Nach drei Jahrzehnten absoluter Mehrheit: Absturz des ANC bei der Wahl

Das Wahlergebnis zeigt deutlich: Viele Südafrikaner haben das Vertrauen in den ANC verloren. Die Partei will die Botschaft ernst nehmen und verspricht Reformen.
Titelbild
Der ehemalige südafrikanische Präsident und Führer der uMkhonto weSizwe (MK)-Partei Jacob Zuma (C) am 1. Juni 2024 bei der Unabhängigen Wahlkommission (IEC) in Midrand.Foto: Phill Magakoe/AFP via Getty Images
Von 2. Juni 2024

Nach einem deutlichen Machtverlust bei den Parlamentswahlen in Südafrika hat sich die Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) erstmals geäußert. „Es gibt nichts zu feiern“, erklärte ANC-Generalsekretär Fikile Mbalula während einer Pressekonferenz.

Nach der Auszählung von 99,91 Prozent der Stimmen lag der ANC laut Angaben der Wahlbehörde bei 40,2 Prozent. 2019 erreichte die Partei noch 57,5 Prozent. „Die Ergebnisse senden eine klare Botschaft“, sagte Mbalula. „Wir möchten den Menschen in Südafrika versichern, dass wir sie gehört haben. Wir haben ihre Sorgen, ihre Frustrationen und ihre Unzufriedenheit wahrgenommen. “

Der ANC kommt auf 159 der 400 Mandate. Die größte Oppositionspartei, die mitte-rechts ausgerichtete Demokratische Allianz (DA), wurde zweitstärkste Kraft und kam auf 87 Mandate. Der regierende ANC steht nun vor der Herausforderung, neue Verbündete zu finden.

Erstmals eine Koalition nötig

Die größte Oppositionspartei, die mitte-rechts ausgerichtete Demokratische Allianz (DA), erhielt den Zahlen der nationalen Wahlkommission zufolge 21,8 Prozent der Wählerstimmen, gefolgt von der Partei MK von Ex-Präsident Jacob Zuma mit 14,6 Prozent. Die MK war erst vor wenigen Monaten gegründet worden. Dahinter landete den Zahlen zufolge die linksradikale EFF mit 9,5 Prozent der Stimmen.

Rund 27,6 Millionen registrierte Wähler wurden aufgerufen, über die Besetzung des 400 Sitze starken Parlamentes abzustimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 58,6 Prozent und damit deutlich unter den 66 Prozent im Jahr 2019.

Der Generalsekretär erklärte, die Partei wolle nun eine stabile und effektive Regierung bilden, um wirtschaftliche und soziale Reformen durchzuführen. In den kommenden Tagen wird die Partei Koalitionsgespräche mit Parteien führen, die diese Agenda unterstützen könnten.

Mbalula nannte keine konkreten Koalitionspartner. Auch eine Minderheitsregierung wäre denkbar. Im Juni müssen die Abgeordneten den nächsten Präsidenten der zweitgrößten Industrienation Afrikas wählen.

Desillusionierte jüngere Wähler und Korruption

Nach fast drei Jahrzehnten an der Macht sind viele Südafrikaner, insbesondere jüngere Wähler, die als „born frees“ bekannt sind, desillusioniert über die Unfähigkeit des ANC, die sozioökonomischen Herausforderungen des Landes wirksam anzugehen.

Der ANC wurde von Korruptionsvorwürfen geplagt, speziell während der Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma, der 2018 aufgrund von Korruptionsvorwürfen zum Rücktritt gezwungen wurde. Dies hat das öffentliche Vertrauen in die Partei untergraben.

Trotz des Endes der Apartheid ist Südafrika nach wie vor eines der ungleichsten Länder der Welt, mit hoher Arbeitslosigkeit (32 Prozent) und weit verbreiteter Armut, speziell unter der schwarzen Bevölkerungsmehrheit, die die wichtigste Unterstützungsbasis des ANC bildet.

Der ANC wurde dafür kritisiert, dass er es nicht geschafft hat, den Lebensstandard zu verbessern und Millionen von Südafrikanern mit grundlegenden Dienstleistungen wie Wasser, Strom und Wohnraum zu versorgen. Die Wirtschaftspolitik des ANC wird von vielen als gescheitert angesehen.

In den ersten Jahren nach der Machtübernahme 1994 verfolgte der ANC zunächst eine auf „Wachstum durch Umverteilung“ basierende Wirtschaftspolitik mit Fokus auf Armutsbekämpfung und Ausbau der Infrastruktur. Diese sozialistische Ausrichtung sollte die Ungleichheiten aus der Apartheid-Ära überwinden.

1996 schwenkte die Regierung unter Nelson Mandela auf eine eher neoliberale Wachstumsförderung um – mit Deregulierung des Arbeitsmarkts, Privatisierungen und Haushaltskonsolidierung, um ausländisches Kapital anzuziehen. Teilweise wurde ein Wirtschaftswachstum von rund 3 Prozent jährlich erreicht.

Das Aufkommen neuer Parteien wie der MK-Partei, die von ehemaligen ANC-Mitgliedern gegründet wurde, die loyal zu Jacob Zuma stehen, und der Economic Freedom Fighters (EFF) hat verärgerten ANC-Anhängern Alternativen geboten und die Wählerbasis des ANC weiter fragmentiert.

Die Wahlbeteiligung lag bei dieser Wahl bei 58,6 Prozent und damit niedriger als bei früheren Wahlen, was sich möglicherweise auf das Ergebnis des ANC ausgewirkt hat.

Widerstandsbewegung, bewaffneter Kampf, Einheitspartei

Der ANC wurde 1912 als Widerstandsbewegung gegen die Rassentrennung und Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung durch die weißen Regierungen gegründet. In den 1950er-Jahren setzte er auf zivilen Ungehorsam und gewaltlosen Widerstand nach dem Vorbild von Mahatma Gandhi.

Nach dem Massaker von Sharpeville 1960 und dem Verbot des ANC ging eine Gruppe um Nelson Mandela zum bewaffneten Kampf über, während andere wie Albert Luthuli am gewaltlosen Widerstand festhielten.  Im Exil kooperierte der ANC eng mit der Kommunistischen Partei und wurde von Ostblockstaaten unterstützt, was seine Ausrichtung beeinflusste.

Nach dem Ende der Apartheid 1994 wandelte sich der ANC von einer Befreiungsbewegung zu einer Regierungspartei. Er gab seine sozialrevolutionären Ziele auf und entwickelte sich zu einer Mitte-Links-Partei mit einer gemischten Wirtschaftspolitik aus Marktliberalismus und staatlichen Eingriffen.

In jüngster Zeit wird dem ANC vorgeworfen, sich zu einer quasi-staatlichen Einheitspartei entwickelt zu haben, die Korruption und Vetternwirtschaft Vorschub leistet. Bei den Wahlen 2024 verlor er erstmals die absolute Mehrheit.  Kritiker sehen ihn als verknöcherte Partei, die ihre revolutionären Ideale aufgegeben hat.

(Mit Material der Agenturen)



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