NATO beunruhigt über Spannungen zwischen Türkei und Griechenland

Die Konflikte zwischen den NATO-Staaten Türkei und Griechenland spitzen sich zu. Beobachter blicken besorgt auf Ägais-Inseln vor der türkischen Küste.
NATO beunruhigt über Spannungen zwischen Türkei und Griechenland
Ein Offizier der Küstenwache auf dem Dock vor einer Fähre zur Ägäisinsel Milos.Foto: Thanassis Stavrakis/AP/dpa/dpa
Von 27. September 2022

Die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland, die im Laufe der vergangenen Wochen zugenommen haben, wecken Besorgnis in den übrigen NATO-Mitgliedstaaten. Mancherorts werden sogar mögliche Szenarien beschworen wie in den 1970er-Jahren, als zwischen beiden Ländern Krieg drohte. Um eine mögliche Angliederung Zyperns an Griechenland und eine drohende ethnische Säuberung gegen türkische Inselbewohner zu verhindern, besetzte die türkische Armee 1974 den Norden der Insel.

Sorge um die Einheit der NATO

Die Konflikte zwischen beiden Ländern nahmen seit dieser Zeit nicht mehr ein Ausmaß wie in jenen Tagen an. „Voice of America“ befürchtet dennoch einen möglichen Schaden für die Einheit der NATO. Dieser würde in Anbetracht des Krieges in der Ukraine zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt kommen.

Anlässe für Eskalationen zwischen den beiden Nachbarländern gab es in jüngster Zeit mehrfach. Auf Kreta stationierte griechische S-300-Raketenabwehrsysteme sollen am 23. August während einer NATO-Mission über dem östlichen Mittelmeer türkische Kampfflugzeuge ins Visier genommen haben. Dies berichtete die türkische Nachrichtenagentur „Anadolu“.

Beide Länder beschuldigen einander auch gegenseitig der Verletzung des jeweiligen Luftraums. Griechische Stellen werfen der türkischen Luftwaffe vor, allein am 15. September 110 Mal griechisches Hoheitsgebiet überflogen zu haben. „Anadolu“ hingegen spricht von 1.616 Fällen von Verletzung türkischen Luftraums und türkischer Hoheitsgewässer im Jahr 2021. In den ersten acht Monaten des laufenden Jahres seien es bereits 1.123 Fälle gewesen.

Athen spricht von unverhohlener Drohung Ankaras

Griechenland wiederum fühlt sich durch eine Äußerung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Rahmen der Technologie- und Flugschau „Teknofest“ in Istanbul bedroht. Erdoğan hatte Athen gewarnt, es werde „einen hohen Preis zahlen“, sollte Griechenland noch weitere Linien überschreiten.

Erdoğan verwies in diesem Zusammenhang auf die Befreiung des von griechischen Truppen besetzten Izmir im türkischen Unabhängigkeitskrieg von 1922 und fügte hinzu: „Die Türkei könnte eines Nachts ganz plötzlich kommen.“

Im Vorfeld der Äußerung hatte das Kommando der Landstreitkräfte der NATO (LANDCOM) nach griechischen Protesten einen Tweet gelöscht, in dem der Türkei zum Tag des Sieges im Unabhängigkeitskrieg am 30. August gratuliert worden war.

In Athen interpretierte man die Äußerung als unverhohlene Interventionsdrohung mit Blick auf die sogenannten Dodekanes-Inseln vor der türkischen Küste.

Türkei sieht Verstoß gegen Souveränitätsbedingungen

Diese Inselgruppe, zu der unter anderem auch die beliebten Touristenziele Rhodos und Kos gehören, stand von 1923 bis 1947 unter italienischer Kontrolle. In weiterer Folge wurden die Inseln infolge des Vertrags von Paris an Griechenland abgetreten. Dies geschah unter der Prämisse, dass Griechenland sie nicht militärisch nutzen dürfe. Bereits 1923 hatte die Türkei im Vertrag von Lausanne die Hoheit Athens über Lesbos, Chios, Samos und Ikaria anerkannt.

Griechenland, so der Vorwurf aus Ankara, würde sich jedoch nicht an das Militarisierungsverbot halten, sondern hätte Militär in Teilen des Gebiets stationiert. Halte sich Athen nicht an die Abmachung, so äußerte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, stehe auch die Souveränität über die Inseln infrage.

Beide Länder richteten in weiterer Folge Beschwerden an die NATO, die EU und die Vereinten Nationen. Das U.S. State Department forderte daraufhin beide Verbündete dazu auf, ihre Differenzen diplomatisch zu regeln.

Flüchtlinge als weiteres Streitthema zwischen Türkei und Griechenland

Die Zwischenfälle entlang der Grenze zwischen beiden Ländern stellen nicht das einzige Konfliktpotenzial zwischen Ankara und Athen dar. Die Türkei wirft Griechenland vor, gegen den Vertrag von Lausanne zu verstoßen, indem es die Rechte der türkischen Minderheit in Westthrakien verletze. Athen würde willkürlich türkische Schulen in dem Gebiet schließen oder sich in Angelegenheiten der muslimischen Gemeinden einmischen.

Griechenland wiederum beschuldigt die Türkei, die vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak, die in dem Land untergekommen sind, als politisches Faustpfand zu nutzen. In den ersten Monaten des Jahres 2020 war es zu Grenzzwischenfällen gekommen. Größere Gruppen von Asylsuchenden hatten sich entlang der griechischen Grenze versammelt und versucht, auf illegalem Wege in die EU zu gelangen.

Athen hatte damals die türkische Regierung beschuldigt, die Flüchtlinge selbst an die Grenzen geschafft oder zu ihren Durchbruchsversuchen ermuntert zu haben. Die Türkei wirft Griechenland ihrerseits vor, die Rechte von Flüchtlingen systematisch zu verletzen. Unter anderem würde Athen diese durch illegale Pushbacks in den Grenzgewässern in Lebensgefahr bringen.

Nur Wahlkampfgetöse mit Blick auf 2023?

Immer noch nicht gelöst ist außerdem der Zypernkonflikt. Der türkische Teil der Insel, auf dem sich die „Türkische Republik Nordzypern“ gegründet hatte, zeigt immer weniger Interesse an einer Wiedervereinigung der geteilten Insel. Stattdessen spricht man im Einklang mit Ankara von einer „Zwei-Staaten-Lösung“ anstelle der von den Zyperngriechen angestrebten „Föderation“.

Die unversöhnlichen Positionen im Inselstreit haben auch Auswirkungen auf die Energiewirtschaft. Die Exploration von Öl im östlichen Mittelmeer stellt ein weiteres erhebliches Eskalationspotenzial dar. Griechisch-Zypern strebt zusammen mit Griechenland und Israel die Errichtung einer Eastmed-Pipeline an. Die Türkei und die Regierung in Nordzypern fordern hingegen einen Anteil an den Vorkommen im östlichen Mittelmeer.

Verschärft werden die aktuellen Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland zudem durch die Wahlen, die in beiden Ländern 2023 stattfinden. Das Osteuropa- und Kaukasus-Portal „JAM News“ weist auf aktuelle Meinungsumfragen hin. Diese sehen sowohl Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis als auch den türkischen Präsidenten Erdoğan hinter wahrscheinlichen Kandidaten der Opposition. Die „nationale Karte“ könnte demnach zum möglichen Joker in der Hand der Regierenden werden, die ihre Wahlkämpfe gegen wirtschaftliche Krisen bestreiten müssen.

Beobachter rechnen mit einer möglichen Entspannung in den bilateralen Beziehungen, sollten die Rechtsregierungen in beiden Ländern im nächsten Jahr abgelöst werden.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 63, vom 24. September 2022.



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