Orbans Reise zu Putin: Von der Leyen ordnet Boykott an
Die EU-Kommission hat als Reaktion auf die Moskau-Reise von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán einen Boykott der informellen Treffen unter ungarischem Ratsvorsitz angekündigt.
Angesichts „der jüngsten Entwicklungen“ habe Kommissionschefin Ursula von der Leyen entschieden, dass die Kommissare nicht zu den Treffen nach Ungarn reisen, sagte ihr Sprecher Eric Mamer am Montag. Ungarische Politiker kritisierten die Entscheidung.
Zudem verzichtet die EU-Kommission auf den traditionellen Antrittsbesuch bei der ungarischen Präsidentschaft, wie ein Sprecher mitteilte. Aus Budapest gab es zunächst eine entrüstete Reaktion vom Minister für Angelegenheiten der Europäischen Union, Janos Boka.
Von der Leyen will für zweite Amtszeit gewählt werden
Die EU-Kommission werde bei den informellen Treffen, die bis Ende des Jahres in Ungarn geplant sind, nur auf hoher Beamtenebene vertreten sein, erklärte Mamer. Auch die aus terminlichen Gründen bereits einmal verschobene und nun für September angesetzte Sitzung des Kommissionskollegiums in Ungarn werde nicht stattfinden, erklärte er.
Ein für August in Budapest geplantes Treffen der EU-Außenminister könnte ebenfalls boykottiert werden. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell könnte die Minister von einer Reise nach Ungarn abhalten, indem er zur gleichen Zeit ein anderes Treffen in Brüssel einberuft, erklärten mehrere Diplomaten in Brüssel.
Die Entscheidung der EU-Kommission erfolgt wenige Tage vor der Abstimmung über eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament.
Europäische Parteienfamilien wie die Sozialdemokraten, Grüne und Liberale hatten sie in der Vergangenheit mehrfach aufgefordert, einen härteren Kurs gegenüber Ungarn einzuschlagen. Auf die Stimmen aus diesem Lager ist von der Leyen bei der Wahl am Donnerstag angewiesen.
Der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund sagte: „Orbáns Vorgehen ist nicht nur ein deutlicher Verstoß gegen die EU-Verträge, sondern es schwächt die EU in einer Zeit enormer außenpolitischer Instabilität.“ Von der Leyen mache es richtig. „Das Parlament sollte diesem Beispiel jetzt folgen. Das heißt: Keine Einladung für Viktor Orbán ins Europaparlament.“
Ungarn kritisiert den Boykott
Ungarns Minister für europäische Angelegenheiten, Janos Boka, kritisierte den Boykott. Die Kommission könne sich nicht aussuchen, mit welchen EU-Mitgliedstaaten sie zusammenarbeiten wolle, erklärte er im Onlinedienst X.
Werden von nun an alle Entscheidungen der Kommission politisch motiviert sein?“
Die Europaabgeordnete Kinga Gal von Orbáns Regierungspartei Fidesz warf von der Leyen vor, das Thema zu nutzen, um sich Stimmen für eine zweite Amtszeit zu sichern. „Dies ist inakzeptabel und widerspricht dem Wesen der europäischen Zusammenarbeit“, kritisierte sie.
Orbán hatte die EU-Partner direkt zu Beginn des ungarischen Ratsvorsitzes ab dem 1. Juli mit einer „Friedensmission“ im Ukraine-Krieg massiv verärgert. Orbán besuchte neben Russlands Präsident Wladimir Putin und Ex-US-Präsident Donald Trump auch den chinesischen Staatschef Xi Jinping. Die Europäische Kommission machte klar, dass Orbán nicht im Namen der Staatengemeinschaft unterwegs sei.
Auch aus dem Auswärtigen Amt kam Kritik. „Das sind ungarische Alleingänge, die wir mit großer Verwunderung und Skepsis zur Kenntnis nehmen“, sagte ein Sprecher in der Bundespressekonferenz in Berlin am 12. Juli. Zu möglichen Konsequenzen sagte der Sprecher, man müsse sehen, wie die ungarische Ratspräsidentschaft weiter laufe. „Sie hat schon großen Flurschaden hinterlassen.“
Özdemir und Lindner erwägen Absagen
Auch deutsche Minister hatten zuvor bereits einen Boykott von Ungarn-Reisen in Erwägung gezogen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte am Montag in Brüssel, er schaue sich „sehr genau an“, ob er zu einem EU-Treffen nach Ungarn fahre.
Er machte seine Teilnahme an einem informellen EU-Agrarministertreffen vom 8. bis 10. September davon abhängig, „wie die künftige Ratspräsidentschaft Ungarns läuft“. Nach seinen Worten haben die „seltsamen Reiseziele“ Orbáns „Zweifel“ bei den Partnern geweckt.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erwog ebenfalls eine Absage. Lindner sagte am Rande eines EU-Finanzministertreffens in Brüssel, er werde womöglich nicht nach Ungarn fahren, wo am 13. und 14. September ein informeller Finanzministerrat angesetzt ist. Dies falle „genau in die Haushaltswoche“ in Berlin, in der er im Bundestag sprechen werde, betonte Lindner.
Manche Länder zogen bereits Konsequenzen
Litauen und Schweden kündigten als Reaktion auf die Alleingänge Orbans zu Beginn der EU-Ratspräsidentschaft bereits an, vorübergehend keine Minister zu Treffen nach Ungarn schicken. Das ungarische Vorgehen sei schädlich und müsse Konsequenzen nach sich ziehen, erklärte Schwedens derzeitige EU-Ministerin und designierte EU-Kommissarin Jessika Roswall.
Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen wollen Roswalls Angaben zufolge ähnlich auf das ungarische Vorgehen reagieren.
Ungarn hat seit Anfang des Monats für ein halbes Jahr turnusmäßig die EU-Ratspräsidentschaft inne. Das Land bereitet in dieser Rolle unter anderem Treffen der Fachminister vor. Bei diesen informellen Treffen kommen in der Regel die jeweiligen Ressortchefs aus den 27 EU-Ländern zusammen. Auch der fachlich zuständige EU-Kommissar nimmt für gewöhnlich an dem Treffen teil. (afp/dpa/red)
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