Netanjahu wendet sich ans libanesische Volk: Hisbollah „missbraucht euch als menschliche Schutzschilde“

Im Süden Libanons und im Norden Israels gehen die Bombardements weiter. Israels Ministerpräsident wandte sich mit einer Botschaft direkt an das libanesische Volk: „Israels Krieg ist nicht mit euch, sondern mit der Hisbollah“, sagte er. „Die Hisbollah hat euch schon allzu lange als menschliche Schutzschilde missbraucht.“
Israels Regierungschef Netanjahu fordert bisher eine dauerhafte Kontrolle der Gaza-Grenze zu Ägypten. (Archivbild)
Israels Regierungschef Netanjahu. (Archivbild)Foto: Jose Luis Magana/AP/dpa
Epoch Times24. September 2024

Bei den israelischen Luftangriffen auf Ziele im Libanon sind am Montag den jüngsten libanesischen Angaben zufolge mindestens 492 Menschen getötet worden. 1.645 weitere Personen hätten Verletzungen erlitten, teilte das Gesundheitsministerium des Landes mit. Die Zahlen können nicht unabhängig überprüft werden.

Die Hisbollah, die im Libanon praktisch wie ein Staat im Staate agiert, reagierte ihrerseits mit heftigen Raketenangriffen auf israelisches Gebiet. Rund 250 Geschosse seien aus dem Libanon abgefeuert und teils von der Raketenabwehr abgefangen worden, teils in offenem Gelände eingeschlagen, teilte Israels Militär mit. Einige davon reichten nach Medienberichten deutlich tiefer in israelisches Gebiet hinein als je zuvor seit Beginn der Hisbollah-Angriffe.

Auch im Westjordanland gab es erstmals Einschläge – in ähnlicher Entfernung vom Libanon wie der Großraum Tel Aviv. Die Hisbollah zielte nach eigenen Angaben auch auf Anlagen der Rüstungsindustrie nahe der Hafenstadt Haifa und auf Militärstützpunkte.

Netanjahu wendet sich ans libanesische Volk

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wandte sich mit einer Botschaft direkt an das libanesische Volk: „Israels Krieg ist nicht mit euch, sondern mit der Hisbollah“, sagte er.

„Die Hisbollah hat euch schon allzu lange als menschliche Schutzschilde missbraucht.“ Um Israel gegen Hisbollah-Angriffe zu verteidigen, müssten die Waffen der Miliz unschädlich gemacht werden, sagte Netanjahu.

Dieses Bild, das im Norden Israels entlang der Grenze zum Südlibanon aufgenommen wurde, zeigt Rauchschwaden nach einem israelischen Bombenangriff im Libanon am 23. September 2024. Foto: Jalaa Marey/AFP via Getty Images

Die Hisbollah ist eine schiitisch-islamistische Organisation im Libanon, die sowohl als politische Partei als auch als bewaffnete Miliz agiert. Gegründet 1982 als antiisraelische Miliz kontrolliert sie weite Teile des Libanon – sowohl militärisch als auch politisch. Von vielen Ländern, darunter Deutschland, wird sie als Terrororganisation eingestuft. Ihr Ziel ist die Vernichtung des Staates Israel.

Im Süden des Libanons brach Panik unter den Menschen aus, viele flohen in Richtung Beirut oder andere Orte im Norden des Landes. Auf den Straßen kam es zu langen Staus, Schulen wurden in Notunterkünfte umgewandelt.

Am 23. September 2024 sind die Autobahn entlang der südlichen Einfahrt nach Beirut völlig verstopft. Foto Fadel Itani/AFP via Getty Images

Die israelische Regierung beschloss nach den Luftangriffen in Erwartung von Gegenschlägen einen landesweiten Ausnahmezustand. Dieser hat auch zur Folge, dass die Größe von Versammlungen eingeschränkt werden kann. In der Nacht wurde in vielen Ortschaften im Norden Israels erneut Raketenalarm ausgelöst.

Angriffe zielten auf Waffenlager der Hisbollah

Israel hatte zuvor angekündigt, „umfangreiche und präzise Angriffe“ auf Terrorziele der Hisbollah im Libanon durchführen zu wollen, die im gesamten Land verstreut seien und die Bevölkerung aufgefordert, die Gebiete zu verlassen.

Das israelische Militär griff nach eigenen Angaben am Montag rund 1.600 Ziele im Libanon an und führte die Attacken in der Nacht auf Dienstag fort. Man habe unter anderem Abschussrampen, Kommandoposten und terroristische Infrastruktur in zahlreichen Gebieten im Südlibanon getroffen, hieß es.

Die Angriffe unter dem Codenamen „Pfeile des Nordens“ zielten nach israelischer Darstellung auf Waffenlager der Hisbollah, die Israel seit Anfang Oktober 2023 mit rund 9.000 Raketen und Drohnen angegriffen habe. Einige dieser Lager hätten sich in privaten Wohnräumen von Zivilisten befunden.

UN-Resolution wird nicht durchgesetzt

Israel und die Hisbollah führten bereits 1982 und 2006 Krieg gegeneinander. Letztere ist heute deutlich stärker bewaffnet als während des Kriegs vor fast 20 Jahren. Sie handelt nach eigener Darstellung aus Solidarität mit der Hamas, die ebenfalls vom Iran unterstützt wird.

Israels Militär hat die Zahl seiner Angriffe im Gazastreifen zuletzt verringert und konzentriert sich zunehmend auf die Hisbollah. Damit will es erreichen, dass sich die Miliz wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht – so wie es die UN-Resolution 1701 vorsieht, die das Kriegsende 2006 markierte.

Der Resolution zufolge darf die Hisbollah entlang der Grenze nicht präsent sein. Dies wird aber weder von der UN-Beobachtermission noch von der libanesischen Armee durchgesetzt. Die UN-Beobachtermission Unifil setzt ihre Patrouillen im Grenzgebiet wegen der erhöhten Gefahr für ihr Personal vorübergehend aus.

Immer wieder werden aus dem Südlibanon abgefeuerte Raketen vom israelischen Luftverteidigungssystem Iron Dome im Norden Israels abgefangen. Foto: Jalta Marey/AFP via Getty Images

Israel will Zehntausende Raketen zerstört haben

Bei den Angriffen im Libanon wurden nach Angaben von Verteidigungsminister Joav Galant Zehntausende Raketen der Hisbollah zerstört. Vor Beginn ihrer Angriffe am 8. Oktober 2023 wurde das Waffenarsenal der Hisbollah auf 150.000 Raketen, Drohnen und Marschflugkörper geschätzt.

Generalstabschef Herzi Halevi erklärte, das Militär greife die von der Hisbollah in den vergangenen 20 Jahren für ihren Kampf gegen Israel aufgebaute Infrastruktur an. Seine Armee bereite schon „die nächsten Phasen“ des Kampfes vor, sagte er, ohne Details zu nennen.

Terroristen der mit der Hisbollah verbündeten Hamas und anderer extremistischer Gruppen hatten am 7. Oktober 2023 mehr als 1.200 Menschen in Israel getötet und etwa 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Das beispiellose Massaker löste den Gaza-Krieg aus, seither greift die Hisbollah den jüdischen Nachbarstaat fast täglich mit Raketen an.

Israel will die Hisbollah wieder aus dem Grenzgebiet verdrängen, um die Sicherheit seiner Bürger im Norden zu gewährleisten und Vertriebenen die Rückkehr zu ermöglichen.

Israels Armee griff nach eigenen Angaben auch ein Ziel im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut an, wo am Freitag mit Ibrahim Akil ein hochrangiger Militärkommandeur der Miliz getötet worden war.

Ziel des neuen Angriffs war nach unbestätigten israelischen Medienberichten der Hisbollah-Kommandeur Ali Karaki, der für die südliche Front zuständig war und Akil ablösen sollte. Die Hisbollah teilte nach dem Angriff mit, Karaki sei wohlauf. Nach Angaben der israelischen Armee ist Karaki einer der wenigen noch lebenden Köpfe der Hisbollah-Führungsriege auf der „Abschussliste“ des Militärs.

EU-Außenbeauftragter: „Fast ein vollwertiger Krieg“

Die libanesische Regierung warf Israel angesichts der Angriffe „einen Vernichtungskrieg in jedem Sinne des Wortes“ vor. „Wir als Regierung arbeiten daran, diesen neuen Krieg Israels zu stoppen und einen Abstieg ins Unbekannte zu verhindern“, sagte der geschäftsführende Ministerpräsident Nadschib Mikati.

Frankreichs Regierung beantragte wegen der kriegerischen Eskalation eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats für diese Woche. Allerdings ist das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen selbst durch politische Konflikte nur noch eingeschränkt handlungsfähig.

Am Dienstag beginnt zudem die mehrtägige Generaldebatte der UN-Vollversammlung, der Nahost-Konflikt wird absehbar eine wichtige Rolle spielen. Netanjahu soll in der zweiten Wochenhälfte anreisen und dürfte eine kämpferische Rede halten – schließlich sind viele UN-Mitglieder Israel gegenüber kritisch oder sogar feindlich eingestellt.

International sorgte die weitere Zuspitzung des Konflikts für Sorge. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, dass man sich „fast in einem vollwertigen Krieg“ befinde. UN-Generalsekretär António Guterres äußerte die Befürchtung, dass der Libanon „zu einem weiteren Gaza“ werden könnte. (afp/dts/red)



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