Nach vier Tagen und Nächten: EU-Gipfel verabschiedet 1,8 Billionen Euro schweres Finanzpaket
Nach vier Tagen und vier Nächten haben sich die EU-Staats- und -Regierungschefs auf den Corona-Hilfsfonds und den nächsten siebenjährigen Finanzrahmen der Union geeinigt. „Deal!“, schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel am frühen Dienstagmorgen im Internetdienst Twitter. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einem „historischen Tag für Europa“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Einigung beim EU-Finanzgipfel als „wichtiges Signal“. Sie sei „sehr erleichtert“, dass Europa nach schwierigen Verhandlungen gezeigt habe, dass es „doch gemeinsam handeln kann“, sagte die Kanzlerin am frühen Dienstagmorgen in Brüssel.
Es sei aber auch klar, dass es nun mit dem Europaparlament nochmals „sehr schwierige Diskussionen“ geben werde. Das Parlament muss dem Kompromiss noch zustimmen.
Seit Freitag hatten die Staats- und Regierungschefs über den Aufbauplan gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise verhandelt. Er ist insgesamt 750 Milliarden Euro schwer.
Der Anteil der Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen, wurde auf Druck einer Gruppe von Ländern um die Niederlande und Österreich von 500 auf 390 Milliarden Euro gesenkt. Weitere 360 Milliarden Euro stehen als Kredite zur Verfügung.
Verabschiedet wurde auch der nächste EU-Finanzrahmen für die Zeit von 2021 bis 2027, aus dem etwa Programme für Bauern, Regionen, Unternehmen oder Forscher finanziert werden. Er hat ein Volumen von 1074,3 Milliarden Euro.
Mehr Geld für Deutschland
Deutschland konnte sich insgesamt 1,3 Milliarde Euro zusätzlicher Gelder sichern. Wie aus dem Abschlussdokument des Treffens hervorgeht, soll Deutschland aus dem nächsten Sieben-Jahres-Finanzrahmen zusätzlich 650 Millionen Euro für ostdeutsche Regionen erhalten, um „Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern“. Weitere 650 Millionen Euro sind für die ländliche Entwicklung vorgesehen.
Merkel sagte nach dem Gipfel, sie sei „sehr froh (…), dass wir für die neuen Bundesländer noch einiges tun konnten“. Die zusätzlichen Gelder waren erstmals in einem Kompromissvorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel vom Montagabend vorgesehen gewesen. Da waren es aber jeweils noch 500 Millionen Euro. In den Schlussverhandlungen in der Nacht wurden die Beträge um jeweils nochmals 150 Millionen Euro erhöht.
Formel für Rechtsstaatlichkeit vereinbart
Einig wurden sich die Staats- und Regierungschefs auch in der hoch umstrittenen Frage, ob EU-Gelder künftig bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gekürzt werden können. Dazu ist ein Beschluss im Rat der Mitgliedstaaten mit sogenannter qualifizierter Mehrheit nötig. Die konkreten Auswirkungen der Änderungen waren zunächst unklar.
Ungarn und Polen stehen wegen der Untergrabung von Werten wie der Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz seit Jahren in der EU in der Kritik. EU-Ratspräsident Charles Michel hatte aber schon im Februar einen Vorschlag der EU-Kommission abgeschwächt, Kürzungen von EU-Geldern zu ermöglichen.
Nach Michels Plan müsste solchen Kürzungen der EU-Rat der Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. Nötig wären dazu 55 Prozent der EU-Länder mit 65 Prozent der Gesamtbevölkerung, was als schwer zu erreichen gilt.
Dies blieb nun auch nach einem Treffen beim EU-Gipfel auf Einladung Deutschlands so. An dem Treffen nahmen neben Polen und Ungarn auch Länder wie Luxemburg und Lettland teil, die stark auf die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit in der EU pochen. Allerdings wurden weite Teile des Michel-Vorschlags neu gefasst. Was dies im Detail bedeutet, war zunächst nicht zu erfahren.
Ungarn feiert großen Sieg
In regierungsnahen ungarischen Medien wurde am Montagabend aber bereits von einem „großen Sieg“ von Ministerpräsident Viktor Orban gesprochen. Orban habe in den EU-Haushaltsverhandlungen nicht nur „drei Milliarden Euro mehr“ bekommen, berichtete die Website Origo.hu.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe ihm auch die Zusage gegeben, dass das gegen Ungarn laufende EU-Strafverfahren während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bis Jahresende eingestellt werde.
Von deutscher Seite gab es dazu zunächst keine Reaktion. Aus EU-Kreisen hieß es, Orban habe in der Gipfel-Runde verlangt, die „Erniedrigung“ des sogenannten Artikel-7-Verfahrens zu beenden, das bis zum Entzug von Stimmrechten auf europäischer Ebene führen kann.
Merkel habe darauf lediglich geantwortet, es sei gut, „mit den Artikel-7-Verfahren weiterzukommen“. Mehr habe die Kanzlerin nicht gesagt.
Wegen des Streits um die Rechtsstaatlichkeit hatte Orban vor dem EU-Gipfel gedroht, das gesamte dort verhandelte Finanzpaket von 1,8 Billionen Euro aus dem Corona-Hilfsfonds und dem nächsten Sieben-Jahres-Haushalt per Veto zu verhindern. Er verlangte zudem für eine Zustimmung die Einstellung des Artikel-7-Verfahrens.
Die EU-Kommission hatte das bis dahin beispiellose Verfahren im Dezember 2017 zunächst gegen Polen gestartet. Das Europaparlament löste dann September 2018 ein solches Verfahren auch gegen Ungarn aus.
Doch die Hürden für Sanktionen sind hoch. Und ein Stimmrechtsentzug gilt in Brüssel als „Atombombe“ im Verhältnis zu Mitgliedstaaten: Die Drohung damit kann demnach zwar der Abschreckung dienen, sollte aber besser nie umgesetzt werden. Die EU-Regierungen unternahmen deshalb keine weiteren Schritte. (afp/dpa/dts/nh)
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