Neue Machtverhältnisse in Syrien: Wie es nach Assads Sturz weitergeht

Zwei Tage nach der Einnahme von Damaskus durch islamistische Rebellen wurde Mohammed al-Baschir zum neuen Übergangspremier Syriens ernannt. Bei der Einnahme alawitisch bewohnter Städte gab es weder Plünderungen noch Übergriffe. Pläne kursieren für eine Aufteilung Syriens, die dem pluralen Charakter des Landes gerecht werden.
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Menschen feiern am 9. Dezember 2024 den Sturz von Assad.Foto: Bakr Alaksem/AFP via Getty Images
Von 10. Dezember 2024

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Zwei Tage nach der Einnahme der Hauptstadt Damaskus haben die islamistischen Rebellen HTS in Syrien mit Mohammed al-Baschir einen neuen Übergangspremier ernannt. Er tritt an die Stelle des letzten Premiers der Regierung des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad, Muhammad al-Dschalali. Dieser hatte nach einem Gespräch mit al-Baschir und HTS-Kommandant Ahmed al-Sharaa seinem Rücktritt zugestimmt.

Wie die in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheinende Zeitung „The National“ berichtet, wurde al-Baschir von der militärischen Führung der Rebellen mit der Regierungsbildung beauftragt. Der 1983 in der Provinz Idlib geborene al-Baschir hatte bereits die dortige De-facto-Regierung angeführt. Die Provinz, deren Sicherheit gemäß den Vereinbarungen des Astana-Formats durch die Türkei zu gewährleisten war, wurde zum Rückzugsort für die bewaffnete Opposition.

Mohammed al-Baschir: Vom Ingenieur zum Übergangspremier

Wie zwei Führungspersonen der Opposition gegenüber dem Blatt erklärten, soll al-Baschir Ministerien neu besetzen und – sobald die Voraussetzungen dafür gegeben seien – Wahlen vorbereiten. Der neue Regierungschef hatte einen Abschluss als Elektroingenieur an der Universität Damaskus erworben. Zudem hat er einen Abschluss als Scharia-Rechtsgelehrter an der Universität Idlib erworben.

Die Regierungsgeschäfte in der „Syrischen Heilsregierung“ (SSG) in Idlib hatte er zuvor für etwa ein Jahr geführt. Zuvor diente er als Minister für Entwicklung und humanitäre Angelegenheiten unter seinem Vorgänger Ali Keda. Er beherrscht die englische Sprache fließend und hat auch Zertifikate in Projektmanagement und in der administrativen Planung erworben. In Idlib hatte er sich vor allem um die technische Modernisierung der Verwaltung und die Anwerbung von Investitionen gekümmert.

Vor Beginn seiner politischen Karriere war er Abteilungsleiter für Präzisionsinstrumente in einem Gaskraftwerk der staatlichen syrischen Erdgasgesellschaft. In den vergangenen Monaten hatte al-Bashir häufig Pressekonferenzen zur Lage der SSG gegeben. Über seine Ziele und nächsten Schritte als syrischer Übergangspremier hat er sich bisher nicht geäußert.

Saudi-Arabien will Syrien beim Aufbau unterstützen

Unterdessen hat das Außenministerium des Königreichs Saudi-Arabien eine Erklärung veröffentlicht. In dieser hieß es, Riad bekräftige „seine Unterstützung für das brüderliche syrische Volk und seine Entscheidung“. Die saudische Regierung rief zu „konzertierten Anstrengungen auf“. Es gelte, „die Einheit Syriens und den Zusammenhalt seines Volkes zu bewahren, damit das Land nicht in Chaos und Spaltung versinkt“.

Wie „Arab News“ weiter berichtet, hat sich auch der stellvertretende US-Verteidigungsminister Daniel Shapiro auf der Sicherheitskonferenz Manama Dialogue in Bahrain zu Wort gemeldet. Dabei erklärte er, die USA würden ihre Präsenz im Osten Syriens aufrechterhalten. Man werde „die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um ein Wiederaufleben des IS zu verhindern“. Medienberichten zufolge sollen US-Streitkräfte in der Region etwa 75 Angriffe auf vermutete Stellungen der Terrormiliz geflogen haben.

Die türkische Zeitung „Sabah“ erklärt, dass die Entwicklung in Syrien die jahrelang betriebene Politik von Präsident Recep Tayyip Erdoğan bestätigt hat. Dieser habe zeitweilig allein und unter massiven Anfeindungen die Unterstützung der syrischen Opposition aufrechterhalten.

Türkischer Einfluss: Erfolg durch jahrelange Unterstützung der Opposition

In der Türkei sieht man deshalb auch den eigenen Einfluss auf den künftigen Weg in Syrien gestärkt. Die „Sabah“ äußerte ihre Zuversicht hinsichtlich einer friedlichen und konstruktiven weiteren Entwicklung. Das Blatt berichtete von vertrauensbildenden Maßnahmen bei der Einnahme alawitisch bewohnter Städte und Gemeinden durch Rebellen.

Diese hätten zwar frühere Regierungs- und Verwaltungsgebäude durchsucht. Es sei jedoch weder zu Plünderungen noch zu Übergriffen gekommen. Alawitische Bewohner hätten erklärt, ihre Loyalität gegenüber der Regierung Assad sei die Konsequenz aus der Gefahr von Massakern in der Zeit des syrischen Bürgerkrieges gewesen. Die neuen Machthaber strebten jedoch eine Regierung an, die dem pluralen Charakter des Landes gerecht werde. Das Sektierertum sei zu Ende. Die größten Brutalitäten seien, so „Sabah“, von den Shabiha-Milizen des Assad-Clans ausgegangen.

Von knapp 23 Millionen syrischen Staatsangehörigen stellen sunnitische Muslime mit 74 Prozent die Mehrheit. Etwa 12 Prozent gehören der schiitischen Gemeinschaft der Alawiten oder Nusairier an. Zu diesen gehörte auch die Familie Assad. Kleinere religiöse Minderheiten bilden Christen, Drusen, Aleviten, Jesiden und Schiiten. In Aleppo und Damaskus soll es auch noch eine Handvoll Angehöriger der jüdischen Gemeinschaft geben.

Früherer IDF-Pressesprecher hofft auf kurdische Rebellen in Syrien

Während man in der Türkei davon ausgeht, künftig die Schattenmacht in Syrien zu werden, das zu den Kerngebieten des früheren Osmanischen Reiches zählte, verstärkt man in Israel die Sicherheitsvorkehrungen. Regierungschef Benjamin Netanjahu hat das militärische Entflechtungsabkommen von 1974 mit Syrien für faktisch beendet erklärt und Soldaten in eine Pufferzone um den Golan verlegt.

In seinem Podcast schlägt der frühere israelische Armeesprecher Ayre Sharuz Shalicar eine faktische Aufteilung Syriens in drei Einflusszonen vor. Im Westen soll demnach eine Art „Alawi-Staat“ entstehen, dessen Nichtunterwanderung durch den Iran oder die Hisbollah sichergestellt werden müsse.

In der Mitte sollen sunnitische Kräfte abseits von al-Kaida das Ruder übernehmen, aber nicht die Türkei. Stattdessen solle vom Nordosten an entlang der Grenze ein kurdisches Staatswesen entstehen, das bis zur Grenze zu Israel reichen solle. Mit Ankara dürfte eine solche Lösung jedoch kaum zu erreichen sein. Shalicar rechnet jedoch nicht damit, dass auf das Ende der Assad-Diktatur ein freieres oder geordnetes System folgt.



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