Nach Korruptionsaffäre: Freundschaftsgruppen im EU-Parlament auf dem Prüfstand
Korruption, Geldwäsche und versuchte Einflussnahme des Golfstaates Katar – die Ermittlungen erschüttern das Europaparlament. Immer mehr kommen jetzt die Strukturen zutage, die in der EU den Nährboden für solche Möglichkeiten bereiten.
Dubiose Machtzirkel, sogenannte „Freundschaftsgruppen“, sollen jetzt – jeder Kontrolle entzogen – in der EU ein bedenkliches Eigenleben entwickelt haben.
In der EU und bei den obersten Amtsträgern des EU-Parlaments reiht sich ein Korruptionsskandal an den nächsten. Nach dem Von-der Leyen-SMS-Desaster um Milliarden-Pharma-Deals (Epoch Times berichtete) kommen jetzt weitere Affären ans Licht – Korruption und Einflussnahme in der EU durch den Golfstaat Katar.
All das wird offenbar durch die Strukturen der EU begünstigt. Jetzt wird der Ruf nach mehr Kontrolle laut, gerade auch bei den sogenannten Freundschaftsgruppen, Interessensvereinigungen, die „oft zur außerparlamentarischen Kontaktaufnahme genutzt worden seien“, um Einfluss zu nehmen und dabei das Parlament zu umgehen.
Seit Monaten Ermittlungen
Die belgische Justiz ermittelte seit Monaten wegen mutmaßlicher Korruption, Geldwäsche und Einflussnahme aus dem Ausland im Umfeld des Europaparlaments. Im Raum steht, dass das Golf-Emirat Katar, das gerade die Fußball-Weltmeisterschaft ausrichtete, mit Geld- und Sachgeschenken versucht hat, politische Entscheidungen zu beeinflussen.
Aktuell gab es sechs Festnahmen, darunter die mittlerweile abgesetzte EU-Vizeparlamentspräsidentin Eva Kaili und ihr Lebensgefährte, der als Assistent eines Abgeordneten im EU-Parlament arbeitet.
Weitere Hauptdarsteller dieser Korruptionsaffäre: der Italiener Pier Antoni Panzeri und die von ihm in Brüssel gegründete Nichtregierungsorganisation (NGO) „Fight Impunity“ sowie 150.000 Euro in bar in der Wohnung der Abgeordneten Kaili als auch 750.000 Euro in bar bei ihrem Vater in dessen Brüsseler Wohnung. Weitere Zutat: diverse Unschulds- und Unwissenheitsbekundungen der ehemaligen EU-Abgeordneten aus der Haft heraus.
Organisation zur Einmischung in europäische Angelegenheiten
Jetzt soll der Lebensgefährte der griechischen Ex-Vizepräsidentin ein Geständnis abgelegt haben. Francesco Giorgi hat zugegeben, Teil einer Organisation gewesen zu sein, die von „Katar und Marokko benutzt worden sei“, um sich in europäische Angelegenheiten einzumischen.
Die 45 offiziellen Delegationen des Europäischen Parlaments, die mit Drittländern Kontakt halten, kommen als solche „Organisationen“ eher nicht infrage, denn sie können überwacht werden. Die Parlamentarier müssen Rechenschaft über ihre Aktivitäten ablegen.
Vielmehr richten die Ermittler ihren Fokus jetzt auf die sogenannten Freundschaftsgruppen: Was bei den dort stattfindenden Treffen mit Abgesandten von Drittstaaten wirklich passiert, im Zweifelsfall gedealt und eingetütet wird, lässt sich kaum nachvollziehen, erst recht nicht offiziell. Aber nicht nur, was da genau besprochen und vorangetrieben wird, ist undurchsichtig, man weiß nicht einmal, wie viele Freundschaftsgruppen im Europäischen Parlament genau existieren.
Ganz ohne Report und Rechenschaft
Europa-Abgeordnete können sich in Interessenvereinigungen, sogenannten Freundschaftsgruppen, zusammenschließen und Kontakte zu Drittstaaten pflegen, ohne wirklich Rechenschaft für ihre dortigen Aktivitäten ablegen zu müssen. Theoretisch müssen Parlamentarier eine Erklärung abgeben, wenn sie von Unternehmen oder Regierungen eingeladen werden.
Aber wo kein Kläger, da kein Richter: In der Vergangenheit wurde das kaum überprüft. Und was genau bei Treffen oder Reisen passierte, erst recht nicht. Angesichts dieser neuesten Korruptionsaffäre in Brüssel stimmten am Donnerstag die EU-Parlamentarier mit großer Mehrheit dafür, diese „Machtzirkel“ künftig besser zu überwachen.
Dafür soll ein Register der Gruppen und ihrer Mitglieder eingeführt werden. Irritierend ist hier zunächst einmal, dass es so etwas in der Vergangenheit nicht gab. Bisher führen nur wenige Freundschaftsgruppen ihre Mitglieder auf. Solche, die darüber Auskunft geben, sind somit zumindest formell transparent. Ausgerechnet die Freundschaftsgruppe für Katar pflegt so etwas wie Transparenz, wie die „Wirtschaftswoche“ schreibt. Deren Liste sei immerhin auf der Website der Botschaft von Katar in Belgien zu finden. Unter den Mitgliedern der Freundschaftsgruppe „Katar“ dominieren Männer aus Süd- und Südosteuropa.
In der aktuellen Legislaturperiode in der EU, die 2019 begonnen hat, sei man noch nicht nach Katar gereist, lässt der Vorsitzende Cristian-Silviu Busoi, ein rumänischer Christdemokrat, verlauten: Die Gruppe sei seit 2020 ohnehin inaktiv. Und natürlich sei es für das Scheichtum Katar interessant, Zugang zu einem der wichtigsten Ausschüsse im Europäischen Parlament zu haben. So weit, so abwiegelnd, so gut erst einmal.
Keine Überprüfung in der Praxis
Einblick in frühere Reisen von Freundschaftsgruppen geben lediglich die offiziellen Erklärungen von Europa-Abgeordneten. Diese müssen auch Geschenke, die mehr als 100 Euro wert sind, theoretisch bei der Parlamentspräsidentin Roberta Metsola abgeben, so die „WiWo“, und: „In der Praxis prüft das niemand nach“. Vor sieben Jahren hätte ein Europa-Abgeordneter laut „WiWo“ beim damaligen Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) über die Freundschaftsgruppen Beschwerde eingereicht.
Pikant: Es war ausgerechnet Panzeri, der heute im Mittelpunkt der Korruptionsaffäre um Kaili steht. Dieser monierte: „Die Freundschaftsgruppen wurden und werden von den jeweiligen Ländern benutzt, um einen formalen Kontakt mit dem Europäischen Parlament zu vermeiden.“ Konsequenzen gab es damals nicht, die Beschwerde verlief im Sand.
Soweit also zum aktuellen Skandal, der dazu führte, dass ein Register dieser Freundschaftsgruppen eingeführt werden soll. Die Gruppen schienen bislang ein willkommenes Instrument der Lobbyarbeit zu sein, die kleine inoffizielle Schwester, die ungestört unter dem Radar der parlamentarischen Kontrolle fliegt.
Offiziell steht die Fluggesellschaft Qatar Airways, der National Carrier von Katar, mit 10 Millionen Euro jährlich für Lobbyarbeit als Nummer eins auf der offiziellen Liste der Top Ten der Lobbyisten in Brüssel (D). Über das Zustandekommen dieses Betrages können zumindest Zweifel an dessen Vollständigkeit aufkommen.
Intransparentes Transparenzregister
Dazu die Auskunft von Statista, einer Online-Plattform für Daten:
„Die Daten stammen aus dem europäischen Transparenzregister der Europäischen Kommission. Kernstück des Registers sind Schätzungen der Interessenvertretungen zu den eigenen jährlichen Ausgaben für Lobbying. Weil die Angaben freiwillig und weitgehend unkontrolliert erfolgen, gilt das europäische Transparenzregister tendenziell als unzuverlässig und unvollständig. Vermutlich werden Ausgaben eher gering veranschlagt.“
25.000 Lobbyisten auf 705 EU-Parlamentarier
Laut Lobbycontrol nehmen in Brüssel schätzungsweise 25.000 Lobbyisten mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro Einfluss auf die EU-Institutionen. Angesichts dieser Zahl müssten die genannten Investitionen von 10 Millionen Euro von „Qatar-Airways“ neu untersucht werden.
Um aber die Relation der 1,5 Milliarden Euro Investitionen in die Arbeit der Lobbyisten zu illustrieren: Diese Zahl bezieht sich auf im Moment 705 Parlamentarier im EU-Parlament. Wobei insgesamt aktuell über 60.000 Menschen bei den EU-Institutionen beschäftigt sind.
Etwa 70 Prozent der circa 25.000 Lobbyisten arbeiten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Sie besitzen priviligierte Zugänge zu den Kommissaren und überhäufen die EU-Abgeordneten mit Änderungsanträgen für Gesetzesvorlagen, schreibt der Verein „Lobbycontrol“ auf seiner Website und warnt: „Die europäische Demokratie läuft Gefahr, zu einer wirtschaftsdominierten Lobbykratie ausgehöhlt zu werden.“
Von der Leyen mit „gutem“ Beispiel voran
Pharmariese Pfizer, mit dem mutmaßlich EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen eine Lieferung von Impfstoffen in Milliardenhöhe in einem „verschwundenen“ Chat-Austausch mit CEO Albertos „Albert“ Bourla anbahnte, taucht nicht in der offiziellen Liste der Top 10 der Lobbyisten in Brüssel auf.
CDU-Politikerin von der Leyen wurde mithilfe von Angela Merkel nach der EU-Wahl 2019 für das höchste EU-Amt nominiert; im politischen Kontext des damals vielfach geforderten Rücktritts von ihrer Funktion als deutsche Verteidigungsministerin. Diese Forderungen kamen auf, als zahlreiche Berater-Affären aufgedeckt wurden, nebst Organisationslücken im deutschen Verteidigungsministerium sowie Engpässen bei der Ausrüstung in der angeschlagenen Bundeswehr. FDP, Grüne, Linke und AfD bescheinigten von der Leyen damals systematisches Versagen.
„n-tv“ schrieb, dass der Posten der Verteidigungsministerin „Durchhaltevermögen“ erfordere, da „…es ständig staatliche Milliardenverträge zu vergeben hat“ und das Ressort permanent im Fokus von Lobbyisten stehe.
Nur halbe Wahlbeteiligung
Bei der letzten Europawahl 2019 verlautbarte das EU-Parlament: „Höchste Wahlbeteiligung seit 20 Jahren“. Und führte aus: „Über 50 Prozent der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger nahmen an dieser Europawahl teil. Dies ist die höchste Wahlbeteiligung seit 20 Jahren.“
50 Prozent der europäischen Bevölkerung hingegen beteiligte sich nicht an der Wahl des neuen EU-Parlaments. Demgegenüber ist auf der Website des Europaparlaments zu lesen: „Mit Ihrer Teilnahme an der Europawahl können Sie Ihrer Stimme Gehör verschaffen und mitbestimmen, welche Richtung die EU in den kommenden fünf Jahren einschlagen soll.“
„Wie der Herr, so das Gscherr“ sagt man, oder die Volksweisheit: „Der Fisch fängt vom Kopf her an zu stinken“. Denn wie jetzt immer offenbarer wird, dass nicht nur von der Leyen offenbar wenig „Durchhaltevermögen“ hatte in Bezug auf die Einflussnahme durch Lobbyisten und Interessengruppen der Wirtschaft, sondern dass auch die zweite Riege der EU-Parlamentarier in umfassende Lobbytätigkeiten verstrickt ist.
Es sei denn, das Aufkommen des Katar-Skandals, in welchem die zweite Reihe involviert ist, soll den Fokus von der ersten Riege ablenken.
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