des Klimaschutzes offensiv anzusprechen. Lore Hayek sieht im „Standard“ nun sogar Umweltministerin Eleonore Gewessler nachträglich bezüglich ihres Alleingangs in Sachen Renaturierung bestätigt.
Gegen den Willen des Koalitionspartners hatte sie im Juni auf EU-Ministerebene der entsprechenden Verordnung zugestimmt. Die Koalition stand kurz vor dem vorzeitigen Ende, die ÖVP erstattete – erfolglos – Anzeige wegen Amtsmissbrauchs.
FPÖ dürfte gegenüber der EU-Wahl noch zulegen
Allerdings sind die Grünen die einzige Parlamentspartei, deren Anhänger mit Mehrheit den Klimawandel für das wichtigste Thema der Wahl halten. Von allen Wählern nennen nur 33 Prozent Umwelt- und Klimaschutz in diesem Zusammenhang.
Mit 44 Prozent sprechen die meisten Österreicher im Kontext der Wahl über Zuwanderung, zu 43 Prozent über Sicherheit und Krieg, 32 Prozent über Wirtschaft. FPÖ-Wähler nennen zu 72 Prozent die Zuwanderung als ihr Hauptthema.
In den jüngsten Umfragen lag Kickls FPÖ deutlich vorn. Das Meinungsforschungsinstitut Market/Lazarsfeld sah sie in der Vorwoche bei 28 Prozent der Stimmen. Das wäre ihr bisher bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl. Gegenüber der EU-Wahl wäre es ein Zugewinn von mehr als 2,5 Prozent – bei dieser war die Partei leicht unter ihren Erwartungen geblieben. Gründe dafür waren unter anderem eine niedrige Wahlbeteiligung von 56,3 Prozent und die Konkurrenz durch die Anti-Corona-Maßnahmen-Partei DNA, die auf 2,7 Prozent kam.
ÖVP und SPÖ setzen auf Stammwähler und „scheue Wähler“
Die ÖVP wird gegenüber den 37,46 Prozent, die sie 2019 mit Sebastian Kurz erzielt hatte, einen drastischen Einbruch erleben. Allerdings lag sie im Frühjahr zum Teil bereits unter 20 Prozent. In den vergangenen Wochen erlebte die Kanzlerpartei einen dynamischen Aufschwung und liegt bei 25 Prozent.
Sogenannte scheue Wähler und die Aussicht, die FPÖ möglicherweise noch einzuholen, könnten auf den letzten Metern noch für eine Überraschung sorgen. Bei der EU-Wahl schnitt die Partei mit 24,52 Prozent bereits deutlich besser ab als vorausgesagt. Die ÖVP kann zudem auch auf stabile Stammwählermilieus bauen, die sich etwa unter Katholiken mit Kirchenbindung, Landwirten und Pensionisten finden.
Unter älteren Menschen sowie unter Pflichtschulabsolventen findet auch die SPÖ den höchsten Zuspruch. Bei ihr gehen Selbst- und Fremdwahrnehmung, glaubt man den Umfragen, deutlich auseinander. Während Parteichef und Kanzlerkandidat Andreas Babler von der eigenen Basis frenetisch gefeiert wird, stößt er bereits unter den eigenen Parteifunktionären auf Widerstände.
Babler macht sich unter eigenen Funktionären unbeliebt
Einige nehmen ihm die Art und Weise seines Umgangs mit verdienten Parteigenossen übel. So kanzelte er öffentlich den direkt gewählten Linzer Bürgermeister Klaus Luger ab, der nach dem Vorwurf der Vetternwirtschaft bei der Besetzung des Intendantenpostens im Brucknerhaus in die Kritik geraten war. Luger trat zurück – zuvor hatte ihm der Stadtparteivorstand jedoch noch Rückendeckung gegeben.
Ein Leak aus dem Parteivorstand der SPÖ offenbarte zudem, dass die Wiener Spitzenkandidatin Doris Bures deutliche Kritik am Wahlprogramm Bablers geübt hatte. In einem durchgestochenen Schreiben beanstandete sie die starke linke Schlagseite, die Babler diesem verpasst hatte. Die Forderungen wie eine Vier-Tage-Woche oder der Ausbau sozialer Transferleistungen hielt sie für nicht finanzierbar und sprach von einem „Verdacht der Unernsthaftigkeit“.
Umfragen sehen die Sozialdemokraten bei lediglich 20 Prozent, das wäre noch schlechter als der Negativrekord von 21,2 Prozent vor fünf Jahren. Bei der EU-Wahl wählten jedoch immerhin 23,2 Prozent die SPÖ. Auch hier könnten „scheue Wähler“ eine Rolle spielen, die sich bei Umfragen nicht bekennen.
ÖVP hält Bündnis mit FPÖ möglich – nicht aber mit Kickl
Was Regierungskoalitionen anbelangt, schloss Nehammer einen Kanzler Herbert Kickl, nicht aber ein Bündnis mit der FPÖ aus. Bleiben die Freiheitlichen deutlich vor der ÖVP, ist ein Kompromiss der FPÖ bezüglich der Person Kickl illusorisch.
Als Alternativvariante gilt bislang eine Neuauflage der alten Großen Koalition aus ÖVP und SPÖ, nur mit den Bürgerlichen als Seniorpartner – und wahrscheinlich mit den linksliberalen NEOS als Mehrheitsbeschaffer. Diese liegen derzeit in Umfragen bei 10 Prozent, die Grünen bei sieben.
Unter Umständen könnte es jedoch im neuen Parlament auch für eine hauchdünne schwarz-rote Mehrheit reichen. Eine Voraussetzung dafür wäre, dass in der Endphase einige Stimmen von den NEOS oder auch der FPÖ noch zu Nehammer und der ÖVP wandern. Gleichzeitig müsste die SPÖ zumindest den Bereich zwischen 20 und 22 Prozent erreichen.
Bierpartei könnte der Flut zum Opfer fallen
Vor allem aber müsste die Bierpartei des Rockmusikers Dominik Wlazny („Marco Pogo“) an der Vier-Prozent-Hürde scheitern. Dieser hatte 2022 bei der Bundespräsidentenwahl mit 8,3 Prozent einen Achtungserfolg erzielt. Zuletzt hatte seine Partei jedoch deutlich an Zuspruch verloren – und an Medieninteresse. Ähnlich wie die FDP unter Guido Westerwelle 2002 mit einem „Spaßwahlkampf“ baden ging, könnte auch die Bierpartei zum „Flutopfer“ werden und unter die Sperrklausel rutschen.
Dort wird – trotz ihrer jüngsten Achtungserfolge in Graz, Salzburg und bei der EU-Wahl in Wien – voraussichtlich auch die KPÖ landen. Keine Chance auf Einzug dürften auch die Corona-kritischen Parteien MFG und „Liste Madeleine Petrovic“ sowie der linksextreme „Wandel“ haben, der als „Keine von denen“ firmiert. Je mehr Listen nicht ins Parlament kommen, umso größer wird die Chance auf eine Zweierkoalition aus ÖVP und SPÖ.
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