Nato-General erwartet keinen russischen Angriff auf Mitgliedstaaten
Der deutsche Nato-General Jörg Vollmer sieht die Nato-Mitgliedstaaten derzeit nicht von einem russischen Angriff bedroht. Russlands Präsident Wladimir Putin habe „zurzeit die Kräfte gar nicht“. Putin mobilisiere fast alle seine Truppen, um in der Ukraine nicht zu scheitern. „Deshalb hat er nach meiner Bewertung derzeit überhaupt nicht die Möglichkeit, in irgendeiner Form weiter nach Westen auszugreifen“, sagte Vollmer der „Welt am Sonntag“.
Der Vier-Sterne-General, derzeit Kommandeur im operativen Nato-Hauptquartier im niederländischen Brunssum, warnte die Nato-Mitgliedstaaten vor unbedachten Reaktionen bei einem möglichen Chemiewaffeneinsatz durch Putin. „Man sollte sehr sorgfältig bedenken, rote Linien zu ziehen. Das ist eine Ultima Ratio“, so Vollmer. „Denn dazu gehört die Bereitschaft, beim Überschreiten dieser Linie auch entsprechend zu reagieren – mit allen möglichen Konsequenzen.“
Putin nicht unterschätzen
Trotz des schleppenden Verlaufs des russischen Angriffs warnte Vollmer davor, Putin zu unterschätzen: „Dass Putin den Angriff schlecht vorbereitet hat und deshalb langsamer als geplant vorankommt, sollte nicht zu Unterschätzung verleiten. Die russischen Kräfte haben weiterhin große Fähigkeiten.“
Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass es vor einem möglichen Waffenstillstand zu großen Zerstörungen kommen werde. „Putin ist dazu übergegangen, die Städte mit brutalster Gewalt zu zerstören und Zivilisten zu töten. Das hat ja nichts mehr mit Kollateralschäden zu tun, es handelt sich um das gezielte Bombardieren von zivilen Einrichtungen, von Krankenhäusern über Schulen bis hin zu Wohngebäuden“, sagte Vollmer.
Putin folge dem Muster aus Tschetschenien und Syrien, aus Grosny und Aleppo: „Es handelt sich um einen Stellungskrieg, indem er systematisch einfach nur zerstört, ohne dass er damit militärische Ziele in irgendeiner Form umsetzen kann.“
„Zusammenhalt der Allianz ist intakt“
Die Nato sieht der General zur Verteidigung des eigenen Bündnisgebiets robust aufgestellt: „Insgesamt ist die Einsatzbereitschaft der Nato beeindruckend hoch. Wir haben nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bewiesen, dass der innere Zusammenhalt der Allianz intakt ist, mit Truppen hinterlegt wurde – und auch mit dem Willen, sie im Ernstfall einzusetzen.“
Vollmer verwies darauf, dass die Allianz die Battlegroups im Baltikum und in Polen auf jeweils etwa 1.200 Soldaten aufgestockt und neue Battlegroups in Rumänien, Bulgarien, der Slowakei und Ungarn aufgestellt habe. 130 Luftfahrzeuge und 200 Schiffe seien im Einsatz, „und unsere amerikanischen Partner haben weitere Truppenteile nach Europa verlegt“, so der deutsche Vier-Sterne-General.
Sein US-Kollege Tod Wolters, oberster Befehlshaber der Allianz in Europa, habe nun 40.000 Soldaten unter seinem Kommando, zusätzlich zu den nationalen Kräften in den Staaten an der Ostflanke. „Hinzu kommt die Nato Response Force in gleicher Größenordnung, die als strategische Reserve in kürzester Zeit bereitsteht“, so Vollmer.
Nato-Mitglieder nicht adäquat ausgestattet
Gleichzeitig aber wies Vollmer auf die weiter bestehenden Ausrüstungsmängel insbesondere der europäischen Nato-Mitglieder hin. „Wir alle wissen, dass wir längst nicht adäquat ausgestattet sind. Vor allem wir in Europa müssen wieder in der Lage sein, einen größeren Teil der Lasten zur Verteidigung unseres Kontinents zu tragen. Wir werden immer unsere amerikanischen Verbündeten brauchen. Aber derzeit sind wir sind zu stark darauf angewiesen, dass wir die Verstärkung bekommen aus den USA“, sagte der General.
Es gehe darum, die Streitkräfte wieder so ausstatten, „dass wir einsatzbereite Großverbände aufstellen können, die komplett mit allem Gerät ausgerüstet sind, vom Panzer über den Tanklastwagen, die Aufklärungsdrohnen bis zur Sanität. Wir brauchen Brigaden und Divisionen, die das Gefecht der verbundenen Waffen führen können. Das können wir in dieser Größenordnung nicht mehr. Aber darum geht es.“
Von Deutschland werde erwartet, in absehbarer Zeit eine einsatzbereite Heeresdivision zu stellen. Die Bündnispartner hätten das von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte 100-Milliarden-Euro-Paket als „ein starkes Signal“ und „Zeichen der Verlässlichkeit in ernsten Zeiten“ aufgenommen. Jetzt komme es allerdings darauf an, „diese Mittel so umzusetzen, dass wir die in der Nato notwendigen Fähigkeiten auch einbringen können.“ (dts/red)
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