Österreich: „Austro-Ampel“ scheitert – Neuwahlen im Frühjahr?

Das ambitionierte Projekt einer „Austro-Ampel“ aus ÖVP, SPÖ und NEOS in Österreich ist gescheitert. Zentrale Streitpunkte wie Rentenreformen, Haushaltsdisziplin und Steuerpolitik ließen die Verhandlungen platzen. Nun droht Österreich politische Instabilität – oder gar Neuwahlen.
Bundespräsident Van der Bellen will rasch Klarheit in Sachen Regierungsbildung.
Bundespräsident Van der Bellen will rasch Klarheit in Sachen Regierungsbildung.Foto: Tobias Steinmaurer/APA/dpa
Von 4. Januar 2025

Das Scheitern der Bildung einer sogenannten Austro-Ampel aus ÖVP, Sozialdemokraten und den liberalen NEOS hat Österreich bereits zu Beginn des Jahres in politische Turbulenzen gestürzt. Am Freitagvormittag, 3.1., hat NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger nach mehrwöchigen Verhandlungen erklärt, für weitere Gespräche nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Dabei warf sie vor allem der SPÖ fehlende Reformbereitschaft vor. Am Ende habe sich statt eines „Nicht weiter wie bisher“ ein „Weiter wie immer“ abgezeichnet.

NEOS wollten gesetzliches Rentenalter erhöhen – SPÖ vehement dagegen

Zu den Punkten, an denen die Koalitionsbildung gescheitert ist, gehörte unter anderem die Frage der Pensionen. Vor allem die NEOS hatten vehement eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre gefordert. Dies solle über einen längeren Zeitraum vonstattengehen. Derzeit liegt es für Männer bei 65 und für Frauen – je nach Geburtsjahr – zwischen 60 und 65.

Faktisch tritt ein großer Teil der Österreicher seine Pension schon vor dem 65. Lebensjahr an. Die Renten sind höher als beispielsweise in Deutschland. Allerdings setzt deren Bezug eine Mindestversicherungsdauer von 15 Jahren voraus – im Nachbarland ist beispielsweise der Bezug einer Erwerbsminderungsrente bereits nach fünf Jahren möglich.

In Österreich ist die Rentenversicherung als Pflichtversicherungssystem organisiert, das auch Beamte und Selbstständige umfasst. Allerdings gibt es dabei unterschiedliche Systeme, die aufgrund unterschiedlicher Gesetzesgrundlagen wie ASVG, GSVG, FSVG oder BSVG organisiert sind.

Österreich droht EU-Defizitverfahren – Maastricht-Grenze beim Defizit überschritten

Ein weiterer Bereich, der die „Austro-Ampel“ zum Platzen brachte, war die Haushaltspolitik. Die Schuldenquote war zuletzt auf 83,2 Prozent des BIP gestiegen. Das öffentliche Defizit betrug 3,8 Prozent. Ein Defizitverfahren der EU steht im Raum. Der Schuldenanstieg war vor allem auf Bundesausgaben zurückzuführen. Erst jüngst hatten Investitionen in die Bahninfrastruktur zu einer Neuverschuldung in Höhe von 1,8 Milliarden Euro beigetragen.

Die SPÖ wollte es notfalls auf ein Defizitverfahren ankommen lassen, während die NEOS auf einen massiven Sparkurs bereits während der ersten Koalitionsjahre drängten. Am Ende zeichnete sich ein Sparpaket ab, das auf sieben Jahre gestreckt werden sollte. Allerdings gab es keinen Konsens darüber, wie viel insgesamt eingespart werden sollte.

Keine Einigung zeichnete sich auch in der Steuerpolitik ab, wo die SPÖ bis zuletzt auf Vermögens- und Erbschaftssteuern beharrte. Die NEOS wollten stattdessen eine Schuldenbremse, um den Haushalt zu stabilisieren. Vonseiten der ÖVP sei man unter Vorbehalten bereit gewesen, die Grundsteuer und die Immobilienertragsteuer zu erhöhen.

Van der Bellen fordert „zügige Regierungsbildung“

Die Frage der Vermögens- und Erbschaftssteuern könnte auch den möglichen Plan B durchkreuzen, der nun im Raum steht. Bereits am Nachmittag hatten sich die Spitzen von ÖVP und SPÖ geeinigt, über eine mögliche Zweierkoalition zu verhandeln. Diese würde im Parlament lediglich über eine Mehrheit von einer einzigen Stimme verfügen.

Sollte ein Abgeordneter abspringen oder wegen Faktoren wie Krankheit bei einer wichtigen Abstimmung fehlen, könnten die Regierungsparteien mit Gesetzesvorhaben scheitern. Insider äußerten gegenüber österreichischen Medien, man hoffe bei ÖVP und SPÖ darauf, dass die NEOS in jenen Bereichen mit ihnen stimmen, in denen man sich während der Koalitionsgespräche einig gezeigt hätte.

Bundespräsident Alexander van der Bellen hat in einer ersten Stellungnahme eine „zügige Regierungsbildung“ angemahnt. Bundeskanzler Karl Nehammer hat in einer Videobotschaft den Ausstieg der NEOS bedauert, allerdings auch betont, weiter „Verantwortung zu übernehmen“. Er mahnte einen breiten Konsens der Kräfte der Mitte an. Zentrale Weichenstellungen müssten dabei jedoch in Bereichen wie Standortsicherung, Migration und einer stärkeren Betonung von Leistung und Ausgabendisziplin erfolgen.

Doskozil über Scheitern „nicht unglücklich“ – er will Expertenregierung für Österreich

SPÖ-Chef Andreas Babler hat sich ebenfalls bereiterklärt, die nunmehr seit 21.11. andauernden Regierungsverhandlungen mit der ÖVP allein weiterzuführen. Die Sozialdemokraten machten allerdings zur Bedingung, dass die ÖVP keine Parallelverhandlungen mit der rechten FPÖ führe. Die Vertreter beider Parteien wollen die Gespräche rasch wiederaufnehmen.

Widerspruch gab es bereits vom burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Dieser erklärte, er sei über das Scheitern des Ampel-Projekts „nicht unglücklich“. Er hatte bereits nach der Nationalratswahl keinen Regierungsauftrag für die SPÖ gesehen. Doskozil, der am 19.1. um die Verteidigung seiner absoluten Mehrheit im Landtag kämpft, brachte den Gedanken einer „Expertenregierung“ ins Spiel.

Diese solle „Ruhe und Verlässlichkeit“ bringen, ehe es zu Neuwahlen komme. Ein ähnliches Szenario hatte es 2019 nach dem Bruch der türkisblauen Koalition gegeben. Doskozil selbst versucht in der Endphase des Wahlkampfs nun, seinen „burgenländischen Weg“ als Garant für Stabilität im Gegensatz zum Chaos auf Bundesebene herauszustellen. Auf dem Stimmzettel steht bei der Landtagswahl die „Liste Doskozil – SPÖ Burgenland“ auf Platz 1. Der Hinweis auf die Partei entfällt auf den Wahlkampfmaterialien vollständig.

Grüne wollen erneut regieren – ÖVP jedoch nicht mehr dazu bereit

Sollten die Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ nun scheitern, wären Neuwahlen sehr wahrscheinlich. Theoretisch gäbe es noch die Option, statt der NEOS die Grünen in Dreiergespräche einzubinden. Diese haben dazu bereits Bereitschaft signalisiert und auch die SPÖ wäre gegenüber einer solchen Konstellation offen.

Der ÖVP würde in diesem Fall jedoch eine Zerreißprobe drohen. Bereits zum Ende der türkis-grünen Koalition war die Stimmung zwischen den Bündnispartnern auf dem Tiefpunkt. Außerdem ist vor allem der einflussreiche Wirtschaftsflügel der Konservativen vehement gegen jedwede weitere grüne Regierungsbeteiligung.

Die ÖVP hätte im Fall einer Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit den Grünen besonders massive Stimmenverluste bei den anstehenden Wahlen im Januar zu befürchten. Neben der Landtagswahl im Burgenland stehen eine Woche danach Gemeinderatswahlen in Niederösterreich an. Dieses gilt als Stammland der Partei, und eine Wahlschlappe könnte im einflussreichsten Landesverband eine Palastrevolte gegen Nehammer auslösen.

Strache fordert FPÖ zu „Angebot“ an Nehammer auf

Der frühere FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat seine ehemalige Partei wiederum auf seinem Facebook-Account dazu aufgefordert, der ÖVP einen entscheidenden Schritt entgegenzukommen. Strache verwies auf fünf funktionstüchtige Bündnisse zwischen ÖVP und FPÖ auf Landesebene. Parteichef Kickl solle „Jemanden aus diesem Kreis als möglichen FPÖ-Kanzler für eine FPÖ/ÖVP-Koalition vorschlagen“.

ÖVP-Chef Nehammer hat in seinem Videostatement keine Aussagen mehr über mögliche Regierungskonstellationen getroffen. Es erscheint dennoch als unwahrscheinlich, dass es selbst im Fall eines Scheiterns der Gespräche mit der SPÖ zu einem Bündnis mit der FPÖ käme. Zum einen ist Nehammer nicht an einer Rolle als Juniorpartner interessiert – zum anderen verspricht man sich in der FPÖ von Neuwahlen einen zusätzlichen Stimmengewinn. Derzeit sehen Umfragen die Partei zwischen 35 und 36 Prozent.

Ob im Fall von Neuwahlen die Spitzenkandidaten von ÖVP und SPÖ noch dieselben sein würden, ist indessen ungewiss. In der Volkspartei werden Stimmen laut, den charismatischen Altkanzler Sebastian Kurz zurück in die Politik zu holen – notfalls mit einer eigenen Liste. Bei den Sozialdemokraten wäre es zwar wenig wahrscheinlich, dass Doskozil kurzfristig nach der Landtagswahl zu einem Wechsel zurück in die Bundespolitik bereit wäre. Jedoch wird auch in der SPÖ zunehmend über ein Comeback des Mitte der 2010er Jahre an die Spitze der Partei gerückten Christian Kern spekuliert.

 



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