Neueste BBC-Studie: Hälfte der unter 30-jährigen Araber will auswandern

Politikverdrossenheit, Wunsch nach Religionsfreiheit, wirtschaftliche Aspekte und Probleme im eigenen Land. Viele Gründe, um der eigenen Heimat in Nahen Osten und in Afrika den Rücken zu kehren. Das ergab die neu veröffentlichte BBC-Umfrage, das Arab Barometer.
Titelbild
Ein türkischer Pass (l) und ein deutscher Reisepass.Foto: Daniel Bockwoldt/dpa
Epoch Times29. Juni 2019

Eine neueste BBC-Studie in den arabischen Ländern ergab, dass die Hälfte der unter 30-Jährigen ihre Heimat verlassen wolle. Die Umfrage, das Arab Barometer, wurde durch das Forschungsnetzwerk der Princeton University in Zusammenarbeit mit BBC News Arabic durchgeführt. Insgesamt 25.407 Menschen aus zehn Ländern und den palästinensischen Gebieten zu verschiedenen Themen befragt. Hierzu gehören: Libanon, Jordanien, Sudan, Marokko, Libyen, Algerien, Jemen, Ägypten, Tunesien, Irak. Damit gilt die Umfrage als größte und ausführlichste in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA-Region).

Die Auswertung der Daten seit 2013 ergab einen deutlichen Anstieg an Ausreisewilligen in Jordanien, Irak, Marokko, Libyen, Tunesien und Ägypten. Fast jeder Fünfte will auswandern. Im Sudan war es trotz Abwärtstrend noch immer die Hälfte der Bevölkerung. Jahre zuvor ergab die Umfrage im Sudan, dass 60 Prozent auswandern wollten. Das Motiv für die Auswanderung bestand hauptsächlich in wirtschaftlichen Gründen.

Dabei zieht es nicht alle Migranten nach Europa. Die Zahl der Ausreisewilligen, die nach Nordamerika wollen, ist gestiegen. Doch selbst wenn die Zahlen in Europa rückläufig sind, so „BBC“, bleibe Europa die erste Wahl für diejenigen, die ihre Heimat verlassen wollen.

Politikverdrossenheit

In einem Interview sagte Amaney Jamal, Politik-Professorin in Princeton und Mitbegründerin des Arab Barometer, wie wichtig es sei, die Meinung der Menschen zu dokumentieren. Viele Menschen seien unzufrieden mit der Politik in ihrer Heimat. Immerhin 49 Prozent der Befragten in Marokko streben einen „schnellen politischen Wechsel“ an, gefolgt von Jemen mit 41 Prozent und Ägypten mit 39 Prozent.

In den zehn Jahren der Umfrage hätten sich die Einstellungen zur Gleichstellung der Geschlechter „schrittweise verbessert“. Es gäbe Fortschritte in Bezug auf die Ideale politischer Freiheit und den Versuch, diesen gerecht zu werden. Allerdings hätten die Bürger auch ihre Lehren aus dem Arabischen Frühling gezogen. Sie befürchten, dass Demokratie von Natur aus mehr Instabilität verursachen könnte. Auch wenn der Wunsch nach Selbstbestimmung und Frieden groß sei, so stellen sich die Menschen nach ihrer Auffassung die Frage, ob „ein demokratisches Regime zwangsläufig eine gute Sache für ihr Leben sei“.

Die Umfrage zeige, dass seit 2016 ein dramatischer Aufwärtstrend zu verzeichnen sei, nachdem ein größerer Teil der arabischen Jugend auswandern wolle. Sie fühlen sich in ihren Heimatländern begrenzt. Bei ihren Überlegungen, wo sie den größten Erfolg erzielen könnten, gelangen sie zu dem Ergebnis, dass sie höchstwahrscheinlich außerhalb ihrer Region leben müssen.

Religionsfreiheit

Es sei wichtig, die Bedürfnisse und Sorgen der Bürger zu kennen, so Jamal. Sonst könne man keine wirksame Politik gestalten. Probleme würden nicht erkannt werden. Es gäbe eine Menge Missverständnisse und Stereotype über Araber und die muslimische Bevölkerung im Allgemeinen. Die Umfrage enthülle ihre wahren Vorlieben.

So verzeichnet die Studie hinsichtlich der Religion einen interessanten Trend: Bis auf Jemen sind die Zahlen der Ungläubigen in der befragten Länder gering bis deutlich gestiegen, teilweise um fast 20 Prozent.

Einwohner fühlen sich bedroht

Fünf der zehn befragten Ländern sehen Israel als größte Bedrohung an, nämlich Libanon, palästinensische Gebiete, Ägypten, Jordanien und Sudan. Die Einwohner in Jemen und Irak gaben an, dass vom Iran die größte Bedrohung ausgehen würde. Tunesien empfindet die Vereinigten Staaten als gefährlich und Marokko und Algerien benannten kein konkretes Land.

In jedem der befragten Länder belegte die Nahostpolitik von Donald Trump beim Vergleich mit Putin und Erdogan den letzten Platz. Im Gegensatz dazu stimmten sechs der elf befragten Regionen mit deutlicher Mehrheit für den türkischen Präsidenten Erdogan. Libanon, Libyen und Ägypten zogen die Politik von Vladimir Putin der von Erdogan vor. Im Irak waren die Stimmen der Befragten gleichmäßig auf Erdogan und Putin verteilt.

Die Professorin gibt zu bedenken:

Beobachter des Nahen Ostens haben sich lange Zeit ausschließlich auf Eliten konzentriert, weil sie glaubten, dass alle Politik vom Staat oder von anderen Eliten ausgeht. Aber der Arabische Frühling hat uns gezeigt, dass es eine Schicht der Gesellschaft gibt, die auch sehr wichtig ist, und wenn wir diesen Teil konsequent ignorieren, wie es die arabischen Regime getan haben, werden diese Menschen letztendlich protestieren und sich empören, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen.“

Jamal sieht ihren Beitrag darin, eine wissenschaftliche Grundlage zu bieten, auf der für die wichtigen Interessengruppen die Anliegen der Bürger vermittelt werden können. In den bei der Umfrage erfassten Gebieten wohnen rund 350 Millionen Einwohner. Das Arab Barometer würde einen kleinen Einblick in die Denkweise und Bedürfnisse der Bevölkerung geben. Sie sagt:

Angesichts der damit verbundenen Herausforderungen ist es eine enorme Leistung, dieser Bevölkerung eine Stimme zu verleihen.“

(sua)

 



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