Nach Hamas-Angriff: Sind Netanjahus Tage gezählt?

Während Israel im Kriegschaos versinkt, steht Premierminister Benjamin Netanjahu im politischen Kreuzfeuer seiner Kritiker.
Titelbild
Israelischer Premierminister Benjamin Netanjahu.Foto: JACQUELYN MARTIN/POOL/AFP via Getty Images
Epoch Times12. Oktober 2023

Benjamin Netanjahus Regierung hatte Israel mit ihrer umstrittenen Justizreform gespalten. Das kollektive Trauma des brutalen Überfalls der Hamas hat das Land nun geeint. Doch Netanjahu sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, Israel nicht ausreichend vor den radikalen Palästinensern geschützt zu haben. Die Tage Netanjahus als Regierungschef seien deshalb gezählt, spekulieren einige Beobachter.

„Netanjahu steht mit dem Rücken zur Wand. Alle setzen ihn unter Druck, auch seine eigene Partei Likud“, sagt Akiva Eldar, ein langjähriger politischer Kommentator. „Bibi (Netanjahu) muss die Infrastruktur der Hamas zerstören, das ist sicher“, sagt Eldar. „Aber wenn dies um den Preis geschieht, dass Kinder im Gazastreifen verhungern, dann wird sich die derzeit israelfreundliche Haltung der Welt schnell ändern.“

Gazastreifen: Tausende Vertriebene

Auch die von US-Präsident Joe Biden angebotene Unterstützung sei kein Blankoscheck. „Die Antwort muss im Verhältnis zu den von der Hamas begangenen Gräueltaten stehen. Aber Netanjahu kann es sich nicht leisten, den Tod von tausend weiteren israelischen Soldaten oder Geiseln in Kauf zu nehmen“, urteilt Eldar.

Im Gazastreifen wurden nach palästinensischen Angaben bereits mehr als 1.350 Menschen durch israelische Angriffe getötet, die Vereinten Nationen sprechen von 338.000 Vertriebenen. Die Zahlen konnten bislang nicht unabhängig bestätigt werden.

Eine weitere Quelle des Drucks auf Netanjahu sei die anhaltende Lähmung des Landes als Reaktion auf den Angriff, warnen israelische Ökonomen und erinnern an den Stillstand durch den 34 Tage dauernden Krieg mit der schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon 2006.

Dieses Problem sei besonders gravierend, weil Israel nicht gut auf den Krieg vorbereitet sei, verlautet aus dem Militär. Vor allem dann nicht, wenn sich der Krieg auf eine zweite und dritte Front ausweite – im Norden gegen die Hisbollah und im Osten bei einem Aufstand im Westjordanland.

„Netanjahus steht mit dem Rücken zur Wand“

Am Mittwoch verkündeten Netanjahu und Oppositionsführer Benny Gantz die Bildung einer Notstandsregierung für die Dauer des Krieges. „Die Anwesenheit von Benny Gantz in der Regierung wird den Druck auf den Regierungschef etwas verringern“, sagt Daniel Bensimon, ehemaliger Abgeordneter der Arbeitspartei.

„Die Notstandsregierung wird die Spannungen verringern, aber sie wird nichts an den grundlegenden Verhältnissen ändern: Netanjahus Tage als Premier sind gezählt und er weiß das. Er wird diese Krise nicht überstehen. Seine politische Karriere ist beendet.“

„Was (am Samstag) geschah, ist beispiellos seit der Gründung des Staates 1948“, sagt Bensimon. Er geht davon aus, dass es eine Untersuchung geben wird, wie es dazu kommen konnte. „Sie wird schrecklich sein.“ Deshalb stehe Netanjahus mit dem Rücken zur Wand.

Das Dilemma von Netanjahu

Auch die Probleme, mit denen Netanjahu vor dem Krieg konfrontiert war, werden nicht verschwinden. Beobachter rechnen damit, dass die Proteste gegen seine Justizreform wieder losgehen, sobald die Kämpfe vorbei sind. Und zwar noch heftiger als in den vergangenen zehn Monaten.

Nach Ansicht von Reuven Hazan, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Jerusalem, ist Netanjahus gesamter Ansatz gegen die Hamas gescheitert. „Die Öffentlichkeit wird ihn zur Rechenschaft ziehen, wenn das alles vorbei ist“, sagt Hazan. „Die Hamas ist seit 2007 in Gaza an der Macht, Netanjahu wurde 2009 gewählt.“

Israel führte seit dem Rückzug der Armee aus dem Gazastreifen 2005 mehrere Kriege gegen die Hamas, die sich jedoch alle als vergeblich erwiesen hätten, sagt der pensionierte General Yaakov Amidror, ein ehemaliger nationaler Sicherheitsberater. „Wir haben einen großen Fehler begangen, als wir glaubten, dass eine terroristische Organisation ihre DNA ändern könnte“, sagt er.

Die Frage ist nun, was Israel tun könnte, da sich die bisherige Strategie als falsch erwiesen hat. Die Zeitung „Jerusalem Post“ thematisiert, was vielen Israelis gerade durch den Kopf geht: „Ist dies der Moment für Israel, den Gazastreifen wieder zu besetzen?“

Die Antwort sei alles andere als eindeutig, sagt der Analyst Eldar. „Wenn man in Gaza einmarschiert, weiß man nie, in welchem Zustand man wieder herauskommt. Das ist das Dilemma von Netanjahu. Wird er vernünftig genug sein, um die richtige Entscheidung zu treffen?“ (afp/dl)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion