Nord-Stream-Sabotage: China macht der UNO Druck

Haben die USA und Norwegen die Nord-Stream-Pipelines gemeinsam zerstört? Im UN-Sicherheitsrat drängt China auf eine internationale Untersuchung des Sabotageakts. Berlin schweigt weiter. Und Skeptiker suchen nach Fehlern im brisanten Hersh-Report.
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Im UN-Sicherheitsrat hat China internationale Ermittlungsanstrengungen zur Aufklärung der Nord-Stream-Pipelines verlangt (Archivbild).Foto: Bebeto Matthews/AP/dpa/dpa
Von 24. Februar 2023

Nach Russland hat nun auch China von den Vereinten Nationen (UNO) verlangt, eine internationale Untersuchung zur Urheberschaft der Nord-Stream-Sprengungen vom 26. September 2022 in der Ostsee in die Wege zu leiten. Das geht aus einem Bericht des Onlinemagazins „Extremnews“ hervor, der sich auf das russische Medium „Russia Today Deutsch“ (RT DE) beruft.

Demnach kam der Appell von Zhang Jun, Chinas ständigem Vertreter bei der UNO, während der Sitzung des UN-Sicherheitsrats am 22. Februar in New York. Das Treffen war von Russland anlässlich seines Resolutionsentwurfs zur dringenden Klärung des Sabotageakts einberufen worden.

China: „Viele Fragen und Bedenken“

UN-Botschafter Zhang Jun erklärte, dass China sich nicht mit einfachen Erklärungen zufriedengeben wolle, nach denen die mutmaßliche Täterschaft von Amerika und Norwegen als „völlig falsch und frei erfunden“ dargestellt werde. „Angesichts […] detaillierten Materials und umfassender Beweise“ reichten solche Stellungnahmen nicht mehr aus, „um die vielen Fragen und Bedenken zu beantworten, die weltweit aufgeworfen wurden“, so Jun. Er habe sich dabei auf das Briefing des Sicherheitsrates bezogen, das am Tag vor dem Treffen erschienen sei.

Der Chinese spielte zugleich auf eine Enthüllungsstory des amerikanischen Starjournalisten Seymour Hersh (85) an, die dieser Anfang Februar 2023 auf seinem Substack-Internet-Blog veröffentlicht hatte. Demnach soll US-Präsident Joe Biden der Drahtzieher des größten Anschlags auf die deutsche Energie-Infrastruktur seit dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein.

„Einen Weg zu finden, sich vor der heutigen Sitzung zu drücken, bedeutet nicht, dass die Wahrheit verschwiegen werden kann“, habe Chinas UN-Botschafter angemahnt. Nun erwarte sein Land „überzeugende Erklärungen von den betroffenen Parteien“. Es sei „völlig legitim und vernünftig“, dies zu verlangen. Die Verantwortlichen müssten ermittelt werden, um das „falsche Signal“ zu vermeiden, dass Menschen mit bösen Absichten ungestraft davonkommen könnten.

„Der Nord-Stream-Vorfall erinnert uns daran, dass die Sicherheitsbedrohungen in der modernen Welt zunehmend miteinander verbunden, grenzüberschreitend und vielfältig sind“, gab Jun zu bedenken. „Dies erfordert ein gemeinsames, umfassendes, kooperatives und nachhaltiges Sicherheitskonzept und konzertierte Anstrengungen, um verschiedene Wege zu erkunden und eine ganzheitliche Lösung für die verschiedenen Sicherheitsherausforderungen zu entwickeln“.

Umwelt auch geschädigt

Russland hatte in seinem jüngsten Resolutionsentwurf gegenüber UNO-Generalsekretär António Guterres ähnlich argumentiert: Es gelte, „die Täter, Sponsoren, Organisatoren und Komplizen“ des Nord-Stream-Anschlags zu ermitteln, weil dieser „eine Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit“ darstelle. Außerdem, so Russland, bedeute die Freisetzung von schätzungsweise 778 Millionen Kubikmetern Methan „verheerende Folgen für die Umwelt“.

Die UN-Botschafter Dänemarks, Schwedens und Deutschlands hatten kurz vor der Sitzung in einem Schreiben an alle Sicherheitsratsmitglieder bestätigt, dass die Beschädigungen der Ostsee-Gasröhren nach ihren eigenen Ermittlungen auf einen Sabotageakt zurückzuführen seien. Dieser sei „inakzeptabel“, die Auswirkungen wegen der „Treibhausgasemissionen […] besorgniserregend“. Die Untersuchungen zur Täterschaft seien auch von ihren Behörden noch nicht abgeschlossen.

Bereits kurz nach dem Anschlag hatten sich bei einer früheren Sitzung des UN-Sicherheitsrats nach Angabe von „Extremnews“ viele Länder für eine internationale Untersuchung ausgesprochen.

Berlin schweigt weiter

Nach einer früheren E-Mail-Anfrage der Epoch Times wollte sich eine Sprecherin des Generalbundesanwalts Peter Frank nicht zum Artikel von Seymour Hersh äußern. Das Auswärtige Amt vertröstete die Epoch Times bereits am 10. Februar mit dem Versprechen, „zu gegebener Zeit eine Antwort“ über sein Pressereferat übermitteln zu lassen. Bisher kam von dort noch nichts.

Die Bundesregierung verwies lediglich auf die Stellungnahmen ihrer Sprecher während der Bundespressekonferenz (BPK) vom 10. Februar. Die Stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann hatte damals gesagt: „Der Bundesregierung liegen […] keine Kenntnisse vor, die die Behauptungen in diesem Artikel [von Seymour Hersh] in irgendeiner Weise unterstützen würden“.

Auch die Vereinigten Staaten und Norwegen hätten „das, was in dem Artikel behauptet wird, sehr deutlich zurückgewiesen“, betonte Hoffmann. Ob es bereits „direkte vertrauliche Gespräche“ über den Hersh-Artikel zwischen Deutschland, Norwegen und den USA gegeben habe, werde „weder dementiert noch bestätigt“, erklärte Hoffmann auf Nachfrage. Die Ermittlungen seien Sache des Generalbundesanwalts. Außerdem seien „die Geheimdienste“ damit beschäftigt. Weitere Kommentare wolle und werde sie nicht geben, so Hoffmann abschließend.

Maximilian Kall, der Leiter des Pressereferats von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, ergänzte, dass inzwischen auch das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei im Auftrag des Generalbundesanwalts zu den Ermittlungen beitrügen. Eike Hosemann vom Bundesjustizministerium stellte klar, dass der Generalbundesanwalt „seine Ermittlungen […] selbstverständlich völlig unabhängig von Opportunitätserwägungen“ führe. Bei dessen Ermittlungen werde auch nicht „irgendwie Rücksicht“ darauf genommen, „wohin sich ein Tatverdacht richtet oder auch nicht“, ergänzte Hosemann auf Nachfrage eines Journalisten (Video auf YouTube, ab ca. 42:00 Min.).

Nach Informationen der „Welt“ will sich auch der für das Ausland zuständige Bundesnachrichtendienst (BND) grundsätzlich nicht öffentlich zu den Nord-Stream-Vorfällen äußern. Der BND betonte, nur gegenüber „der Bundesregierung und den zuständigen, geheim tagenden Gremien des Bundestages“ Auskunft zu geben. Dem dazu gehörigen „Parlamentarischen Kontrollgremium“ (PKGr) liegen laut der „Welt“ aber offenbar ebenfalls noch keine Erkenntnisse vor.

Unstimmigkeiten im Hersh-Bericht

Im gleichen „Welt“-Artikel vom 22. Februar 2023 hatten sich mehrere Quellen auch zu den „zahlreichen Unstimmigkeiten und Widersprüchen“ geäußert, die sie in den bisher veröffentlichen Recherche-Ergebnissen von Seymour Hersh ausfindig gemacht hatten. Sie betreffen vor allem Einzelheiten zu Flugzeugen und Schiffen, die Hersh-Kritiker wie Joe Galvin und Oliver Alexander zusammengetragen hatten.

Demnach habe Joe Galvin, ein Redakteur des Online-Magazins „Outlaw Ocean Project“, laut „Welt“ keine Belege dafür gefunden, dass US-Marinetaucher im Juni 2022 „von einem norwegischen ‚Minenjäger‘ der Alta-Klasse“ aus operiert hätten, um im Schatten des internationalen US-Navy-Manövers „BaltOps“ Sprengsätze an den Gasleitungen zu befestigen.

Öffentlich verfügbare Satelliten- und Funkdaten bestätigten nach Untersuchungen des dänischen Datenanalysten Oliver Alexander lediglich, dass ein norwegisches Minenjagdboot der beinahe baugleichen Oksøy-Schiffsklasse, nämlich die „Hinnøy“, bei Bornholm unterwegs gewesen sei. Alexander zufolge seien Oksøy-Schiffe aber nicht geeignet, um Taucher abzusetzen. Zudem hätte die „Hinnøy“ die späteren Explosionsstellen nicht angefahren. Diese lägen „sechs beziehungsweise 80 Kilometer voneinander entfernt“. Joe Galvin unterfütterte auf Twitter seine Zweifel am Hersh-Bericht mit Alexanders Recherchen.

Der Bundeswehr-Fregattenkapitän Göran Swistek hält laut der „Welt“ eine geheime Sprengsatzverlegung während des 2022er-Ostsee-Manövers „BaltOps“ ohnehin für „unmöglich“. Gleichwohl wollte er „nicht ausschließen, dass man außerhalb dieser Übung auch Momente hat, wo man in der Nähe von Bornholm verdeckt operieren“ könne.

Zweifel um Sonarbojen-Abwurf per Flugzeug

Nach Informationen der „Welt“ konnte „Outlaw Ocean Project“-Redakteur Joe Galvin auch keine Flugdaten ermitteln, die das Hersh-Narrativ stützen würden. Hersh hatte veröffentlicht, dass ein norwegisches P-8-Poseidon-Überwachungsflugzeug kurz vor den Pipeline-Sprengungen eine Sonarboje ausgesetzt haben soll, von der dann das Sprengsignal via Funk ausgelöst worden sei. Galvin, so die „Welt“, habe für den 26. September 2022 lediglich einen Eintrag zu einer amerikanischen P-8-Maschine gefunden. Diese sei etwa 90 Minuten nach dem Anschlag in der Nähe der Tatorte bei Bornholm geflogen.

Der schwedische Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte Prof. Kjell Engelbrekt von der Stockholmer „Swedish Defence University“ (FHS) vermutet, dass Hersh eine entsprechende „Reuters“-Pressemeldung vom 7. Oktober 2022 womöglich missinterpretiert haben könnte.

Auch Oliver Alexander hält Seymour Hershs Flugzeug-Berichterstattung „nicht für plausibel“. Denn die norwegische Luftwaffe habe ihre eigenen P-8-Poseidons im Jahr 2022 „nur zu Trainingszwecken“ verwendet. Die Marine-Abteilung der norwegischen Streitkräfte besitze gar keine solchen Flugzeuge. Auch in „öffentlich einsehbaren Daten“ fänden sich am Tag des Anschlags „keine Flüge der Marine mit P-8-Maschinen“. Alexander frage sich auch, warum die Sonarbojen nicht einfach von einem zivilen Schiff ins Wasser gelassen worden wären.

Oliver Alexander und Seymour Hersh streiten sich übrigens zuweilen via Twitter über die fraglichen Details.

Hersh: „Weiß mehr als je zuvor“

Der Verteidigungsexperte Ulrich Schlie hält es laut der „Welt“ auch für „nicht vorstellbar“, dass es vor dem Anschlag eine geheime Kommunikation hochrangiger amerikanischer Politiker, Geheimdienstkräfte und NATO-Vertreter mit Behörden aus Dänemark und Schweden gegeben haben könnte, wie es Hersh behauptet hatte. Falls doch, sei dies zumindest „töricht“. Nach Ansicht von Schlie beruhten Hershs Recherchen lediglich auf Hörensagen.

Auch Hersh persönlich habe auf Anfrage der „Welt“ zugegeben, dass er seine Argumente nicht mit Dokumenten untermauern könne. „Russischer Desinformation“ sei er aber nicht auf den Leim gegangen, versicherte der Starjournalist telefonisch: Er vertraue seiner anonymen Quelle, weil er inzwischen mehr wisse „als jemals zuvor“.



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