Neue Regierung, neue Asylpolitik: Wien setzt um, was Merz für Deutschland fordert

Christian Stocker (ÖVP) wird neuer Bundeskanzler Österreichs – mit einer Regierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS. Das Dreierbündnis soll das Land für viereinhalb Jahre führen. Die Ressortverteilung bringt bekannte Gesichter, aber auch Überraschungen. Eine erste brisante Entscheidung: Die Regierung will das EU-Asylrecht mit einer Notfallklausel aushebeln.
Rund 150 Tage nach der Parlamentswahl haben sich ÖVP, SPÖ und liberale Neos auf eine Koalition geeinigt. (Archivbild)
Rund 150 Tage nach der Parlamentswahl haben sich ÖVP, SPÖ und liberale Neos auf eine Koalition geeinigt. (Archivbild)Foto: Heinz-Peter Bader/AP/dpa
Von 1. März 2025

14 Minister, sieben Staatssekretäre – und viereinhalb Jahre, die Österreichs neue Bundesregierung halten soll. Am Freitag, 28.2., hat der ÖVP-Chef und designierte Bundeskanzler Christian Stocker gemeinsam mit seinen Koalitionspartnern SPÖ und NEOS in Wien die neue Regierung präsentiert. Bei einem Pressetermin, bei dem keine Fragen zugelassen waren, sprach der SPÖ-Chef und künftige Vizekanzler Andreas Babler von einem „tollen Team“. Dieses sei „stark und ausgewogen“. Gemeinsam werde man „Österreich wieder auf Kurs bringen“.

Stocker wurde erst am 05.01. zum Parteichef der ÖVP gewählt. Sein Vorgänger Karl Nehammer war nach dem Scheitern der ersten Ampel-Verhandlungen als Bundeskanzler und Parteivorsitzender zurückgetreten. Sein Nachfolger verhandelte anschließend mit FPÖ-Chef Herbert Kickl über die Bildung einer blau-türkisen Koalition – ein Vorhaben, das die Beteiligten am 12.02. für gescheitert erklärten.

Niederösterreichs mächtige ÖVP-Landesgruppe übernimmt Führungsrolle in der Regierung

Anschließend nahmen ÖVP und SPÖ ihre Gespräche wieder auf. Vor zwei Wochen kündigte Stocker an, bis zum Monatsende eine Regierung zu präsentieren. Wenige Tage vor der Präsentation des Regierungsprogramms verkündeten die Verhandlungspartner, dass auch die liberalen NEOS Teil des künftigen Regierungsbündnisses sein würden.

Zum am kürzesten dienenden Generalsekretär in der Geschichte der ÖVP avancierte Alexander Pröll. Er wird Stocker künftig als Staatssekretär im Kanzleramt zur Seite stehen. Der Sohn des Ex-Vizekanzlers Josef Pröll und Großneffe des früheren Landeshauptmanns von Niederösterreich, Erwin Pröll, wird in seiner vorherigen Funktion von Nico Marchetti beerbt.

Drei ÖVP-Minister aus der vorangegangenen Regierung werden auch dem künftigen Kabinett angehören. Einer davon ist Innenminister Gerhard Karner. Auch er entstammt der mächtigen niederösterreichischen Landesgruppe der Konservativen. Die Gespräche der ÖVP mit der rechten FPÖ waren insbesondere daran gescheitert, dass diese auf dem Innenministerium bestand. Mit Blick auf das vereitelte Attentat auf ein Taylor-Swift-Konzert in Wien im Sommer 2024 hieß es, es wäre ein Sicherheitsrisiko, das Ressort aus der Hand zu geben.

Klimaschutz-Agenden wandern zurück ins Landwirtschaftsministerium

Auch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner wird in dem Amt bleiben, das sie 2020 angetreten hatte. Sie kommt ebenfalls aus dem niederösterreichischen Verband und gilt als Vertraute der dortigen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Ebenfalls als Schwergewicht gilt der künftige Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer. Der aus Linz stammende frühere Chef der österreichischen Wirtschaftskammer war nach dem Scheitern der ersten Ampel-Gespräche sogar als möglicher Parteichef im Gespräch.

Ebenfalls aus der oberösterreichischen Landeshauptstadt kommt die künftige Ministerin für Familie, Jugend und Integration, Claudia Plakolm. Die frühere Vorsitzende der ÖVP-Jugend und ehemalige Jugendstaatssekretärin gilt als große Nachwuchshoffnung der Konservativen. Sie war zeitweise auf der Bundesliste hinter Karl Nehammer und auch in alle bisherigen Koalitionsgespräche involviert.

Ebenfalls im Amt bleiben wird der seit 2022 amtierende Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig. Der frühere mehrjährige Chef des Bauernbundes der ÖVP wird jedoch den Umweltschutz als Zusatzkompetenz erhalten – und damit jenes Ressort, das auch die Klimapolitik mit einschließt. Die ÖVP verspricht sich davon mehr Pragmatismus und eine Änderung des derzeitigen Kurses unter der als ideologisch betrachteten grünen Amtsinhaberin Eleonore Gewessler.

SPÖ kehrt in Österreich erstmals seit 2017 in die Regierung zurück

An Staatssekretärinnen wird die ÖVP noch Elisabeth Zehetner im Wirtschaftsministerium und Barbara Eibinger-Miedl im Finanzministerium stellen. Zehetner war zuletzt klimapolitische Beraterin von Ex-Kanzler Nehammer. Die Anhängerin „technologieoffener“ Wege im Klimaschutz wird auch für Start-ups zuständig sein. Eibinger-Miedl soll hingegen für die ÖVP ein Auge auf das Gebaren des künftigen Finanzministers Markus Marterbauer werfen.

Marterbauer war als Ökonom mehr als 15 Jahre lang in der Arbeiterkammer (AK) tätig. Zuvor war der in Schweden geborene Absolvent der Wirtschaftsuniversität Wien Konjunkturreferent im Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Er gilt als Exponent des linken Parteiflügels und Vertrauter von Parteichef Babler. Er befürwortet Vermögenssteuern und hat Kritik am geplanten Sparpaket geübt – dieses wird er nun umsetzen müssen.

Pragmatische Kreise in der Sozialdemokratie, wie Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, hatten für das Ressort den bisherigen Finanzstadtrat in der Bundeshauptstadt, Peter Hanke, favorisiert. Er wird künftig für Verkehr und Innovation zuständig sein. Nun ist damit zu rechnen, dass es grünes Licht für bisher von der grünen Ministerin Gewessler blockierte Verkehrsprojekte wie den Lobautunnel geben wird.

Babler setzt Vertraute durch – und entgeht weiterem Streit um das Justizministerium

Mit Anna Sporrer fand sich am Ende auch eine Kompromisskandidatin für das Justizministerium. Von Babler forcierte Kandidatenvorschläge hatten zuvor massiven Gegenwind in der ÖVP, teilweise aber auch in seiner eigenen Partei hervorgerufen. Sporrer ist Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichtshofs und war unter anderem Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt.

Weitere Ministerinnen, die von der Sozialdemokratie bei ihrer erstmaligen Rückkehr in die Bundesregierung seit 2017 gestellt werden, sind Eva-Maria Holzleitner und Korinna Schumann. Die aus Oberösterreich stammende Holzleitner ist Vorsitzende der SPÖ-Frauenorganisation und wird das Ministerium für Frauen und Wissenschaft übernehmen. Schumann wechselt vom Bundesrat in das Großressort für Arbeit, Soziales und Gesundheit. Sie hat im ÖGB Karriere gemacht, seit zehn Jahren sitzt sie im Vorstand der Gewerkschaft.

Parteichef Andreas Babler hat als Vizekanzler die Agenden Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport an sich gezogen. Er wird künftig auch Minister für diese Ressorts sein. Zur Seite wird ihm Staatssekretärin Michaela Schmidt stehen. Sie hatte die Abteilung Wirtschaft in der Salzburger Arbeiterkammer geleitet.

Als Staatssekretär im Innenministerium wird der Steirer Jörg Leichtfried für Staatsschutzagenden zuständig sein. Er war zwölf Jahre im EU-Parlament und zuletzt auch stellvertretender Klubchef. Im Sozialministerium wird die Niederösterreicherin Ulrike Königsberger-Ludwig als Staatssekretärin schwerpunktmäßig für Gesundheitsfragen zuständig sein.

Liberale künftig für Außenpolitik und Bildung zuständig

Die NEOS werden mit Beate Meinl-Reisinger eine diplomatisch bislang wenig erfahrene Politikerin zur Ministerin für Äußere Angelegenheiten machen. Sie hatte bislang unter anderem in Brüssel über ein Traineeprogramm den Einstieg in die Dienste der EU-Kommission geschafft. Als Assistentin war sie auch für den ÖVP-MdEP Othmar Karas tätig. Später wechselte sie zu den Liberalen.

Das Bildungsministerium wird künftig der bisherige Wiener Integrations- und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr leiten. Der gebürtige Salzburger hat zuletzt durch die Forderung nach Sanktionen für „integrationsunwillige Eltern“ Medienaufmerksamkeit erlangt.

Der Salzburger Gastronom Josef Schellhorn, der sich über mehrere Jahre aus der Politik zurückgezogen hatte, wird als Berichterstatter für Deregulierung tätig sein. Er will auf diese Weise für weniger Zwang und einen Rückbau der „Helikopterregierung“ sorgen. Das am Donnerstag vorgestellte Regierungsprogramm lässt in vielen Bereichen jedoch eher mehr als weniger Involvierung in die Lebensgestaltung von Menschen erwarten.

Notfallklausel der EU: Österreich setzt um, was Merz für Deutschland begehrt

Eine erste weitreichende Entscheidung verkündete Innenminister Karner unterdessen schon heute. Was CDU-Chef Friedrich Merz bislang vergeblich in Deutschland fordert, wird Österreich nun veranlassen. Das Land wird die EU-Notfallklausel nach Art. 72 AEUV aktivieren. Dies soll es der Regierung in Wien ermöglichen, nationale Sicherheitsinteressen über das EU-Asylrecht zu stellen.

Wie der „Exxpress“ berichtet, sollen Asylanträge demnach nur noch in Ausnahmefällen möglich sein. Abgelehnte Asylbewerber sollen in Zukunft in Rückkehrverfahrenszentren mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit untergebracht werden, um Abschiebungen zu erleichtern. Wer keine eindeutigen Identitätsnachweise vorlegt, soll künftig gar kein Asyl mehr beantragen können. Ob der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Anwendung der Notfallklausel in diesem Kontext akzeptieren wird, ist ungewiss.

 



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