Nord Stream könnte dauerhaft unbrauchbar sein – Sprengsatz seit Wochen im Meer?

Nach der mutmaßlichen Sabotage von Nord Stream 1 und 2 halten Spekulationen über die Hintergründe an. Die Pipeline ist offenbar irreparabel beschädigt.
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Hinweisschild Nord Stream 2.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 29. September 2022

Am Donnerstagmorgen, 29. September, hat die schwedische Küstenwache ein viertes Leck in den Nord-Stream-Pipelines gemeldet. Bereits seit Bekanntwerden der ersten drei Schäden am Montag steht zu befürchten, dass die Leitungen dauerhaft unbrauchbar bleiben könnten. Mittlerweile geht die Suche nach den Urhebern des mutmaßlichen Sabotageaktes weiter.

Nord Stream nur bei schneller Reparatur noch zu retten

Unter Berufung auf Regierungskreise schreibt der „Tagesspiegel“, die beschädigten Pipelines seien allenfalls noch bei schneller Reparatur zu retten. Dringe zu viel Salzwasser in die Leitungen, würden diese korrodieren.

Der Krisenstab des Auswärtigen Amtes habe sich mittlerweile mit dem Vorfall befasst, schreibt die Zeitung weiter. Beratungen über Konsequenzen liefen bereits. Unter anderem solle die Kontrolle der deutschen Hoheitsgewässer durch die Bundespolizei „intensiviert“ werden – unter anderem mit Blick auf die im Bau befindlichen Flüssiggasterminals.

Unterdessen gehen Spekulationen über die möglichen Verantwortlichen des mutmaßlichen Sabotageaktes weiter. Der „Times“ zufolge könnte sich der Sprengsatz, der zur Herbeiführung der Detonation zur Anwendung kam, bereits Wochen zuvor im Meer befunden haben. Die Zeitung beruft sich auf eine „Quelle aus Verteidigungskreisen“. Diese erklärt, es handele sich um „wahrscheinlich vorsätzliche und geplante“ Beschädigungen an der Pipeline.

GRU soll „spezialisierte Unterwasser-Sabotageeinheit“ unterhalten

Der „Bild“-Zeitung zufolge sollen deutsche Sicherheitsbehörden einen Einbau der Sprengsätze bereits beim Bau der Pipelines für denkbar halten. Diese hätte als „Abschaltvorrichtung für den Ernstfall“ zur Verfügung gestanden. Marineoffiziere wie Fregattenkapitän Göran Swistek, der mit „ZDF heute“ sprach, geht davon aus, dass der verwendete Sprengstoff „wahrscheinlich militärischer Natur“ gewesen sei. Andere Militärexperten ergänzen, ferngesteuerte Drohnen hätten solche bereits zuvor angebrachten Sprengsätze zünden können.

All diesen Spekulationen ist gemeinsam, dass sie das Ziel verfolgen, Russland für die Zerstörung der Leitung verantwortlich zu machen. Auf diese Weise habe der Kreml weiter Unsicherheit auf den europäischen Märkten schüren und die EU-Staaten destabilisieren wollen. Immerhin sei, obwohl seit Anfang September kein Gas mehr durch die Leitungen fließt, ein neuerlicher Anstieg des Gaspreises möglich gewesen.

Auch einen möglichen Täter nennen die entsprechenden Medien. Demzufolge soll die in Kaliningrad stationierte 561. Marinebrigade des russischen Militärgeheimdienstes GRU eine „spezialisierte Unterwasser-Sabotageeinheit“ sein. Nicht näher bezeichnete NATO-Kreise sinnen ihr zu, dass sie „in der Lage wäre, sich der Pipeline zu nähern“.

Intakte Nord Stream wäre für Russland wertvoller gewesen

Der Preis für einen solchen kurzfristigen Effekt ist indes ein sehr hoher. Über den staatlichen Energiekonzern Gazprom hält die Russische Föderation 51 Prozent der Anteile der Betreibergesellschaft an Nord Stream 2. Da die privaten Partner der Nord Stream 2 AG einen erheblichen Teil der Anfangsinvestitionen trugen und es Garantien vonseiten der europäischen Partner gab, wäre der Schaden für Russland selbst überschaubar.

Allerdings hatten die Anteilseigner an der Gesellschaft mindestens 30 Prozent der Investitionskosten von 7,4 Milliarden Euro an Nord Stream 1 übernommen. Diese sind für den Kreml nun in jedem Fall verloren.

Russland verhandelt zwar bereits mit Chinas KP-Regime über ein Ersatzprojekt für die gerade zu Ende gehende Energiepartnerschaft mit Europa, dennoch wäre es, selbst wenn der Kreml das Projekt zerstören wollte, logischer erschienen, damit noch mindestens bis zum Winter zu warten.

Versorgungsprobleme oder weiter explodierende Energiepreise hätten in mehreren Ländern Europas, darunter Deutschland, zu veränderten Stimmungen führen können. Die Proteste hätten den Druck auf die Politik, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen, deutlich erhöhen können. Die fertige, aber nicht genutzte Pipeline als mögliches politisches Faustpfand gegenüber Europa wäre in intaktem Zustand für Moskau jedenfalls wertvoller gewesen.

Russland nimmt eigene Ermittlungen auf

Die russische Generalstaatsanwaltschaft meldet, unterdessen ein Verfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf internationalen Terrorismus eingeleitet zu haben. Mit der Beschädigung der Pipelines sei Russland „erheblicher wirtschaftlicher Schaden zugefügt“ worden, so die Begründung.

Russische Medien gehen davon aus, dass die Urheber der Sabotage „vollendete Tatsachen“ bezüglich des Projekts Nord Stream schaffen wollten. Hinter dem Anschlag müsse demnach eine Macht stecken, die ein Interesse an einem Ende der Energiepartnerschaft mit Russland habe.

Mehrere osteuropäische Anrainerstaaten, aber auch die USA, hatten bis zuletzt massive Bedenken gegen Nord Stream artikuliert. Die Pipelines, die vor allem Deutschland eine günstige russische Gasversorgung sicherten, würden Europa von Moskau abhängig machen, hieß es dabei. Tatsächlich hatte die Lieferung ein Gaspreisniveau in Europa gesichert, das beispielsweise den Umstieg auf US-amerikanische LNG-Lieferungen unrentabel gemacht hat.

Russische Medien bringen kryptische Biden-Äußerung ins Spiel

Vielfach wird auch auf Äußerungen wie jene des US-Präsidenten Joe Biden im Zusammenhang mit Nord Stream 2 aufmerksam gemacht. Dieser hatte im Februar erklärt, Nord Stream 2 werde „ein Ende gesetzt“, sollte es einen russischen Einmarsch in der Ukraine geben. Auf die Nachfrage einer Journalistin, wie diese Aussage gemeint sei, antwortete Biden: „Wir werden – das verspreche ich ihnen – in der Lage sein, es zu tun.“

US-Außenminister Antony Blinken erklärte jedoch am Dienstag, es sei „in niemandes Interesse, wenn Anschläge oder Sabotageakte zu Gaslecks in den Nord-Stream-Pipelines führen“.

Ex-BND-Chef August Hanning geht gegenüber „Bild“ davon aus, dass sich die Hintergründe der Detonationen bald aufklären ließen. Es werde „Aufnahmen von Überwachungen geben, das lässt sich kurzfristig kaum verheimlichen“, ist sich Hanning sicher. Ihm zufolge könne die deutsche Marine mithilfe von Unterwasserkameras und Sensoren „den Meeresraum bis Sankt Petersburg überwachen“.

(Mit Material von dts)



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