Nicht nur für Oligarchen: Das Geschäft mit goldenen Pässen und Visa boomt in Russland

Die durch Sanktionen und Krieg verursachte Unsicherheit hat in Russland einige dazu veranlasst, einen „Plan B“ zu schmieden. Das Geschäft mit EU-Staatsbürgerschaften scheint zu boomen. Brüssel fordert ein Ende der Programme für „goldene Pässe“, doch viele laufen weiter.
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Zweitpässe von Ländern wie Zypern oder Ungarn machen es für russische Bürger einfacher, zu reisen. (Symbolbild)Foto: iStock/Pinkypills
Von 15. August 2024

Im vergangenen Oktober deckte das russische Enthüllungsmedium „The Projekt“ in Zusammenarbeit mit mehr als einem Dutzend anderer Organisationen auf, dass mehrere russische Großunternehmer die Staatsbürgerschaft des karibischen Inselstaates Dominica erworben hätten. Damit wollten sie Sanktionen umgehen, die westliche Staaten wegen ihrer Verbindungen zum Kreml verhängt hatten. Der dominicanische Pass ermöglicht unter anderem visafreie Reisen in den Schengen-Raum der EU für 90 Tage im Jahr.

Diese Praxis, die in Russland auch als „Plan B“ bekannt ist, wird von verschiedenen Agenturen auf russischen Internetseiten beworben. Die große Zahl solcher Anzeigen wirft die Frage auf, ob viele Russen beabsichtigen, sich eine zweite Staatsbürgerschaft zuzulegen.

Seit der Eskalation des Ukraine-Konflikts im Jahr 2022 haben rund 800.000 Russen ihr Heimatland verlassen, laut einer dänischen Migrationsorganisation. Rund 1,5 Millionen russische Staatsbürger haben schon eine zweite oder doppelte Staatsbürgerschaft, berichtete die Moskauer Tageszeitung „Nezavisimaya Gazeta“ im September 2023. In vielen dieser Fälle gehe es dem Bericht zufolge jedoch nicht darum, tatsächlich in ein anderes Land zu ziehen. Man wolle sich und seiner Familie bestimmte Vorteile sichern.

Eine Aufenthaltsgenehmigung oder zweite Staatsbürgerschaft ermöglicht es Russen, bei Bedarf das Land rasch zu verlassen, in anderen Ländern Immobilien zu kaufen oder ein Bankkonto zu eröffnen.

Laut der russischen Agentur „Passportivity“ ist eines der wichtigsten Vorteile eines europäischen Wohnsitzes der „Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung“. Die Verlagerung des Geschäftssitzes nach Zypern und Ungarn wird aufgrund von Steuervorteilen und einem günstigen Geschäftsumfeld besonders empfohlen.

EU-Staatsbürgerschaft in zwölf Monaten?

Laut Anzeigen auf russischen Suchportalen könne man schon in zwölf Monaten die Staatsbürgerschaft für ein EU-Mitgliedsland erhalten. So zum Beispiel die bulgarische oder rumänische Staatsbürgerschaft und das nur für ein paar Tausend Euro. Betrachtet man die Websites, auf denen die Anzeigen geschaltet werden, so wird deutlich, dass das Schnellverfahren insbesondere auf der Grundlage der Abstammung ermöglicht werden soll.

Vorausgesetzt der Kunde kann nachweisen, dass seine Vorfahren Bürger des betreffenden Landes waren, ist es in der Tat in mehreren Ländern der EU möglich, in relativ kurzer Zeit – in Bulgarien sind es zwölf bis 24 Monaten – die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Die Antragsteller müssen dabei ihre Herkunft mit entsprechenden beglaubigten Dokumenten nachweisen. In der Realität reicht der Nachweis der Abstammung an sich allerdings oft nicht aus. In manchen Fällen sind Sprachkenntnisse erforderlich und es können weitere Bedingungen gestellt werden.

Die Anzeigen könnten also einerseits ein Zeichen dafür sein, dass viele Bürger mit rumänischen oder bulgarischen Eltern oder Großeltern in Russland leben. Andererseits könnten sie aber auch Hinweise auf illegale Aktivitäten sein. Ein Beispiel für Letzteres ereignete sich laut einem Bericht von „Euractiv“ erst vor wenigen Monaten in Bulgarien.

Bildschirmfoto einer russischsprachigen Website, die die Vermittlung einer bulgarischen Staatsbürgerschaft für 3.000 Euro binnen eines Jahres anbietet. Foto: Bildschirmfoto / https://twocitizenship.com/bulgaria-citizenship/

Illegale Programme

Im Februar dieses Jahres berichtete „Euractiv“, dass die bulgarische Spionageabwehr SANS beschuldigt wurde, „eine illegale Operation nicht verhindert zu haben, die es Russen ermöglichte, mit gefälschten Dokumenten die bulgarische – und damit die EU-Staatsbürgerschaft zu erlangen“.

Atanas Atanasov, der ehemalige Leiter der Spionageabwehr, teilte laut dem Artikel dem bulgarischen Fernsehsender BNT mit, dass eine Person russischer Herkunft namens Gleb Mishin russische Bürger mit bulgarischen Pässen versorgt habe. Laut Atanasov wurden die Fälschungen von Mishin über sein Moskauer Büro durchgeführt.

„Euractiv“ hat einige der russischen Websites geprüft, die für den Erwerb der bulgarischen Staatsbürgerschaft werben und behaupten, dass das Verfahren legal sei.

Gegen eine bestimmte Gebühr würden die Kunden eine gefälschte Geburtsurkunde eines Elternteils erhalten, die besagt, dass er oder sie bulgarischer Herkunft sei, so „Euractiv“. Gegen eine weitere Gebühr erhielten sie Zugang zur bulgarischen Verwaltung, wobei sich die Gesamtkosten für die Erlangung der Staatsbürgerschaft auf etwa 8.000 Euro belaufen sollen.

„Euractiv“ weist auch darauf hin, dass die Zahl russischer Staatsbürger, die die bulgarische Staatsbürgerschaft in den vergangenen drei Jahren erhalten haben, nach offiziellen Angaben in die Höhe geschnellt sei. Das Portal vermutet, dass die Anzahl der „neuen“ Bulgaren dem Statistischen Amt der Europäischen Kommission, Eurostat, nicht vollständig gemeldet wurden. „Zum Beispiel hat Bulgarien im Jahr 2021 14.421 Menschen die Staatsbürgerschaft verliehen, während die Eurostat-Tabellen 2.183 ausweisen“, schreibt das Medium.

Der bulgarische Premierminister Nikolay Denkov hat sich zu dem Fall geäußert. Er teilte „Euractiv“ mit, er habe eine Untersuchung angeordnet und wiederholte mehrmals, dass „die Situation nicht normal ist“.

Ähnliche Missbräuche wurden auch in anderen Ländern gemeldet. In Zypern zum Beispiel wurden im Jahr 2023 auch angeblich illegale Geschäfte aufgedeckt, die sanktionierten russischen Geschäftsleuten behilflich waren. In Ungarn gab es einen ähnlichen Skandal schon im Jahr 2021, bereits noch vor dem Krieg in der Ukraine.

Was das Gesetz erlaubt – goldene Visa und goldene Pässe

Unter den russischen Anzeigen gibt es aber auch Angebote für legale Pfade zur Staatsbürgerschaft oder Visa. So führen gerade EU-Länder die „Hitliste“ der Anbieter von sogenannten „goldenen Visa“ oder „goldenen Pässen“ an. Diese gewähren Aufenthaltsgenehmigungen und Staatsbürgerschaften gegen eine größere Investition oder Spende.

Zum Beispiel Spaniens Programm „Residenz durch Investition“ gewährt seit dem Jahr 2013 Aufenthaltsgenehmigungen, wenn der Antragsteller mehr als 500.000 Euro in Immobilien oder bestimmte Arten von Unternehmen investiert. Für Ungarns goldenes Visa-Programm, muss man mindestens 250.000 Euro investieren können.

Die Beratungsfirma Henley & Partners untersucht jedes Jahr solche Programme. Faktoren wie die Zeit bis zur Einbürgerung, Steuern, Kosten und den allgemeinen Ruf des Landes werden ausgewertet. Deren „Global Citizenship Program Index“ bewertete im Jahr 2024 13 Programme für goldene Pässe.

Dabei liegt das strategisch günstig gelegene europäische Land Malta abermals an der Spitze. Der Inselstaat bietet ausländischen Staatsangehörigen und ihren Familienmitgliedern nach 36 Monaten (oder in Ausnahmefällen zwölf Monaten) Aufenthalt die Staatsbürgerschaft an. Österreich folgt auf dem zweiten Platz der Rangliste und bietet Staatsbürgerschaften an für Investitionen in die Wirtschaft der Alpenrepublik an. Auf dem dritten Platz folgen drei karibische Inselstaaten.

Henley & Partners bewertet auch die Programme für goldene Visa. Europäische Länder befinden sich wieder unter den Top 5, wobei das portugiesische Golden Residence Permit Program an erster Stelle von 26 Programmen steht. Das österreichische Private Residence Program teilt sich den zweiten Platz mit dem griechischen Golden Visa Program. Danach folgt das Schweizer Residenzprogramm. In Deutschland gibt es derzeit kein derartiges Angebot.

Allerdings erlauben nicht alle Länder russischen Staatsbürgern, sich für die Programme zu bewerben. Insbesondere gibt es Einschränkungen in diesem Zusammenhang für das Erwerben von goldenen Pässen.

Portugal bietet wohlhabenden russischen Bürgern weiterhin die Möglichkeit, goldene Visa zu erhalten. Foto: iStock/StockByM

Brüssels Bedenken

Im Jahr 2022 forderte die Europäische Kommission die Mitgliedsländer auf, die Vergabe von Staatsbürgerschaften an Investoren einzustellen und die Programme für goldene Visa auch strenger zu gestalten. Im Zuge des Krieges in der Ukraine wurden nämlich Bedenken laut, dass diese Regelungen ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten. Dennoch laufen viele solcher Programme weiter.

Brüssel hat die Mitgliedsländer auch aufgefordert, zu überprüfen, ob sanktionierten russische Personen im Besitz von goldenen Pässen oder Visa gekommen sind. In mehreren Fällen wurden sanktionierten Personen solche Dokumente entzogen.

Welche Länder es russischen Staatsbürgern derzeit erlauben, goldene Pässe und Visa zu kaufen, ist nicht einfach zu beantworten. In Portugal wurde das Programm im Prinzip eingestellt, aber Presseberichten zufolge wird es dennoch weitergeführt. Auch in Spanien wurde die Einstellung des Programms angekündigt, aber laut „Euronews“ läuft es weiter.

Was motiviert die Kunden aus Russland

Seit 2022, nachdem eine Reihe von Sanktionen gegen Russland und russische Bürger eingeführt wurde, sei einer der Hauptgründe für die Beantragung von einer zweiten Staatsbürgerschaft der Versuch, diese zu umgehen, berichtete „Nezavisimaya Gazeta“. Laut Olga Myagkikh, Geschäftsführerin von Synergy Trust, seien die Hindernisse, die umgangen werden sollen, „logistische, bildungsbezogene, gesundheitliche, handelsbezogene, investitionsbezogene und andere Barrieren“, so die Unternehmensberaterin gegenüber der Zeitung.

Das typische Kundenprofil eines russischen Staatsbürgers, der eine zweite Staatsbürgerschaft erwerben möchte, wurde so beschrieben: Ein 40- bis 50-jähriger Mann, der ein kleines oder mittleres Unternehmen führe und ein monatliches Einkommen von etwa 3.000 Euro habe. Sein Hauptmotiv sei die Ausweitung des Geschäfts auf ausländische Märkte.

Rund 45 Prozent der russischen Antragsteller bevorzugen Länder, in denen Pässe auf der Grundlage der Abstammung erworben werden können. Nur fünf Prozent sind willens, im Austausch für Investitionen einen Pass zu erhalten.

Laut Gesetz muss ein russischer Staatsbürger, der im Ausland eine Aufenthaltsgenehmigung oder eine zweite Staatsbürgerschaft erworben hat, dies den Behörden melden. Andernfalls droht ihm eine Strafverfolgung.



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