Niederlande wollen EU-Asylregeln aushebeln – und verweisen auf „nationalen Notstand“

Die Niederlande fordern eine Sonderregelung in der EU-Asylpolitik. Asylministerin Marjolein Faber fordert eine Opting-Out-Klausel aus dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS). Der Vorstoß soll die Kontrolle über die nationale Asylpolitik zurückbringen und einem „nationalen Notstand“ entgegenwirken.
Titelbild
Grenzübergang Deutschland – Niederlande (Archiv)Foto: iStock/by sonmez
Von 19. September 2024

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Die Regierung der Niederlande möchte eine Opting-Out-Klausel aus dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) erwirken. Dies hat die Asylministerin Marjolein Faber am Mittwoch, 18. September, auf dem Kurznachrichtendienst X mitgeteilt.

Wie die Politikerin der weit rechten PVV erklärt, habe sie die EU-Kommission über diesen Wunsch der Regierung in Den Haag in Kenntnis gesetzt. Zur Begründung gab sie an:

„Wir müssen wieder über unsere eigene Asylpolitik das Sagen haben.“

Niederlande wollen „Zahl von Asylsuchenden drastisch reduzieren“

Die EU hatte erst Ende des Vorjahres ihre Asylpolitik auf eine neue Grundlage gestellt und dabei erhebliche Verschärfungen auf den Weg gebracht. Zwei Jahre haben die Mitgliedstaaten nun Zeit, das GEAS zu ratifizieren.

Das Kabinett unter Premierminister Dick Schoof möchte nach Darstellung der Ministerin mit der Maßnahme Freiraum schaffen, um einem „nationalen Notstand“ entgegenzuwirken. Die Einreise von Asylsuchenden und irregulären Migranten will das Kabinett in Den Haag damit „drastisch reduzieren“. Gelinge dies nicht, wäre es der niederländischen Regierung nicht möglich, „unsere verfassungsrechtlichen Aufgaben zu erfüllen wie Bereitstellung von Wohnungen, Gesundheitsversorgung und Bildung“.

Der Vorstoß stößt teilweise auf Verwunderung. Die Niederlande gelten bis dato nicht unbedingt als ein Land mit Asylzahlen jenseits des EU-Durchschnitts. Im Jahr 2023 kamen in dem Land 2.144 Erstanträge auf Asyl auf eine Million Einwohner – EU-weit waren es 2.337. An der Spitze lagen Zypern (12.664), Österreich (6.107) und Luxemburg (3.957). Deutschland lag mit 3.900 Anträgen pro einer Million Einwohner auf Platz 4.

Zahlen sprechen nicht für übermäßige Belastung

Auch in absoluten Zahlen hielt sich die Zahl der Asylsuchenden in den Niederlanden 2023 in einem überschaubaren Rahmen. Mit 38.320 Erstanträgen lag das 18-Millionen-Einwohner-Land EU-weit auf Platz 7. Gegenüber 2022 mit 37.020 Gesuchen zeigte sich wenig Veränderung. Die höchste Anzahl an Erstanträgen seit 2010 hatte das Land mit 44.970 auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegung nach Europa im Jahr 2015 zu verzeichnen.

Die neuen Asylregeln der EU sollen hauptsächlich die Erstankunftsländer entlasten. So soll es vor allem bei Schutzsuchenden aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von 20 Prozent und weniger möglich sein, Asylverfahren an den Außengrenzen durchzuführen. Beispiele für Länder mit so geringen Anerkennungsquoten sind Marokko, Tunesien oder Bangladesch. Diesen soll die Weiterreise in die EU verweigert werden; gleiches gilt für Eingereiste ohne gültige Papiere.

Die Mitgliedsländer sollen Asylbewerber künftig auch in „sichere Drittstaaten“ wie Tunesien oder Albanien zurückschicken können – wenn diese dort über Ankerpunkte verfügen. Dazu zählen etwa Angehörige oder bestehende Beschäftigungsverhältnisse. Eine Liste sicherer Drittstaaten soll auf EU-Ebene erarbeitet werden.

GEAS will aussichtslose Antragsteller aus Europa fernhalten – aber auch Solidaritätsverpflichtung

Die Zahl der Plätze in den sogenannten Grenzlagern soll in den kommenden Jahren von 30.000 auf 120.000 steigen. Juristisch sollen sie so ausgestaltet sein, dass die Geflüchteten als „nicht eingereist“ gelten. Deutschland scheiterte mit seinem Ansinnen, Familien mit Kindern von der Grenzregelung auszunehmen. Allerdings sollen für sie gewisse Erleichterungen gelten.

Für weit vom Mittelmeer entfernte Länder wie die Niederlande würde dies eine Entlastung bedeuten. Das Kabinett dürfte jedoch am verpflichtenden Solidaritätsmechanismus Anstoß nehmen, der ebenfalls Teil des GEAS ist. Diesem zufolge sollen jährlich mindestens 30.000 Asylsuchende von Italien oder Griechenland in andere Länder verteilt werden.

Länder, die keine Asylsuchenden aufnehmen wollen, sollen stattdessen einen Geldbetrag bezahlen, Grenzbeamte entsenden oder Maßnahmen zur Fluchtbekämpfung in Herkunftsstaaten finanzieren.

Opting-Out für Niederlande erscheint als wenig aussichtsreich

Vor allem deshalb bemühen sich die Niederlande jetzt um eine Opting-Out-Klausel aus der gemeinsamen EU-Asylpolitik. Dabei verweist man auf Ausnahmetatbestände, die es anderen Ländern wie Dänemark oder Irland erlauben, aus gemeinsamen EU-Vereinbarungen auszusteigen. Allerdings hatte Dänemark diese bereits beim Beitritt zur EU vereinbart – und Irland seine im Zusammenhang mit dem Brexit.

Die Niederlande müssten für eine Ausnahmeregelung nun die Zustimmung aller 27 EU-Staaten erreichen. Das erscheint als wenig aussichtsreich – zumal erst im Dezember 2023 die Vorgängerregierung dem GEAS zugestimmt hatte. Der moderate Koalitionspartner NSC will deshalb auch im Fall juristischer oder faktischer Aussichtslosigkeit seine Zustimmung zum entsprechenden Notstandsgesetz zurückziehen.



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